Stadtplanung : Indonesiens neue Hauptstadt – Reißbrett-Planung, wirtschaftlicher Ausbau oder doch nur politischer Humbug?
Wenn Indonesiens Präsident davon spricht, die Hauptstadt seines Landes verlagern zu wollen, dann ist das keine brandneue Idee. Erstens wurde ein solcher Umzug schon ein paar Mal auf der ganzen Welt durchgeführt und passiert auch jetzt gerade in Ägypten; zweitens spielt das viertbevölkerungsreichste Land der Welt schon seit Jahrzehnten mit dem Plan, irgendwo anders ganz neu anzufangen.
Was den indonesischen Präsidenten Joko Widodo zu solchen Gedanken bewegt, könnten mehrere Gründe sein. Da wäre einerseits die Vermutung, die einige aussprechen, dass mit einer neuen Hauptstadt ein anderer Teil des Landes wirtschaftlich weiterentwickelt werden soll; andererseits könnten auch die Überbevölkerung und das nicht zu leugnende Verkehrsproblem in der Noch-Hauptstadt Jakarta Umzugsgründe sein. Und dann ist da noch das wahrscheinlich pressierendste Problem, das in den Überlegungen auch am häufigsten genannt wird – Die Insel Java, auf der Jakarta liegt, versinkt. Und das gar nicht mal so langsam.
Das Umland eingeschlossen, leben in Jakarta 30 Millionen der insgesamt 250 Millionen Einwohner Indonesiens. Das Land besteht aus mehr als 17.000 Inseln. Die Hauptstadt-Insel Java befindet sich mittlerweile fast zur Hälfte unter Wasser. In zehn Jahren ist sie um zweieinhalb Meter gesunken. Laut Prognosen könnten einige Regionen bis 2050 komplett verschwunden sein. Auf der Insel und damit auch in Jakarta sind Überschwemmungen häufig, den die Stadt durchfließen 13 Flüsse. Es ist die am schnellsten versinkende Stadt der Welt.
30 Millionen Menschen und 13 Flüsse – zu viel für eine Stadt
Dementsprechend soll die neue Hauptstadt, so es denn eine geben wird, so ausgewählt werden, dass solche Risiken minimiert werden. Das sagt zumindest Bambang Brodjonegoro, der indonesische Minister für Nationale Entwicklung. Er war es auch, der die Pläne des Präsidenten der Presse verkündete. “Wir wollen eine neue Stadt, die Indonesiens Identität widerspiegelt und auch eine modern, international Stadt ist, oder eine smarte, grüne und schöne Stadt”, sagte der Minister gegenüber der Zeitung Jakarta Globe. Warum er eine Formulierung wählte, wonach die Stadt nur entweder modern oder grün, nicht aber beides sein könnte, sei dahingestellt.
Doch wo könnte diese neue modern oder schöne Stadt liegen? 1961 entwarf der Architekt Oscar Niemeyer Brasilia quasi auf dem Reißbrett und das überfüllte Rio de Janeiro wurde als Hauptstadt per Auftrag abgelöst. Auch Canberra in Australien ist eine Planhauptstadt, sogar noch aus dem Jahr 1908. Im Fall von Indonesien sieht es aber eher so aus, dass eine bereits existierende Stadt ausgewählt und gegebenenfalls vergrößert würde. Laut Brodjonegoro hat Widowo seine Minister dazu aufgefordert, Vorschläge einzubringen – und zwar “in Küstennähe, doch nicht unbedingt am Meer.” Mit diesen Angaben könnte die Suche sehr interessant werden.
Sie läuft aber bereits. Seit einigen Wochen wird die Provinzstadt Palangkaraya auf der Insel Borneo als Favorit gehandelt. 258.000 Menschen leben hier, es gibt eine Staatliche Universität und ein paar größere Unternehmen. Die Gegend ist mit dem Verkehrschaos von Jakarta nicht vergleichbar, ist aber bereits seit einigen Jahrzehnten von der Gold-, Kühle-, Öl-, Gas-, Palmöl- und Holzindustrie gezeichnet. “Die Idee, die wichtigsten politischen Prozesse in eine Gegend zu verlagern, die bereits das Zentrum einer ökologischen Krise ist, ist absurd”, sagt Hendro Sangkoyo, Mitbegründer der Schule für Demokratische Wirtschaft, einem Lernnetzwerk in Jakarta. Er glaubt, dass damit in erster Linie neue Geschäftsmöglichkeiten im noch etwas unterentwickelten Osten des Landes erschlossen werden sollen. Und, dass Borneo – lokal Kalimantan genannt – so genauso zerstört würde wie Jakarta.
