SOLID 05 / 2014 : Die kalte Fusion - Analyse zur Strategie von Lafarge und Holcim
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Am Schluss glich der Zieldurchlauf einem hektischen Gewusel. Dabei sollte es ein strahlender Endspurt werden. Die beiden Konzernlenker Rolf Soiron, Verwaltungsratspräsident von Holcim, und Bruno Lafont, Präsident und CEO von Lafarge, hatten über Monate einen klandestinen Verhandlungsmarathon organisiert, um die geplante Fusion ihrer Zementkonzerne an Medien und Börsenhaien vorbei auf Schiene zu stellen. Horden von bedeutungsschweren Medienberatern wurden dafür bezahlt, um die Nachricht zum passenden Zeitpunkt ins rechte Licht zu setzen.Und dann ist alles schiefgelaufen – und zwar ordentlich. Anfang April begannen die Aktien von Holcim und Lafarge – sonst träge wie Dornröschen – auf wundersame Weise bei steigenden Umsätzen nach oben zu klettern. Diverse Anleger begannen, sich in Aktien und Call-Optionen aufzustellen, mit denen man überproportional an einer positiven Kursentwicklung partizipieren konnte. Und letztendlich streute die Nachrichtenagentur Bloomberg die Nachricht, dass sich die globale Nummer 1 der Zementbranche mit der Nummer 2 ins Bett legen möchte. Das Vöglein war entkommen.Am 4. April mussten die beiden Konzerne Holcim und Lafarge in einer Feuerwehraktion per Eilmeldung verkünden, dass sie eine Fusion vorbereiten.
Notgedrungen kam es drei Tage später zu einer Pressekonferenz am Zürcher Flughafen, die eigentlich viel später hätte stattfinden sollen. Das Drehbuch lag schon seit längerem bereit: Von einer „Plattform“ war die Rede, die die Chancen des Wachstums nützen solle, und „außerordentliche Synergien“ würden gehoben, die den neuen Konzern entscheidungsfreudig und flexibel machen wollen – übliche Nebelbomben, die jede relevante Information umschifften.EinzementiertDurch die Fusion entsteht ein weltweiter Konzern mit 32 Millionen Euro Umsatz und Unternehmungen in 90 Ländern der Welt, der zuletzt ein EBITDA, also einen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen, von 6,5 Mrd. Euro erwirtschaftete. Das klingt nach einer Menge Reibach – und das ist es auch. Aber den Kernaktionären ist es zu wenig. Die Zementindustrie ist extrem kapitalintensiv: Ein Werk kostet mindestens 150 Mio. Euro bei hohen laufenden Kosten. Aus der Perspektive der Aktienanalysten müssen Zinsen für das eingesetzte Kapital in der Branche über einem Satz von 11,8 Prozent (vor Steuern) liegen, wie die NZZ in einer Betrachtung der Zementfusion ausrechnete. Das sind die kombinierten Kosten von Fremd- und Eigenkapital, die aus Sicht der Geldjongleure in einem attraktiven Investment derzeit verdient werden müssten.
Bei Holcim sank die Verzinsung des eingesetzten Kapitals (Return on Capital Employed: ROIC) auf zuletzt 6,5 Prozent – aus der Sicht der Aktionäre völlig unbefriedigend. Und das will man ändern: Wenn alles gut geht, soll die Fusion bis zum ersten Halbjahr 2015 über die Bühne gegangen sein. Dabei werden aber Kartellrichter auf dem gesamten Globus noch ein gewichtiges Wort mitreden. Konkurrenten und Kunden haben Schwierigkeiten, das Vorhaben einzuordnen. Es ist eher Unbehagen, das in den Branchengesprächen nach außen dringt. Richtige Empörung sieht aber anders aus. Die Gilde der Zementbrenner ist nach den Einbrüchen 2008 und 2009 in einen ganzjährigen Winterschlaf verfallen. Nur die eine oder andere Akquisition sorgt für temporären Wellenschlag – dann ist wieder Ruhe im Geschäft. Die Positionen sind seit Jahren einzementiert – und damit ist dieses Wortspiel hiermit verbraucht. Die Hauptabsicht des Mergers ist es, die beiden Unternehmen aus den eingefahrenen Bahnen zu