SOLID 07 / 2014 : Architekturbiennale 2014 - Von Fenstern, WCs und Profitsuche

Jeder Architekt ist ein bisschen schizophren. Er hat immer seinen einen Fuß in der 5.000 Jahre alten Geschichte der Architektur und den anderen in der Technologie der Zukunft – dieser Leitsatz charakterisiert den Aufbau der Ausstellung im Zentralpavillon der Architekturbiennale Venedig mit dem Titel „Elements of Architecture“.Der Biennale-Kurator Rem Koolhaas (vom Office for Metropolitan Architecture OMA) teilt die Elemente der Architektur in 12 Gruppen ein: Boden, Decken, Wand, Toilette, Fassade, Balkon, Fenster, Tür, Gang, Herd, Dach und Stiege. Er erzeugt verschiedene Wahrnehmungen und Situationen wie Archive, Museen, Fabriken, Laboratorien, Mock-Ups und Simulationen. Der etwas labyrinthisch anmutende Aufbau der Ausstellung steht nun auch im Zusammenhang mit der Vielgestalt der „Elements of Architecture“ mit ihren unterschiedlichsten Erscheinungsformen. Man muss sich Zeit nehmen, Muße – und dann kommen die Aha-Erlebnisse. Wer wusste etwa, dass die Burg Hochosterwitz im 16. Jahrhundert bereits ein ausgefeiltes Sicherheits- und Überwachungssystem besaß? Über einen ganzen Berg verteilt? Heute wird diese gesamte Technik, in einem kleinen PC versteckt, an Security Checkpoints und in der Haustechnik angewendet.Menschen sind auch nur ArchitekturbestandteileDie Ausstellung enthält eine große Anzahl von wirklich sehenswerten Originalen: Die Sammlung von originalen (Holz-) Fenstern aus England, Modelle von chinesischen Gebäuden (aus holländischen Museen), eine Sammlung von WCs, die von Marmortoiletten aus einem Stück aus Rom bis zu einem Hightech-WC aus Japan reicht (dieses sollte man als Datenschützer lieber nicht benutzen, da es anhand der Gerüche und Ausscheidungen Cholesterinwerte, Ernährungsgewohnheiten und andere Eigenheiten des Benutzers analysieren und speichern kann).

Echte Mauern aus Ziegel, mit Lehmputz, Kalkputz oder Ähnlichem versehen, Schilfmatten als Putzträger – wer kennt das noch, respektive sieht das je in natura?Auch der geschoßförmige Lift, mit dem 33 chilenische Bergarbeiter beim Unglück von San José 2010 aus der Mine gerettet wurden, ist interessant, faszinierend. Man fragt sich vielleicht, welches Architekturelement das wohl sei. Aber Koolhaas‘ Aussage lautet ja, dass auch Menschen zur Architektur gehören, auch Schicksale sind „Elements of Architecture“.Alles in allem ist es eine Übersicht über Materialien, Techniken, Anwendungsbeispiele, Traditionen, zeitgeschichtliche Hinweise und Querverbindungen, die ihresgleichen sucht. Selten bekommt der Bau- und Architekturinteressierte einen solchen Überblick geboten.Mehr als ein Baumarktkatalog?Man kann natürlich diese Zusammenstellung auch als Ausstellungskatalog der Bauwirtschaft betrachten, als etwas für die einfachen Geister – aber vielleicht reibt uns Koolhaas nur die Realität des Baugeschäfts unter die Nase?

Wenn er zum Beispiel darauf hinweist, dass der Raum über der sichtbaren Decke nicht mehr vom Architekten oder der Architektur bestimmt wird, sondern dass dieser Bereich den Installationstechnikern und Gebäudemanagern gehört und wir Nutzer uns nur noch mit der rasterförmigen Untersicht zufriedengeben müssen. Diesen Ansatz zeigt er sehr deutlich im großen Eingangsraum unter der kürzlich restaurierten, mit Fresken versehenen Kuppel.Oben in der Kuppel eine tolle Architektur – getrennt vom Menschen durch eine eineinhalb Meter dicke Technikschicht mit Röhren und Leitungen. Es wird auch deutlich und stimmt nachdenklich, dass der Architekt nicht mehr wirklich in die Entscheidung der einzelnen Architekturelemente eingebunden ist – Fenster, Türen, Böden und Fassadenelemente werden aus dem Regalfach der entsprechenden Baumärkte entnommen.Kritik klingt an, wenn man die Abteilung „Stiegen“ betrachtet: Einst waren es Elemente, die den sozialen Stand und Rang des Bewohners repräsentierten, heute sind sie von Gesetzen und Sicherheitsvorschriften bestimmt, gestaltet und standardisiert.Balkone, die früher als Ausdruck einer Macht oder Politik benutzt wurden, sind heute Anhängsel der Architektur zur Erzielung von Profit oder Begründung für Wohnbauförderung. Oder die Fenster: Wo ist die Handwerkskunst und Fertigkeit der Tischler – angesichts eines Roboters, der IKEA-like ein zigtausendfaches Öffnen vorführt – geblieben?