„Eine smarte, grüne und schöne Stadt“
Laut einer Machbarkeitsstudie würde der Umzug zehn Jahre dauern. Allerdings gibt es auch die Möglichkeit, dass nicht die gesamte Regierung verlegt wird, sondern in der neuen Stadt bloß ein separates administratives Zentrum erschaffen wird und Jakarta die offizielle Hauptstadt bleibt – so wie es Malaysia mit seinem administrativen Zentrum in Putrajaya gemacht hat.
So oder so könnte die Wahl nun vielleicht doch nicht auf Palangkaraya fallen – laut jüngsten Berichten der Zeitung Jakarta Post scheint jetzt eher Bukit Soeharto das Rennen anzuführen. Die Provinz liegt im Osten Borneos und hat besseren Anschluss an einen internationalen Flughafen und Seehafen. Anfang Mai hat der Präsident beide Regionen besucht. Doch es gibt auch einige Gründe, die gegen Ost-Borneo sprechen würden. Die Region leidet teilweise stark unter Überschwemmungen und Trinkwasserproblemen. Besonders tragisch wäre aber, dass sicherlich große Teile des Gebietes zugebaut würden – und Bukit Soeharto ist eigentlich Naturschutzgebiet. Laut Minister Bambang würden nicht alle Flächen dem Neubau zum Opfer fallen, doch das klingt wenig konkret und für Umweltschützer wenig erbauend. Indonesien hat die drittgrößte Fläche an Regenwald in der Welt, doch ist in der Vergangenheit bereits mehrfach wegen Abholzungen in Kritik geraten.
Es gibt aber auch andere Kritikpunkte an dem Plan einer neuen Hauptstadt im Allgemeinen. So sagt Elisa Sutanudjaja, Direktorin am Rujak Zentrum für Urbane Studien in Jakarta: “Ein Problem lässt sich nicht lösen, indem man es einfach verschiebt. Jakarta ist Tokyo in den 1960ern recht ähnlich, mit der Landsenkung, Überschwemmungen, Naturkatastrophen und der Überbevölkerung. Wenn man das Problem wirklich lösen will, sollte es angegangen, nicht einfach verschoben werden.”
„Die Idee ist absurd“
Ben Bland hingegen, Südostasien-Experte am australischen Lowy Institute, betrachtet den Zeitpunkt der Pläne des Präsidenten mit Skepsis. Schließlich hat bereits der erste indonesische Präsident, Sukarno, im Jahr 1957 eine solche Idee geäußert und seit ihm mehrere weitere Machthaber. Passiert ist aber nichts? Warum jetzt also doch und vor allem – warum genau jetzt?
Die Antwort könnte wie so oft in der Politik stecken. Vor gut einem Monat fanden in Indonesien die Präsidentschaftswahl und gleichzeitig die Parlamentswahl statt. Unmittelbar nach der Wahl zeichnete sich ein Sieg des Amtsinhabers Widowo ab, den der Gegenkandidat Prabowo Suianto aber nicht hinnahm. Die Wahl erregte im Ausland vor allem aufgrund hunderter Todesfälle überarbeiteter Wahlhelfer Aufsehen.
https://youtu.be/oIB4ADYlFXg
Die Umzugspläne wurden dann nur einige Tage nach der Wahl verlautbart. Das Timing hält Ben Bland für merkwürdig: “Es scheint wie ein Versuch des Präsidenten, seine Autorität nach der Wahl zu bekräftigen.” Das Endergebnis wurde gestern, Dienstag, veröffentlicht und bestätigt Widodo als Sieger. Heute, Mittwoch, starben bei Protesten in Jakarta sechs Menschen, etwa 200 wurden verletzt. Der Wahlverlierer Suhanto wirft Betrug vor, die Proteste gehen von seinen Anhängern aus. Es wird sich zeigen, ob Widodo seine neue Amtszeit mit einem Megaprojekt wie einer neuen Hauptstadt beginnen, oder nicht auch noch hier Proteste riskieren will.
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