Stadtplanung : Wie dringend braucht Hongkong eine neue Insel?

Es wäre das größte und teuerste Infrastrukturprojekt jemals für Hongkong. Die Enhanced East Lantau Metropolis, kurz EELM. Eine künstliche neue Insel für Hunderttausende Bewohner östlich von Lantau, der größten der Inseln Hongkongs. Das einzige, das dem Megaprojekt von Regierungschefin Carrie Lam noch im Wege stehen könnte, ist eine Machbarkeitsstudie. Sie wurde im Mai von der Regierung in Auftrag gegeben und wird wohl kaum ein Hindernis darstellen. Dem Abgeordneten Wu Chi-wai zufolge, wäre es das erste Mal, dass eine von der Regierung selbst beauftragte Studie ein geplantes Projekt für nicht machbar erklärt.

Wu ist einer von vielen Gegnern des Projektes. Zwar haben in einer ersten – ebenfalls durch die Regierung durchgeführten – Umfrage unter 3.000 Einwohnern Hongkongs knapp 60 Prozent sich für den Bau der neuen Insel ausgesprochen; doch befürchten viele, die enormen Kosten würden sich ebenso wenig auszahlen wie die massiven Umweltbelastungen. Die Stadt stehe bereits jetzt kurz vor dem Kollaps – da brauche es nicht noch ein solches Bauprojekt, äußert sich etwa der oppositionelle Abgeordnete Eddie Chu zu den Plänen.

Der „Kollaps“ ist aber zumindest teilweise durch ein massives Platzproblem begründet – und eben dieses würde das Inselprojekt lösen wollen. Hongkong besteht aus 263 Inseln von einer Gesamtgröße von 1.100 Quadratmetern. Hier leben unglaubliche 7,5 Millionen Menschen. Das ergibt eine Dichte von rund 6.700 Bewohnern pro Quadratkilometer. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 232 Einwohner pro Quadratkilometer, in Österreich 106. In Hongkong hat jeder Bürger im Schnitt gerade einmal 15 Quadratmeter für sich zur Verfügung. In keiner anderen großen Stadt dieser Welt hat der Einzelne so wenig Wohnraum. Sogar in einer Gefängniszelle in der chinesischen Sonderverwaltungszone hat der Insasse mehr als die Hälfte dieses Durchschnitts zur Verfügung.

Gleichzeitig sind die Immobilienpreise in der Megastadt unglaublich hoch – die höchsten der Welt. Ein Eigenheim kostet hier durchschnittlich 1,2 Millionen Dollar. Auf dem zweiten Platz bei den Kaufpreisen landet Singapur – und ist immer noch 40 Prozent billiger.

Weil sich das weite Bevölkerungsschichten nicht leisten können, leben etwa 45 Prozent der Menschen in subventionierten Wohnverhältnissen – für die allerdings eine Wartezeit von fünfeinhalb Jahren gilt.

Eine Insel für die Armen?

Die neue Insel soll nun Wohnmöglichkeiten für bis zu 1,1 Millionen Menschen bieten, was immerhin ein Siebtel der derzeitigen Bevölkerung ausmacht. Außerdem sollen die Wohnungen größer ausfallen als der bisherige Durchschnitt. Laut Plänen werden 70 Prozent von ihnen geförderter Wohnbau sein.

Die Größenangaben für die EELM variieren, doch die South China Morning Post berichtet von 2.200 Hektar und beruft sich dabei auf den Thinktank Our Hong Kong Foundation, der der Regierungschefin untersteht. Auf dieser aufgeschütteten Fläche – etwa sechs Mal so groß wie der Central Park in New York – sollen sich 260.000 Wohnungen ausgehen.

So ein Unterfangen kostet viel Geld – umgerechnet über 70 Milliarden Euro, wie es in den jüngsten offiziellen Statements heißt. In dieser Zahl sollen auch bereits die Infrastrukturprojekte miteingerechnet sein, durch die die Insel mit Hongkong verbunden würde. Die Geldreserven der Stadt würden sich damit mehr als halbieren. Doch die Regierung zeigt sich überzeugt, alle Kosten durch Grundstücksverkäufe wieder hereinzubekommen. Sich auf hohe und noch steigende Preise für Baugrund und Immobilien zu verlassen, halten die größten Kritiker des Projektes aber für besonders waghalsig. Die Machbarkeitsstudie allein würde viel zu viel Geld verschlingen – fast 63 Millionen Euro.

„Kurz vor dem Kollaps“

Aus diesem Grund hat sich der Abgeordnete Chu Hoi-dick von Anfang an gegen die Studie gestellt. Es gebe sehr viel günstigere Möglichkeiten, neuen Wohnraum zu kreieren – etwa durch Neubau in alten Industriegebieten.

Doch auch wenn die neue Insel besonders das Wohnproblem der nächsten 30 Jahre lösen soll, ist auch geplant, einen Teil als Geschäftsviertel aufzubauen, in dem sich Unternehmen niederlassen sollen. Die East Lantau Metropolis soll so zur dritten zentralen Business-Region neben Central und Kowloon East werden. Damit hofft die Regierung auf hunderttausende neue Jobs und außerdem die Einnahme vieler Steuern.

Davon ausgehend, dass die Enhanced East Landau Metropolis die Machbarkeitsstudie besteht, bleibt nur noch die Frage, wann mit dem Megaprojekt zu rechnen ist. Vor 2025 definitiv nicht, die vorläufige Konzeptmappe fasst vage „2030+“ ins Auge, die chinesischen Medien berichten sogar von den 2040ern. Von einer Fertigstellung ist dementsprechend noch gar keine Rede, doch die ersten Bewohner sollen nach sieben Jahren Bauzeit die Insel bevölkern können.

Ob sie damit noch rechtzeitig aufgeschüttet wird, um die Knappheit von 1.200 Hektar wettzumachen, die Hongkong derzeit für Wohnzwecke fehlen? Es wäre auf alle Fälle eine besonders teure künstliche Insel – Dubais Palm Dschumeira beispielsweise kostete „nur“ zehn Milliarden Euro. Aber es ist nicht so, als hätte Lantau nicht schon Erfahrung mit teuren Megaprojekten. Erst 2018 eröffnete hier die Hong Kong-Zuhai-Macau-Brücke, die mit 5 Kilometern längste Meeresbrücke der Welt. Vielleicht muss sie in einigen Jahren sehr viel mehr Verkehr aushalten – wenn hunderttausende Menschen an einen Ort pendeln, den es heute noch nicht einmal gibt.

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