Österreich : Neubauboom stark vom freifinanzierten Wohnbau getragen
Erstmals seit fast drei Jahrzehnten ist in Österreich die Wohnbauförderung 2019 unter die Marke von 2 Mrd. Euro gesunken und lag damit ein Fünftel unter dem 10-Jahres-Schnitt. Damit verliere ein wichtiges wohnungspolitisches Lenkungsinstrument zunehmend an Bedeutung, kritisiert der WKÖ-Fachverband Steine-Keramik. Bei der Bewilligung von Mietwohnungen und Eigenheimen gab es dagegen 2019 beinahe neue Rekorde - im großvolumigen Neubau stellen Eigentumswohnungen schon die Hälfte.
20 Jahre lang, von Mitte der 1990er bis Mitte der 2010er Jahre, war die Wohnbauförderung (WBF) mit 2,4 bis 3,0 Mrd. Euro in weitgehend konstanter Höhe dotiert. In den 1990ern seien noch etwa 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für wohnungspolitische Maßnahmen ausgegeben worden, 2019 nur noch 0,4 Prozent, so Fachverbands-Geschäftsführer Andreas Pfeiler am Dienstag: "Damit liegt Österreich bei den wohnungspolitischen Ausgaben im europäischen Vergleich im unteren Drittel."
Die 1,99 Mrd. Euro WBF-Volumen im Vorjahr stellten vier Prozent Rückgang gegenüber 2018 dar. Besonders deutlich war das Minus in Wien (-12 Prozent), Salzburg (-11 Prozent) und Niederösterreich (-6 Prozent), geht aus Daten hervor, die Wolfgang Amann, der Geschäftsführende Gesellschafter vom Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen (IIBW), alljährlich für den Fachverband aufbereitet.
54 Prozent der 1,99 Mrd. Euro oder 1,08 Mrd. Euro der WBF-Ausgaben entfielen auf den Geschoßwohnbau, 23 Prozent oder 470 Mio. Euro auf Sanierung, 15 Prozent oder 300 Mio. Euro auf Subjektförderungen (Wohnbeihilfen, Eigenmittelersatzdarlehen), 7 Prozent oder 140 Mio. Euro auf Eigenheime. Sechs Bundesländer verzeichneten Rückgänge der Förderausgaben: in Tirol und Vorarlberg leicht, dagegen prozentuell zweistellig gegenüber dem 10-Jahres-Schnitt in der Steiermark, Wien, NÖ und dem Burgenland.
Der Neubauboom - Wohnungsbewilligungen auf weiter hohem Niveau - steht im Kontrast zu den rückläufigen WBF-Geldern. 2019 wurden 79.000 Wohnungen baubewilligt, nur etwas weniger als beim bisherigen Allzeithoch im Jahr 2017 (82.000 Einheiten). Heuer sanken die Baubewilligungen Covid-19-bedingt im ersten Quartal um etwa ein Viertel, im zweiten Quartal dürfte das Minus noch stärker gewesen sein. Wegen der hohen Wohnungsnachfrage sei noch heuer eine Rückkehr auf Vorkrisenniveau zu erwarten, so Amann.
Die im vorigen Jahr 18.400 baubewilligten Einfamilienhäuser waren einer der höchsten Werte seit den frühen 1980ern - trotz stetig sinkender Förderzahlen. Auch die bewilligten 21.000 Mietwohnungen lagen deutlich über dem langjährigen Schnitt. Getragen wird das Mietwohnungssegment vor allem vom geförderten gemeinnützigen Wohnbau. Doch auch im freifinanzierten Neubau gewinne Miete an Stellenwert, so der Experte. Zuletzt habe der Zustrom an internationalem Investitionskapital in die österreichischen Metropolen-Regionen zu einem Boom in diesem Bereich geführt, erinnerte der IIBW-Geschäftsführer.
Insgesamt ist der Anteil der Eigentumswohnungen am großvolumigen Neubau seit den 2000er Jahren von rund 30 Prozent auf über 50 Prozent geklettert. Der Neubauboom wird somit stark vom freifinanzierten Wohnbau getragen. Das zeigt auch das Verhältnis von Förderungszusicherungen zu Baubewilligungen, also der "Förderungsdurchsatz". Diese Kennzahl, die bis in die 2000er Jahre noch bei 80 bis 90 Prozent lag, ist bei Geschoßwohnungen auf unter 50 Prozent und bei Eigenheimen auf nur noch 20 Prozent gesunken.
