SOLID 11 / 2014 : EXKLUSIV: Christoph Chorherrs Pläne fürs Bauen
Aktive Mitgliedschaft erforderlich
Das WEKA PRIME Digital-Jahresabo gewährt Ihnen exklusive Vorteile. Jetzt WEKA PRIME Mitglied werden!
Sie haben bereits eine PRIME Mitgliedschaft?
Bitte melden Sie sich hier an.
Die Grünen haben sich kontinuierlich in Österreichs Landesparlamente gearbeitet, beginnend mit Oberösterreich, zuletzt in Vorarlberg und als Bündnispartner von sowohl Rot als auch Schwarz. Es wäre wenig verwunderlich, wenn sie - auch ob dieser Flexibilität (die von manchen auch als "Wir tun es mit allen" ausgelegt wird) - demnächst auch in der Bundesregierung säßen.
Vor allem in Wien sieht man, dass gerade die Bauwirtschaft an Grün nicht vorbei kommen wird - und da baut sich eine alte Assoziation auf: die Grünen, das sind die, die gegen das Bauen und gegen das Betonieren sind. Auf der anderen Seite sind Mariahilfer Straße, Seestadt Aspern etc. durchaus grüne Bauprojekte und schaffen Arbeit für die Branche, während die klassischen Straßenbauer weniger Freude haben.
Grund genug für SOLID, sich mit Österreichs profiliertesten Bau-Grünen, dem derzeitigen Planungssprecher der Grünen in Wien Christoph Chorherr, zu treffen und Grüne Positionen auf ihre Konsequenzen für die Bauwirtschaft abzuklopfen.
SOLID: Die Grünen galten lange als reine Umweltlobby mit dem zugeschriebenen Motto: nur nichts bauen, alles lassen, wie es ist. Was haben die Bau-Menschen von Grün in Verantwortungspositionen zu erwarten oder zu befürchten?
Christoph Chorherr: Das mit der Baufeindlichkeit hat so nie gestimmt, hatte aber für einige von uns biographische Gründe. Da stehen sicher das Atomkraftwerk Zwentendorf und das Kraftwerk Hainburg an vorderster Stelle. Aber gebaut muss werden. Die Frage ist nur, was man daraus macht!
Wenn eine Stadt wie Wien jährlich um 25.000 Menschen wächst und man so wie wir meint, dass Wohnen ein soziales Grundrecht ist, dann wollen und müssen wir bauen. Wir wollen aber nachhaltig, ökologisch und klug bauen. Wir wollen kompakt und dicht bauen. Dicht bauen auch, um möglichst viel Freiraum, Grünraum, Ackerraum und Naturschutzgebiete zu erhalten. Und da sind wir jetzt in Wien in einer historisch einmaligen Situation.
Was heißt das konkret?
Wien ist seit 1914, wo es zwei Millionen Einwohner hatte, bis Ende der 1980er Jahre kontinuierlich geschrumpft. Seitdem wächst es und das Wachstum nimmt weiter zu. Wien ist sehr attraktiv. Wien ist die größte Universitätsstadt des deutschsprachigen Raums. Es ist nach Berlin die zweitgrößte deutschsprachige Stadt und hat offensichtlich sowohl für Menschen aus den Bundesländern als auch international eine hohe Anziehungskraft. Bis vor kurzem waren die Deutschen die Hauptzuwanderungsgruppe, jetzt sind es die Ungarn.
Dieser Saldo von 25.000 Menschen mehr jährlich ist sehr viel, das braucht man Baumenschen nicht zu sagen!
Um das ein bisschen zu illustrieren: In der Seestadt Aspern werden, wenn sie einmal fertig gestellt ist, rund 20.000 Menschen leben. Also: das, was jetzt steht, mal vier genommen ist das jährliche Wachstum Wiens. Das Pro-Kopf-Wachstum war zwar in gewissen Phasen der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts stärker, aber da haben neun Menschen auf zwölf Quadratmetern gelebt und es gab 300.000 Obdachlose. Diese Zeiten wollen wir nicht zurück und die kommen auch nicht zurück. Der Lebensraum pro Kopf ist gewachsen, dazu Schulen, Kindergärten, Gasthäuser, Geschäfte - das ist eine historisch einmalige Situation und es ist ein großes Privileg, in der Stadtplanung arbeiten zu dürfen.
Wird dieser Pro-Kopf-Wohnraum weiter wachsen oder muss das irgendwann wieder zurück gehen?
Tatsache ist, dass der Pro-Kopf-Wohnraum in den letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen ist. Das hat auch mit neuen Lebensformen zu tun. Wien hat jetzt schon 49 Prozent Single-Haushalte! - Ich glaube, er wird nicht weiter wachsen. Das hat vor allem einmal finanzielle Gründe. Wien soll und wird nicht den Weg von München, London und Paris gehen, wo die Menschen für leistbares Wohnen ins Umland ausweichen MÜSSEN.
