SOLID 02/2020 : ConTech oder Die Selbstvermarktung von Software in der Baubranche
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„Oh, so you work in ConTech?”
Mit dieser Frage wurde ich in meinen ersten Wochen in Stanford unzählige Male konfrontiert. Nicht so recht wissend, was das genau bedeutet, habe ich mich sehr bald dazu entschlossen, den Terminus zu googlen: ConTech (manchmal auch als ConstructionTech bezeichnet) ist ein Kurzbegriff, der alle Berufe, Ideen, Start-Ups zusammenfasst, die sich mit Software, Hardware, disruptiven Geschäftsmodellen oder Ähnlichem in der Baubranche beschäftigen. Die erste Lektion, die ich lernte, war also: egal was du tust, Selbstvermarktung steht an erster Stelle. Ich arbeite somit nicht mehr in der Digitalisierung in der Baubranche, sondern mache ab jetzt ConTech.
Je mehr ich den Begriff ConTech in Stanford verwende, desto mehr Türen öffnen sich. Ich gewinne Einblicke in einen Markt, den es in diesem Ausmaß bei uns in Europa (oder zumindest in Österreich) noch gar nicht wirklich gibt: bei ConTech handelt es sich hier um ein ganz neues Geschäftsmodell – noch dazu hochgradig angesehen, insbesondere bei Investoren (dazu gleich mehr).
Klassische Fragestellungen der aktuellen österreichischen Baubranche, wie „Brauchen wir Digitalisierung überhaupt?“ sind im Silicon Valley so tabu, wie auf der Straße ein Taxi anzuhalten (dafür gibt es vier verschiedene Apps, die sich täglich im Preis unterbieten) oder selbst in den Supermarkt einkaufen zu gehen (auch das erledigt eine App für mich).
ConTech ist „the next big thing” – darüber ist sich das Valley einig.
HealthTech, FinTech, PropTech - warum jetzt plötzlich Baubranche?
Das Unternehmens- und Strategieberatungsunternehmen „McKinsey“ veröffentlichte bereits im Jahr 2016 einen Bericht über die weltweite Digitalisierung in den verschiedensten Branchen und stellte im Zuge dessen (für Branchen-Insider wenig überraschend) fest, dass sich unsere geliebte Baubranche im Bereich Digitalisierung mit der Landwirtschaft den letzten Platz teilt. Ein neuerer und detailreicherer Bericht aus dem Jahr 2018 [1] sowie weitere ähnliche Publikationen weisen insbesondere auf zwei Bereiche hin, bei denen das Innovationspotenzial am größten ist: die Bauabwicklung selbst und die Verwendung von Daten. (Lt. einer aktuellen Studie werden nur ca. 11% der Daten in einem Bauprojekt automatisch von Software A zu B transportiert). [2]
Wie so vieles auf der Welt, werden große Trends zumeist von einem Faktor getrieben: Geld bzw. Investment. Dies trifft vermutlich an keinem Ort der Welt mehr zu als im Silicon Valley. Nach zahlreichen Gesprächen mit Venture Capitalists und anderen Investoren habe ich mittlerweile meine ganz persönliche Erklärung, weshalb der Bereich ConTech so interessant ist, gefunden: Investoren sind Analytiker und ständig auf der Suche nach dem „next big thing“. Nichts scheint demzufolge logischer, als sich nach HealthTech, FinTech,… auf Branchen zu stürzen, die bewiesenermaßen nicht nur ein großes Nachholpotenzial, sondern vor allem Beträge in Milliardenhöhe von A nach B transportieren (die Baubranche hat ein weltweites Volumen von 10 Trillionen $ und macht ca. 10% vom weltweiten GDP aus – wir sind also kaum zu überbieten). [3]
In ConTech steckt ein riesen großes Wachstumspotential – darüber sind sich die Investoren und Venture Capitalists im Silicon Valley einig.