Manchmal kann man sich des Eindruckes eines gewissen Zynismus oder einer Resignation des Kurators nicht erwehren. Es scheint, als ob man in den Labyrinthen der Gänge (zum Thema Türen) einen Durchgang durch die Koolhaas’sche Psyche mitmacht. Verkündet Rem Koolhaas vielleicht das Ende der Architektur? Aber jedes Ende birgt auch einen neuen Anfang in sich.Russland, Deutschland, Schweiz, Österreich Eine ganz eigene, sehr parodistische Veranstaltung war „Fair Enough“ im russischen Pavillon. Dem interessierten Besucher erschloss sich bei den Gesprächen mit den „einzelnen“ Ausstellern die selbstkritische, sarkastische Präsentation des russischen Bauwesens: Es wurden von fiktiven Baufirmen und Immobilienbüros etc. ebenso fiktive, teilweise absurde Vorschläge zum (Neu-)Bauen angeboten. Unter vielsagenden Namen wie: Prefab Corp, Dacha Co-oP, Estetika Ltd, Lissitzky, Ark-Stroy oder „The Russian Council for Retroactive Developement“ traten, oft sogar verkleidete, Protagonisten auf, die einen Neo-Russia-Baustil verkauften.Deutschland präsentierte in dem – in der Zeit des Nationalsozialismus umgestalteten – Pavillon mit seinen viereckigen Säulen einen Nachbau des sogenannten Kanzlerpavillons bei Bonn. Vor dem Aufgang parkte dementsprechend eine schwarze Limousine, der letzte Dienstwagen von Kanzler Kohl.

Durch die Verschneidung der beiden, von unterschiedlichen Architekten geschaffenen Architekturen entstand ein dritter Raum, der mit den Erinnerungen der Besucher arbeitet, Erwartungen stört und andere bestätigt. Zwei Gebäude aus den letzten hundert Jahren verorten sich in einem und öffnen einen Assoziationsraum für die Diskussion über die (eigene deutsche) Geschichte.Der Schweizer Beitrag setzte sich mit den Arbeiten und Einflüssen von Lucius Burkhardt und Cedric Price auseinander: Der spaziergehende Denker unter den Architekturtheoretikern und der geniale Engländer, der eigentlich nur ein einziges Werk gebaut hat.Der österreichische Beitrag mit den ca. 200 um 90 Grad gedrehten und an die Wand gehängten Parlamentsmodellen der gesamten Welt ist vergleichsweise brav. Die Ausstellung nimmt Rücksicht auf die Struktur des Hofmann-Pavillons: ein klares Konzept, freie Gehfläche, links und rechts an Wänden – wie eine Schmetterlingssammlung – die Parlamente.

Das aufliegende Pocketbook gibt interessante Erkenntnisse über Demokratien und die einzelnen Architekturen auf der ganzen Welt. Herausgerissen wird diese Show der „Places of Power“ jedoch durch die Interventionen von Auböck/Kárász und Kollektiv/ Rauschen. Sie bringen mit dem Aufbrechen dieser Suprastruktur im Hof eine lebende Aktualität und den Bezug zur Welt in den Pavillon. Tiefer gehende Gedanken und Reflexionen vermisst man aber hier.Wenn schon Venedig, dann ItalienIm Arsenale begibt man sich in der sogenannten Corderie, der ehemaligen Seilmacherei, in die „Monditalia“. Koolhaas hat den gesamten Saal Italien gewidmet. Hier erschließt sich dem Besucher die ganze konzeptuelle Tiefe des Kurators. Eine Research-Biennale hat er angekündigt, und das ist sie auch geworden. Keine Selbstdarstellungsbühne für die großen Architekten der Szene, keine Show zum Konsumieren, zum Durchflanieren. Ein Durchgang ist definitiv zu wenig, man ist erschöpft.Auf ca. 400 Meter Länge präsentiert sich ein Scan des Landes Italien, mit allen Schwächen, Versäumnissen, großartigen Leistungen: Filme, Musik, Performance, auch eine Satire auf Berlusconi darf da nicht fehlen. Vom Süden in den Norden, bis an die österreichische Grenze reicht das Spektrum der Positionen.

Die Halle ist großzügig der Länge nach durch transparente Stoffbahnen geteilt, so kann die eine Seite mit den über 80 Filmausschnitten ungestört neben der anderen mit den ca. 40 Stationen existieren. Jede der Stationen ist durch eine Bodenmarkierung mit geografischer Länge und Breite genau verortet. Die abteilenden und begleitenden Stoffbahnen sind mit der Landkarte Italiens bedruckt – der Schlauch der Corderie passt ganz gut für den Grundriss des Gastgeberlandes. Texte sind in englischer und italienischer Übersetzung bereitgestellt.Man muss sie aber lesen, sich darin vertiefen, sonst versteht man nichts. Dass es zum Beispiel 14.000 Terroranschläge in den Zeiten der RAF in Italien gegeben hat. Das ganze Drama der Bootsflüchtlinge, die an der Südgrenze abgefangen und interniert werden, die Geschichte der Konzentrationslager im Faschismus, all die Geister der Vergangenheit. Die Überreste der großartigen Stahlbetonbauten und Industrieruinen. Eine Station der Hochgeschwindigkeitsbahn im Niemandsland wird zum Kunstprojekt, die Cinecitta wird occupata, Pompeji zum Spiel von Bauklötzen der Fundstücke.Es ist eine Darstellung voll von Selbstkritik, Tiefgang und Erkenntnissen – nicht umsonst schreibt man dem Kurator Rem Koolhaas eine Ausnahmestellung unter den heutigen Architekten zu.

(SOLID 07 / 2014)