Ich glaube aber darüber hinaus, dass sich jetzt schon Konzepte bewähren, die auf Teile von gemeinschaftlichen Nutzungen abzielen. Man kann zum Beispiel Alleinerzieherinnen, die aus Kostengründen eher knapp wohnen, pro sechs bis acht Wohnungen eine große Wohn-Küchen-Einheit anbieten. Dort kann man dann auch andere Menschen treffen, mit denen man sich gegenseitig unterstützen kann. Solche Räume der Gemeinschaftsbildung und gemeinschaftlichen Nutzung bei Wahrung der Privatsphäre sind ein großes Thema.
Entdecken Sie jetzt
-
Lesen
- Die Kunst der emotionalen Dickhäutigkeit 21.11.2024
- Warum die Zukunft im Bestand liegt 20.11.2024
- Countdown zu den 5 größten Vergaberechtsmythen 20.11.2024
-
Videos
- SOLID Bau-TV | 11.07.2024 11.07.2024
- SOLID Bau-TV | 27.06.2024 27.06.2024
- SOLID Bau-TV | 06.06.2024 06.06.2024
-
Podcasts
- Bauen up to date #13 - 04.03.2024 04.03.2024
- Bauen up to date #12 - 13.9.2023 12.09.2023
- Bauen up to date #11 - 23.04.2023 23.04.2023
Das Thema Seestadt Aspern scheint über allem zu schweben - warum?
Weil ich glaube, dass es ein tolles Projekt ist. Aber noch einmal: allein der jetzt besiedelte Stadtteil ist der Bruchteil eines Jahrs an Zuzug in Wien! Wien entwickelt sich an allen Ecken und Enden. Teils auch in Konflikten mit Anrainern, weil wir teilweise auch Maßstabssprünge brauchen. Wir müssen verdichten - und dafür gibt es auch ökologische Argumente. Bei dichter Bauweise kann man viele Dinge zu Fuß oder mit dem Rad erledigen: Einkaufen, Kaffeehaus, Leute treffen. Wenn man nicht dicht baut, braucht man für das alles das Auto.
Eine gewisse Mindestdichte ist notwendig, um öffentliche Verkehrsanbindung zu erreichen, Dinge fußläufig zu haben und auf der anderen Seite großzügige Parks, aber auch Felder zu haben. Wien soll - auch aus Krisengründen! - weiter Landwirtschaft betreiben. Wenn wir das nicht flächendeckend bebauen wollen, müssen wir entlang hochrangiger öffentlicher Verkehrsmittel verdichten, um woanders frei zu halten.
Auf der anderen Seite ergibt jede Umfrage ja auch immer: die überwiegende Mehrzahl der Österreicher wünscht sich das Eigenheim auf der Wiese. Was sagen Sie denen?
Es steigt aber auch die Anzahl derer, die ihre Zeit nicht mit Pendeln vergeuden wollen. Und in der verdichteten Stadt braucht man weniger Energie zum Heizen und weniger Autonutzung. Bis in die 1980er Jahre war Wien das reichste Bundesland mit dem Insignium der höchsten Motorisierungsrate aller neun Bundesländer. Heute ist Wien gemeinsam mit Niederösterreich noch immer das reichste Bundesland - und hat die mit Abstand GERINGSTE Motorisierungsrate! Noch reichere Städte wie Basel haben eine noch geringere Motorisierungsrate. Dazu kommen immer mehr intelligente Formen, kein eigenes Auto besitzen zu müssen, sondern sich von den damit befundenen Lasten zu befreien. Diese Möglichkeiten bietet eben eine dichte Stadt.
Was heißt vor all diesen Hintergründen "Grün bauen" und wer kann sich das leisten? Ist die grüne Bauweise nicht teurer und daher ein Minderheitenprogramm - wie Bio-Lebensmittel etc.? Kann der Billigstbieter jemals grün sein?
Das Holzpassivhaus irgendwo an der Peripherie nützt mir nichts, wenn dann zwei oder drei Autos davor stehen. Die Frage ist: Welche Strukturen bauen wir, die ein nachhaltiges, krisenresistentes Leben ermöglichen? Das heißt, dass wir auch im ländlichen Raum nicht die Zersiedelung anstreben, sondern kompakte Siedlungsformen.
Zweitens geht es darum, möglichst langlebig zu bauen. Dieser Aspekt wird stark unterschätzt. Es müssen jetzt reihenweise Gebäude aus den 1970ern und 1980ern abgerissen werden, weil sie bautechnisch inferior sind. Da ist es sinnlos darüber nachzudenken, ob die ein bisschen mehr oder weniger Energie im Betrieb verbrauchen. Man unterschätzt auch die "graue Energie", die zum Bauen benötigt wird.
Und der dritte Punkt ist die Umnutzbarkeit. Wenn wir heute bauen, sprechen wir auch über Nutzungen in den Jahren 2040, 2050 oder 2060. Woher sollen wir wissen, wie unsere Kinder und Enkel dann leben werden? Daher müssen wir aufhören, Strukturen zu bauen, die nur für eine bestimmte Nutzung geeignet sind. Interessant ist, dass die Gebäude aus der sogenannten Gründerzeit vor 130, 140 Jahren, als es kein Auto, kein Telefon, kein TV, kein Internet gab, gerade für diese technologie-affinen Branchen sehr gut geeignet sind. Denn diese Strukturen können sich je nach Bedarf immer wieder ändern. Heute reißen wir Gebäude von vor 25 Jahren ab, weil es die damalige Nutzung nicht mehr gibt.