Die Förderungszusicherungen im großvolumigen Bereich sind langfristig weitgehend konstant, bei Eigenheimen aber weiter stark rückläufig. Die 2019 erreichte Förderleistung von 19.700 zugesicherten Geschoßwohnungen lag fast genau in der Größenordnung des Jahres davor wie auch des 10-jährigen Durchschnitts - bei Eigenheimen dagegen mit lediglich 3.700 um satte 40 Prozent unter dem 10-Jahres-Schnitt sowie nur noch bei einem Fünftel der Förderleistung der 1990er Jahre. Die Eigenheimförderung habe in allen Bundesländern massiv an Stellenwert verloren: Mehr als 1.000 Einheiten im Jahr fördern nur noch Nieder- und Oberösterreich, während es in Kärnten, Salzburg und Wien voriges Jahr jeweils weniger als 100 waren.
Im großvolumigen Wohnbau mit in Summe 19.740 Förderungszusicherungen bundesweit lagen 2019 die meisten Bundesländer im langjährigen Schnitt, etwa NÖ, Salzburg, Burgenland und Tirol. Größere Abweichungen nach unten zeigten Kärnten (wegen langfristig budgetärer Engpässe und stagnierender Demografie) sowie Wien (4.960 Einheiten) und Vorarlberg. In Wien habe die Förderung damit zu kämpfen, dass es viele Gemeinnützige bevorzugten, ohne diese Finanzierungsquelle zu bauen, sagt Amann. Die neue Widmungskategorie "geförderter Wohnbau" mit der Regelung, dass bei Widmungsänderungen auf größeren Grundstücken zwei Drittel geförderter Wohnbau zu realisieren seien, greife offensichtlich erst ansatzweise.
Der Markt für Eigentumswohnungen ist laut Amann anhaltend stark. Wurden in den 2000er Jahren pro Jahr nur rund 6.000 Einheiten baubewilligt, erreichte der Boom 2017 einen Höhepunkt mit fast 28.000 Einheiten, ein Wert, der 2018/19 nicht ganz erreicht wurde.
Mit zuletzt 7,1 Wohnungsbewilligungen pro 1.000 Einwohner weist Österreich international verglichen ein hohes Niveau auf. Deutschland liegt bei nur 4,3 und der Schnitt der "Euroconstruct"-Länder (17 EU-Staaten plus Norwegen und Schweiz) bei 3,6.
Überdurchschnittliche Neubauvolumina wiesen 2019 die Bundesländer Wien (10,0), die Steiermark (8,9) sowie Tirol und Vorarlberg (mit jeweils 7,5) auf, bezogen auf 1.000 Einwohner, wobei der Wert in Wien immer recht volatil ist. In der Bundeshauptstadt wurden in den 2000er Jahren jährlich unter 7.000 Wohneinheiten baubewilligt, 2017 über 23.000, zuletzt immer noch mehr als 20.000. Zugleich legte die Bevölkerungszahl in Wien von 2010 bis 2020 von allen Bundesländern am stärksten zu, nämlich um 12,3 Prozent (gefolgt von Vorarlberg und Tirol mit 7,4 bzw. 7,3 Prozent) und dürfte bis 2030 nochmals um weitere fünf Prozent steigen.
Die Übereinstimmung der Wohnungsproduktion mit dem tatsächlich gegebenen Bedarf an Wohnraum sei "ein politisch sensibles Thema", zugleich statistisch aber schwer fassbar, räumt der IIBW-Experte ein. Die Nachfrage bestimme sich nicht nur aus der Entwicklung der steigenden Haushaltszahlen (die zwischen 2010 und 2020 von 3,62 Millionen auf 3,97 Millionen zulegte), sondern auch aus regionalen Ungleichgewichten, etwa dem Leerstand in strukturschwachen Regionen bei gleichzeitigem Nachfrageüberhang in den Ballungsgebieten und geändertem Konsumverhalten (Zweitwohnsitze, Anschaffung zu Investitionszwecken), betont Amann. Angebotsseitig stünden nur unzureichende Daten zu Leerstand und Wohnungsabgängen zur Verfügung. Es fehle an einer bundesweit geltenden methodisch konsistenten Prognose, bemängelt der Experte.
Eine vom IIBW regelmäßig angepasste Schätzung ermittelt einen aktuellen österreichweiten Bedarf von unter 55.000 neu zu errichtenden Wohnungen pro Jahr, für Wien von knapp unter 13.000 (inkl. neue Wohnungen im Bestand). Der aktuelle Wohnungsneubau liegt sehr deutlich über diesen Werten, vor allem in der Steiermark und in Wien, aber auch in Oberösterreich. Die Nachfrage nach günstigen Wohnungen in den Ballungsgebieten bleibe ungebrochen hoch, heißt es beim IIBW. Die Wohnkosten gemeinnütziger Wohnungen liegen mit 7,2 Euro pro Quadratmeter und Monat ein gutes Fünftel unter jenen privater Mietwohnungen mit 9,3 Euro/Quadratmeter. (APA)