hieven und wieder aktionsfähig zu machen.Wunder der SynergienEine Société-Générale-Analyse nennt die Preismacht als das stärkste Argument für eine Großfusion. Diese Begründung darf in der Fusion offiziell nicht angeführt werden, ohne die Widerstände der Wettbewerbsbehörden ins Unüberwindbare zu steigern. Daher werden Marktmacht- Ambitionen stets zurückgewiesen. Der zweite Hauptgrund: Fusionen erlauben Umstrukturierungs- und Einsparungsmaßnahmen, die im Tagesbetrieb nie durchgesetzt werden können. Aber auch dieses Argument darf nicht genannt werden. Daher betonten Holcim-Verwaltungsratspräsident Rolf Soiron und Lafarge-Chef Bruno Lafont am Zürcher Flughafen wiederholt, es gehe nicht um die Beseitigung von Überkapazitäten und Ineffizienzen. Was bleibt, sind die Wunder der Synergien, die in oft überhöhten Zahlen ins Treffen geführt werden. Bei LafargeHolcim, wie der neue Konzern heißen soll, hoffen die Konzernstrategen auf 1,4 Mrd. Euro. über drei Jahre, davon ein Drittel schon im ersten Jahr.Argumente wie interne Umstrukturierungen und Kostensenkungen sind in den Augen der Spin-Doktoren das Letzte, was bei einer Großfusion guten Wind bringt. Daher wird über die Reorganisationspläne geschwiegen. Weder die Holcim-Zentrale in Zürich noch das Lafarge-Headquarter in Paris wollten sich zu den Auswirkungen auf SOLID-Anfrage äußern. "No comment" hieß es auch aus den nationalen Gesellschaften der beiden Konzerne in Wien. Branchenkollegen wissen unter den Österreich-Mitarbeitern der Fusionspartner von Schockstarre anstelle von Euphorie zu berichten. Es wird um Jobs gezittert. Zwei Geschäftsführungen inkl. Stabsstellen wird der österreichische Markt sicher nicht benötigen. Wie Preisdurchsetzung in einem kontrollierten Markt funktionieren kann, hat einer der Kernaktionäre von Holcim bereits demonstriert: Filaret Galtschew, Mehrheitseigner des russischen Konzerns Eurocement, ist mit knapp elf Prozent zweitgrößter Eigner von Holcim. Der gebürtige Georgier ist der erste Industrielle in Russland, dem die dortigen Kartellbehörden die Zerschlagung seines Konzerns angedroht haben. Eurocement avancierte nach der Gründung 2002 schnell zum größten Zementhersteller Russlands. 2005 mussten die dortigen Wettbewerbsbehörden einschreiten, weil Galtschew die Preise angehoben hatte – um 80 Prozent.Keine Dinge beim Namen benennenNur ein klein wenig von dem, was die Akteure über die geplante Fusion zum Besten gaben, hatte mit Geld zu tun. Der geplante Zusammenschluss würde eine „optimierte Kapitalallokation im gesamten Konzern und damit einen verbesserten Return on Capital Employed (ROCE) ermöglichen“. Einer der vielen Gründe, warum angesichts einer Fusion zu einem 32-Mrd. Euro-Konzern praktisch nur Börsenkauderwelsch und in Allgemeinplätzen gesprochen wird, liegt in der Angst vor den Wettbewerbswächtern in Brüssel. Dort zählt die Zementbranche zu den Mauschlern der Weltwirtschaft. In Europa haben die beiden Fusionäre Holcim und Lafarge, aber auch Cemex aus Mexiko sowie die deutschen Hersteller HeidelbergCement und Schwenk gerade mal wieder eine juristische Niederlage erlitten. Die EU-Kommission hatte 2010 ein Verfahren gegen die Unternehmen wegen Behinderung des Wettbewerbs gestartet. Im März des Jahres gab der Europäische Gerichtshof den Wettbewerbsaufsehern recht. Der Abschluss des Verfahrens und die mögliche Höhe der Bußgelder stehen noch aus. Solche Prozesse spielten sich in den letzten beiden Jahren immer wieder ab, unter anderem auch in Indien und England. Aktuell prüft die EU-Wettbewerbskommission eine Cemex-Übernahme von Holcim-Werken in Spanien. Monopoly ist dagegen ein Spiel für Schnarchnasen.Es hat alles einen