Ökologische Baustoffe sind überhaupt kein Thema?
Natürlich sind wir für nachwachsende Rohstoffe. In diesem Zusammenhang ist interessant zu wissen, dass die österreichische Holzbranche mehr erlöst als der gesamte Fremdenverkehr. Holz ist etwas hochtechnologisches und wir gehören im internationalen Bereich zur Weltspitze. In der Seestadt soll es das erste richtige Holzhochhaus der Welt mit 70 Metern oder mehr Höhe geben. Im Vergleich dazu sind etwa Zement oder Stahl extrem energieaufwendig in der Herstellung. Also für das neue nachhaltige Wien stellt Holz unserer Meinung nach schon eine sehr gute Alternative dar.
Wie geht sich das mit dem Kostenaspekt aus? Gebäude errichten doch meistens die billigen Bieter.
Das ist halt ein sehr dummes Denken. Man muss im Lebenszyklus denken und auch im Energieverbrauch im Betrieb oder auch in der Entsorgung.
Aber in Wirklichkeit müssen wir über den größten Kostentreiber am Bau nachdenken, und das sind die Grundstückskosten. Wenn die Marktwirtschaft irgendwo komplett versagt, weil steigende Preise eben nicht zu einem höheren Angebot führen können, ist es auf diesem Gebiet. Ich glaube, hier müssen wir stärker regulierend eingreifen, damit sich niemand zu Lasten der Öffentlichkeit extrem bereichern kann, der das Glück hat, Grund und Boden entlang von Hauptverkehrsachsen zu besitzen. Andere Länder zeigen uns ja, wie das geht. Gerade Deutschland hat zum Beispiel in der Bundesverfassung die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, die haben wir nicht.
Wir haben heute Grundstückspreise, die 60-80 Prozent der Herstellungskosten betragen - und da rede ich jetzt nicht von der Wiener Innenstadt. Holz oder gut gedämmt macht dagegen vielleicht drei Prozent aus. Hier müssen wir uns wirklich etwas einfallen lassen.
Das heißt, es ist für die Kosten egal, wie "grün" eine Ausschreibung ist?
Der Knackpunkt sind sicher die Grundstückspreise. Sie sind der Hauptgrund für die Zersiedelung und damit entsteht wieder der Druck, zusätzliche Verkehrswege zu bauen etc. Grün ist eine Kombination unterschiedlicher Maßnahmen: verdichteter Bau, Materialität, Langlebigkeit und Umbaubarkeit.
Wie sieht das im ländlichen Bereich aus? Auch hier verdichtete Bauweise, wenn es nach Ihnen geht?
Ja. Das europäische Dorf und die Kleinstadt sind große europäische Errungenschaften. Ich sehe aber ein anderes großes Thema, für das ich keine Lösung weiß und auch keinen Hebel. Das sind die weiten Teile Österreichs, in denen die Bevölkerung zurück geht, in denen Wohnungen, Schulen, Vereinshäuser etc. leer stehen. Da geht es um weite Teile Niederösterreichs, praktisch ganz Kärnten mit Ausnahme der Ballungsräume, die gesamte Obersteiermark. Wir kommen auf der einen Seite mit dem Bauen in Wien kaum nach und im ländlichen Gebiet steht alles leer. Da steht die Frage: wie wollen Menschen leben? Und offensichtlich gibt die urbane Lebensform einiges her.
Wie sehen Sie die Entwicklung eines sehr umstrittenen grünen Renommierprojekts, der Verkehrsberuhigung der Mariahilfer Straße in Wien? Für die Bauwirtschaft ist das ja nicht schlecht, aber die Geschäfte freuen sich weniger, die Autofahrer gar nicht.
Eines der Probleme unserer Gesellschaft ist, dass jegliche Änderung immer schwieriger wird, weil jede Veränderung irgend jemanden schlechter stellt und diese schlechter gestellten Menschen artikulieren sich besonders laut und immer lauter. Die Politik muss sich da gegen den Boulevard durchsetzen, wenn sie von dem überzeugt ist, was sie will. Ich glaube, die Mariahilfer Straße gibt uns Recht, dass das vernünftig war.
Hätte man es nicht besser managen und die Bürger einbeziehen können oder müssen?
Ich bezweifle, dass man es schlauer machen hätte können. Natürlich gibt es Leute, die das nicht wollen. Die haben das aufgeblasen. Ich glaube nicht, dass ein langer Planungs- und Diskussionsprozess dafür gesorgt hätte, dass das leichter über die Bühne geht. Jede große Änderung ist mit Konflikten behaftet. Und letztendlich gab es eine Abstimmung, die gut ausgegangen ist. Und es war natürlich ein Symbol, weit über Österreich hinaus.
Interview: Thomas Pöll