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“Die erste Million geb’ ich dir auf Basis einer Powerpoint”
Diese Investoren, von denen ich soeben gesprochen habe, trifft man immer wieder. Die Welt, die zu Beginn so groß schien, ist im Endeffekt doch sehr überschaubar und vor allem aber exklusiv. Man kennt sich, man vertraut sich und man spricht sehr offen miteinander (non disclosure-agreements sind quasi ein Fremdwort). Wer denkt, „the next big thing“ finden zu können, muss sehr schnell und immer topinformiert sowie online sein. Insbesondere aber deswegen, weil der Ressourcen-Engpass hier auf der ungewohnten Seite ist: Investorengeld im Valley gibt es wie Mistkübel in Wien (funfact: in Wien kommt auf 100 Einwohner ein öffentlicher Mistkübel). Dennoch sind erfolgreiche ConTech Start-Ups (noch) Mangelmare. Was dazu führt, dass die wenigen Start-Ups, die es gibt, gerne überbewertet werden und mehrstellige Millionenbeträge einsammeln.
So auch in Stanford: Hier gibt es eine Straße (die sog. Sand Hill Road), auf der Venture Capitalists wie hungrige Löwen auf Studentinnen und Studenten warten, die Start-Up Kurse belegen. An manchen Tagen fühle ich mich wie in Wien auf der Triester Straße, oder in Bangkok auf einem Bazar: nur nicht zu viele Fragen stellen - es geht hauptsächlich um das schnelle Handeln. Ein kurzes drei-Satz-Intro (sogar Networking wurde hier ausoptimiert) und im Anschluss das Vernetzen auf LinkedIn – schon kann Geld fließen.
Genau so erging er mir vergangene Woche bei einem ConTech-Treffen, auf dem ein Venture Capitalist auf mich zukam und meinte, dass er mir die erste Million an Investment überweist, sobald ich eine PowerPoint-Präsentation über meine Idee mache. Im Silicon Valley investiert man nämlich in Teams, nicht in Produkte. Sobald sich ein Team zu einem Unicorn entwickelt, geht die Rechnung für die Investoren auf – und keiner denkt mehr an die anderen 100 Investments.
Das Geld liegt hier wortwörtlich auf DER Straße – nur kann es auf der Straße schlecht wachsen.
“Nachhaltigkeit lebe ich mittels Papierstrohhälmen und meinem Tesla - bei Geschäftsmodellen ist das sekundär”
Meiner Meinung nach sollte das Geld aber wachsen. Denn Die Idee hinter ConTech, HealthTech, FinTech oder jedem anderen Unternehmertum ist es doch eigentlich wirklichen Cashfow und Profit zu generieren – mittels eines Produkts, das der Branche tatsächlich nützt. Das ist die Stelle, an der die Silicon Valley Bubble meiner Ansicht nach beginnt, Risse zu bekommen: Nachdem „Fortschritt“ in dieser Bubble zu einem großen Teil Investoren getrieben ist (so auch der gesamte ConTech-Hype), werden Entscheidungen über Innovationen aus Investorenperspektive getroffen, deren Interesse oft ein kurzfristiges (zur Erklärung: Investitionszyklen liegen meist zwischen 4-10 Jahren) und weniger produktorientiertes ist, als das Interesse der Baubranche selbst. Aus diesem Grund sind die meisten ConTech Start-Ups auch schon wieder Geschichte, bevor wir davon überhaupt etwas gehört haben.
Die Frage, die ich mir stelle, lautet: Wie können wir dieses Phänomen als Baubranchen-Teilnehmer ändern und zu unserem Vorteil nützen? Wenn wir entscheiden möchten, wo die Reise der Innovation hingeht und Produkte wollen, die nicht reine Disruptoren sind, sondern uns als Unternehmen am bestehenden Markt und vor allem unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in ihrer täglichen Arbeit unterstützen, müssen wir darüber nachdenken, wie wir den (vor allem amerikanischen) Investoren den Wind aus den Segeln nehmen können, indem wir aus Europa heraus selbst investieren und mittels strategischen Partnerschaften Produkte mitkreieren, die uns nach vorne bringen. In diesem Sinne können wir nicht nur am „Geld wachsen“ teilhaben, sondern uns auch davor schützen, von Ländern mit mehr „Cash“ oder „Venture Capital“ komplett überholt zu werden. Meiner Meinung nach ist es nicht eine Frage des fehlenden Potenzials in Europa, sondern eine Frage der Einstellung.
[1] McKinsey&Company – Seizing opportunity in today’s construction technology ecosystem 2018, Seite 7 und 11
[2] Buchner, Sarah – Dissertation 2019, Seite 147
[3] https://foundamental.com/investment-thesis/ (Zugriff: 07.01.2020)