Sinn„Kartellgründungen führen im Durchschnitt zu Preissteigerungen von etwa 25 Prozent“, meinte der deutsche Wettbewerbsexperte Justus Haucap, Ex-Chef der Monopolkommission, im Interview mit der WirtschaftsWoche. Seine Expertise hat Gewicht: Die Monopolkommission berät die deutsche Bundesregierung auf den Gebieten der Wettbewerbspolitik und des Kartellrechtes. Weltweit wird geschätzt, dass LafargeHolcim einen Marktanteil von rund zehn Prozent abdecken wird – mit einigen Ausreißern: etwa auf den Philippinen (64 Prozent), in Frankreich (53 Prozent) oder Kanada (54 Prozent). In Deutschland vereinigt das geplante Firmengebilde immerhin rund 20 Prozent des Marktes auf sich.LafargeHolcim rechnet auch damit, in manchen Märkten Gesellschaften an den Mitbewerb abgeben zu müssen. Die Fusionsplaner bieten von sich aus an, „10 bis 15 Prozent des weltweiten EBITDA“ abzugeben. Betroffen sein sollen Geschäfte mit einem Umsatz von rund 5,5 Milliarden Euro, auf Stufe operativer Gewinn würden rund 1 Milliarde Euro wegfallen.Dafür würden Veräußerungsgewinne von mehreren Milliarden Euro die Fusionskasse füllen. In den Presseunterlagen von LafargeHolcim heißt dies „Strategische Portfoliooptimierung“.Konzentration in OstösterreichFür Österreich gibt es keine genauen Zahlen zu den Marktanteilen. Mitbewerber schätzen den LafargeHolcim-Anteil österreichweit ähnlich wie in Deutschland zwischen 15 und 20 Prozent ein. Das wäre nicht das Problem. Allerdings verfügt das Zementgeschäft über Besonderheiten: Es ist extrem regionalisiert.Zement ist ein Commodity, dessen Vertriebsradius kaum über 250 bis 300 km hinausgeht. Viele meinen, dass die Rentabilitätsgrenze bereits bei 150 km erreicht ist. Darüber hinaus wird der Straßentransport unwirtschaftlich. Marktmacht entwickelt sich dort, wo der Vertriebsradius einzelner Zementwerke sich überlappt. Aus konkurrierenden Marktanteilen werden durch die Fusion aber organisierbare. Und hier kommt es am österreichischen Hauptmarkt Wien, Niederösterreich und Burgenland zu einer LafargeHolcim-Macht, die nach Angaben von Baustoffgroßhändlern weit jenseits der 50-Prozent-Marke liegt. Mit den Werken in Mannersdorf und Retznei sowie den Kirchdorfer Zementwerken ist Lafarge, die 1997 die Perlmooser AG übernahm, in Zentralösterreich flächendeckend aktiv. Holcim verfügt in Österreich über keine eigene Zementmühle und ist im Zementgeschäft nur als Händler unterwegs: Die Schweizer setzen in Österreich nach eigenen Angaben rund 300.000 Tonnen Zement ab, die von Werken in der Slowakei, Tschechien und Ungarn nach Österreich importiert werden. Das für den Österreich-Markt bedeutendste Juwel ist dabei das slowakische Werk in Rohoznik, gerade einmal 80 Kilometer Luftlinie von Wien entfernt, das direkten Zugang zu Österreichs aktivster Wirtschaftsregion erlaubt. Dass Holcim in Österreich über keinen Produktionsstandort verfügt, macht für Robert Schmid, Eigentümer der Wopfinger Baustoffindustrie, keinen Unterschied in der Bewertung der Marktmacht: „Holcim ist auch ohne Österreichwerke ein Mitbewerber wie alle anderen.“ Die Staatsgrenze spiele bei den Vertriebsmöglichkeiten keine Rolle. Wopfinger-Zement ist mit der Zementmühle in Waldegg im Piestingtal (1,4 Mio. t/Jahr) der bei weitem größte Mitbewerber einer künftigen LafargeHolcim- Gruppe in Ostösterreich. Aus Sicht Schmids bleibt der Preis bei Zement und Beton – bei allen Qualitätsdifferenzierungen – das ausschlaggebende Argument. Schmid: „Wenn die Wettbewerbsbehörden ihre Aufgabe ernst nehmen, können sie eine derartige Marktmacht in Mitteleuropa nicht akzeptieren.“ Sein Vertrauen in die Institutionen ist aber endenwollend: „In der einen oder anderen Form wird es so kommen, wie die Kernaktionäre das wollen.