Es entspricht einem praktischen Bedürfnis bei der Abwicklung von Bauwerkverträgen, dass der Auftraggeber (AG) den Auftragnehmer (AN) zur Erbringung von einseitig angeordneten Leistungsänderungen verpflichten kann.
Die gesetzlichen Bestimmungen kennen ein solches Leistungsänderungsrecht des AG jedoch nicht, weshalb der AN nach dem ABGB keine anderen als die im Vertrag vorgesehenen Leistungen zu erbringen hat, es sei denn, er vereinbart dies mit dem AG. Aus diesem Grund wird das Leistungsänderungsrecht des AG auch in der Werkvertragsnorm ÖNORM B 2110 und in nahezu jedem Bauvertrag vorgesehen. Doch auch wenn die ÖNORM B 2110 (in ihrem Punkt 7.1) dem AG ein Leistungsänderungsrecht einräumt, bedeutet dies nicht automatisch, dass der AN jede vom AG angeordnete Leistungsänderungsanordnung willenlos umzusetzen hat.
Im Gegenteil: Der AN wird in der Praxis stets gut beraten sein, den konkreten Inhalt einer Leistungsänderungsanordnung zu prüfen, da schon die ÖNORM B 2110 Schranken für die Ausübung des Leitungsänderungsrechts vorsieht: Nach der ÖNORM B 2110 ist der AG nämlich nur dann zur Änderung des Leistungsumfangs berechtigt, wenn dies (kumulativ!) sowohl zur Erreichung des Leistungsziels notwendig als auch dem AN zumutbar ist. Zumutbar und erfolgsnotwendig oder nicht? Die Zumutbarkeit einer Leistungsänderung orientiert sich am technischen Know-How und den verfügbaren Ressourcen des AN und kann aufgrund eines solchen subjektiven Maßstabs stets nur im Einzelfall beurteilt werden.
Wenngleich auch die Notwendigkeit einer Leistungsänderung stets vom Einzelfall abhängig sein wird, ist für deren Bewertung jedenfalls ein objektiver Maßstab anzuwenden: Die Leistungsänderung muss nämlich zur Erreichung des Leistungsziels, das heißt zur Erreichung des vom AG angestrebten Erfolgs, notwendig sein. Dabei kann es sich somit lediglich um solche geänderte und/oder zusätzliche Leistungen handeln, ohne die die geschuldete Vertragsleistung nicht oder nicht fachgerecht ausgeführt werden kann. Dies kann lediglich aus zwingenden technischen Gründen (etwa Leistungen, deren Notwendigkeit sich erst während der Ausführung herausgestellt hat) oder aus zwingenden rechtlichen Gründen (etwa durch nachträgliche Behördenauflagen) gegeben sein. Mit anderen Worten: Dem AG steht nach der ÖNORM B 2110 somit nur dann ein Leistungsänderungsrecht zu, wenn die geänderte und/oder zusätzliche Leistung aus technischen oder rechtlichen Gründen zwingend notwendig ist, um die geschuldete Leistung fachgerecht auszuführen. Liegen derartige zwingend technische oder rechtliche Gründe nicht vor, ist die Leistungsänderung nicht notwendig und der AN kann die Ausführung der vom AG angeordneten Leistungsänderung ohne nachteilige Folgen ablehnen. Vollständige Änderungsbeschreibung Darüber hinaus hat der AG die geänderte oder zusätzliche Leistung inhaltlich bestimmt und vollständig zu beschreiben, dass für den AN kein Zweifel über deren Inhalt oder Umfang besteht. Dabei darf der AN dieselbe Qualität und Regelungstiefe der Leistungsänderungsanordnung wie bei der Ur-Ausschreibung erwarten, damit er das Zusatzangebot/die Mehrkostenforderung unter den gleichen Randbedingungen wie das Ur-Angebot erstellen kann. Im Falle einer konstruktiven Ur-Leistungsbeschreibung ohne Planungsverpflichtung für den AN bedeutet dies daher, dass der AG hinsichtlich der geänderten oder zusätzlichen Leistung die notwendigen Vorarbeiten (wie etwa Berechnungen, Bemessungen, Skizzen, Entwürfe, Detailplanungen und Mengenermittlung) schuldet.
Der AN schuldet dann lediglich das Auspreisen des Leistungsverzeichnisses samt den dafür notwendigen Vorleistungen (wie etwa die Preisanfragen bei Lieferanten und Subunternehmern oder Überlegungen zu Aufwands- oder Leistungswerten). Hatte daher der AN nach dem Urvertrag keine Planungsverpflichtungen, so beginnen solche auch nicht während der Ausführungsphase aufgrund einer Leistungsänderungsanordnung des AG. ZUSAMMENFASSUNG Der Auftragnehmer ist nur dann zur Ausführung der Leistungsänderung verpflichtet, wenn die Leistungsänderung sowohl notwendig als auch zumutbar ist. Eine Leistungsänderung ist nur dann notwendig, wenn sie aus technischen oder rechtlichen Gründen zwingend geboten ist, um die geschuldete Leistung fachgerecht auszuführen. Liegen derartige zwingend technische oder rechtliche Gründe nicht vor, kann der AN die Ausführung der vom AG angeordneten Leistungsänderung ohne nachteilige Folgen ablehnen. Die Leistungsänderungsanordnung muss dieselbe Qualität und Regelungstiefe wie die Leistungsbeschreibung des Ur-Vertrages aufweisen. Hatte der AN nach dem Urvertrag keine Planungsverpflichtungen, so schuldet er auch nicht die Planung für die geänderte oder zusätzliche Leistung. Counsel und Baurechtsexperte Bmstr. DI (FH) Dr. Thomas Anderl ist seit 2012 bei Wolf Theiss in der Praxisgruppe Immobilien- und Baurecht in Wien tätig. Er betreut und begleitet regelmäßig komplexe nationale und internationale Bauprojekte und vertritt Bauunternehmen vor Gerichten, Schiedsgerichten und FIDIC-Dispute Adjudication Boards. Außerdem war er über fünf Jahre lang als internationaler Claim-Manager in einem europaweit führenden Baukonzern sowie als Bautechniker bei einem namhaften Wiener Baumeister direkt in der Baubranche tätig. Dr. Anderl kann unter +43 1 51510 5494 und thomas.anderl@wolftheiss.com kontaktiert werden. Partner Mag. Wolfgang Müller leitet die Praxisgruppe Immobilien- und Baurecht von Wolf Theiss sowie das Baurechtsteam der Kanzlei. Er ist als einer der österreichischen Top-Anwälte in diesem Gebiet bekannt und regelmäßig in komplexe internationale Bau- und Entwicklungsprojekte involviert. In den letzten 16 Jahren hat sich Wolfgang Müller hauptsächlich auf projektbegleitende Beratung von Bauprojekten (Wohnbau, Infrastrukturprojekte, Tunnel und Kavernenbau, Kraftwerksbau, Anlagenbau, FIDIC Verträge, etc.) spezialisiert. Mag. Müller kann unter +43 1 51510 5490 und wolfgang.mueller@wolftheiss.com kontaktiert werden.