“Kartellwächter wissen noch wenigFür die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde sind die Neuigkeiten am Zementmarkt von geringer Bedeutung. Wenn einmal die Kollegen in Brüssel sich in einen Fall eingeschaltet haben, bleiben die nationalen Kollegen außen vor. Das ist so ähnlich wie in einem amerikanischen Krimi, in dem sich die diversen Behördenvertreter lieber erschießen als zu kooperieren. Ob die Lupe der Brüssler Kartellwächter allerdings ausreicht, um die Befindlichkeit eines – aus ihrer Sicht – Mikromarktes in Österreich zu prüfen, wird angezweifelt. Aktivitäten der heimischen Bundeswettbewerbsbehörde sind dabei nicht zu erwarten. Zwar gebe es die Möglichkeit eines Amtshilfeansuchens aus Brüssel, dies sei aber ein selten bis kaum geübtes Verfahren, wie ein Sprecher der BWB mitteilt. Der Sprecher der Bundeswettbewerbsbehörde ist eindeutig: Aus der Fusion LafargeHolcim ist auf nationaler Ebene keine Prüfung anhängig.Strabag-ConnectionLafarge und Holcim haben nach der Fusionsankündigung signalisiert, bei den geplanten Deinvestitionen auf Standorte des jeweils schwächeren Marktpartners zu verzichten. Im österreichischen Absatzgebiet gilt dies für Holcim-Unternehmungen. Bei den österreichischen Lafarge-Aktivitäten im Zementbereich gibt es eine Besonderheit: 30 Prozent gehören der Strabag. 2010 bündelten die beiden Unternehmen ihre Zementaktivitäten in einer gemeinsamen Lafarge Cement CE Holding GmbH. Im Hintergrund standen damals die Pläne von Hans Peter Haselsteiner, sich eine eigene Zementproduktion zuzulegen. Zuerst wollte die Strabag im Jahr 2008 um 310 Mio. Euro mehrere Cemex-Zementwerke in Ungarn übernehmen, trat von dem Deal bei Ausbruch der Krise aber zurück und musste dafür im Vorjahr 44 Mio. Euro Konventionalstrafe zahlen. Unbeirrt setzte Haselsteiner seine Pläne durch den Bau eines unternehmenseigenen Zementwerkes im südungarischen Pecs (Királyegyháza) durch, um in der Region von den Zementlieferanten unabhängig zu werden. Er schien damit den Nerv der Direktoren getroffen zu haben: Bevor das ungarische Werk noch den Betrieb aufgenommen hatte, legten ihm die Franzosen ein Angebot, das er nur schwer ablehnen konnte: Strabag brachte damals in das neue Joint Venture eine (unfertige) Mühle ein, Lafarge hingegen steuert die vier Zementwerke in Mannersdorf (A), Retznei (A), Cižkovice (CZ) und Trbovlje (SI) bei – alle in ähnlichen Größenordnungen. Dafür erhielt die Strabag 30 Prozent, 70 Prozent hält Lafarge. Die Strabag hat – neben einem guten Deal – auf das Unternehmen ausreichend Einfluss, um den Eigenbedarf von 1,5 Mio. t Zement pro Jahr zu sichern. Lafarge wiederum hatte die lästigen Ambitionen eines Kunden mit Vorbildwirkung abgebogen, sich in Zukunft den Zement selbst zu brennen.Offiziell lassen die gegenwärtigen Fusionspläne bei Lafarge-Holcim die Strabag kalt. Für ihr Unternehmen ändere sich nichts, wie eine Sprecherin des Unternehmens betonte. Dies ist allerdings nur dann der Fall, wenn kommende kartellrechtliche Verkäufe in Zentraleuropa auf Holcim beschränkt bleiben. Wenn das Urteil der Wettbewerbshüter auf Lafarge-Standorte in Österreich/Ungarn/Slowakei niederprasselt, wird auch die Strabag überlegen müssen, was zu tun ist. Jetzt liegt der Ball bis weit ins kommende Jahr bei den Wettbewerbshütern in Brüssel. Die Details des Mergers werden bestimmen, wie stark die Kunden der Zement- und Betonkonzerne unter Druck kommen. An den Kapitalmärkten werden dazu diverse Spekulationen wieder für Kursbewegungen sorgen. Und den Insidern, die vor Bekanntwerden des Deals schon ihren Schnitt gemacht haben, winkt wieder fette Beute.