Facharbeitermangel : Neue Wege für Lehrlinge - ein Lokalaugenschein

Strabag Campus Ybbs

Der Fachkräftemängel wird hier schon bei den Lehrlingen mittels neuester Simulatoren bekämpft.

- © WEKA Industrie Medien/Pöll

Moderne Ausbildungsstätte als Weiterentwicklung von Vorbildern

Wir treffen den zuständigen Strabag-AG-Vorstand Reinhard Kerschner und Campusleiter Gerd Egger vor dem Eingang, ziemlich genau zu Beginn der Jausenpause für eine Gruppe von Lehrlingen. Höfliches Grüßen, fast wie früher in der Schule, stellen wir fest und fragen uns, ob das extra einstudiert oder Usus ist. Im Lauf der Zeit werden wir lernen, dass es eher Zweiteres ist. Die Sitten sind weit nicht so rauh, wie man sie sich unter Baulehrlingen vorstellen würde, und auch davon lernen wir, dass es kein Zufall ist, sondern viel mit dem pädagogischen Ansatz hier zu tun hat.

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Doch der Reihe nach. Reinhard Kerschner hatte nach Besuchen in der deutschen Konzernwerkstätte im hessischen Bebra und mit seinen Kenntnissen der in die Jahre gekommenen und in einer einzigen Halle stattgefunden habenden Winter-Lehrlingsausbildung in Linz die Idee für eine moderne Ausbildungsstätte in Österreich in den Vorstand getragen: „Dort gab es für die Idee des Campus sehr schnell prinzipiell grünes Licht“, sagt er und er habe parallel zu den technisch-logistischen Dingen rund um Grund, Baubewilligung etc. Leitung gesucht und diese in Gerd Egger gefunden. Egger kommt ursprünglich aus Kärnten (wo es traditionell einen hohen Anteil an Eigenpersonal und damit die Notwendigkeit der Aus- und Weiterbildung gibt), war zuvor im Hochbau als Techniker, Bauleiter und Gruppenleiter tätig und kennt nach 25 Jahren in der Firma die Gepflogenheiten und Hintergründe.

Strabag Campus Ybbs
Campusleiter Gerd Egger (li.) und der zuständige Unternehmensbereichsleiter Reinhard Kerschner im SOLID-Gespräch. - © WIM/Pöll

Strabag Campus Ybbs - ein Lokalaugenschein

Explosion und Redimensionierung

Auch eine Baufirma sei als Bauherr nicht vor denselben Dingen gefeit wie andere Bauherren auch. Das Bauprojekt wäre zunächst „explodiert, dann wieder redimensioniert worden,“ sagt Kerschner. “Wir wollten auch euphorisch ein Eigen-BIM-Projekt machen und haben da am eigenen Leib unsere Erfahrungen gemacht“.

Am Ende wären eine gemeinsame Projektsteuerung durch Kerschner und Egger und ein Budget von ca. 10 Mio. Euro gestanden, genehmigt von Vorstand der Strabag SE, getragen von der österreichischen Strabag AG.

Parallel seien, erzählt Kerschner, langsam die heutigen Trainer ins Projekt gekommen und hätten sowohl am Projekt als auch gleichzeitig an der Erstellung der Lehrpläne gearbeitet und lächelt etwas hintergründig: „So haben wir am Ende genau das Projekt gehabt, das wir eigentlich nie wollen, nämlich planen und bauen parallel.“

Trotzdem wurden die Bauzeit von knapp einem Jahr bis September 2021 und die Kosten gehalten und man habe die gewünschte Qualität und Funktionalität bekommen. Gerd Egger ergänzt: „Das ist aber wahrscheinlich nur möglich gewesen, weil wir eine Art Team Concept hatten, in dem wir praktisch – wenn auch in unterschiedlichen Abteilungen - Auftraggeber und Auftragnehmer gleichzeitig waren.“ Das Unterbringungshaus für die Lehrlinge ist dabei im übrigen das erste reine Holzbauprojekt, das die Strabag gemacht hat (mit dem finnischen Spezialisten Stora Enso am Standort Ybbs als Partner).

Die Lehrlinge können hier in ungewöhnlich hohen Hallen mit aktuellstem Material üben.

- © WIM/Pöll

Zwischenbilanz: vieles funktioniert, manches nachjustiert

Im Oktober 2021 wurde der Campus offiziell eröffnet, der Lehrbetrieb begann allerdings schon im September mit Schulbeginn. Kerschner erinnert sich: „Niemand wusste, wie es wirklich werden würde, weil es für alle Neuland war“ Das Team um Gerd Egger hatte auch in lediglich einem Jahr alle Ausbildungspläne fertig gemacht. Die Ausbildungsverordnungen würden dazu ja lediglich einen Rahmen vorgeben, dann „haben wir uns dazu angeschaut, was Bauakademien und Berufsschulen machen und was auf der Baustelle für einen modernen Bauberuf gebraucht wird, das vielleicht nicht so in den Ausbildungsplänen steht.“

Gerd Egger: „Vieles hat funktioniert, manches musste nachjustiert werden. Aber wir wollen hier nicht nur die Lehrlinge zusammenziehen und ein bisschen mit ihnen üben. Das kann es nicht sein, das ist nicht unser Anspruch.“

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Beginn „vor der ersten schlechten Erfahrung“

Im Lauf der drei Lehrjahre absolvieren die Lehrlinge in Ybbs vier Lehrgänge. Den ersten im Umfang von vier Wochen ganz am Anfang, bevor sie auf die Baustelle kommen („vor der ersten schlechten Erfahrung“). Viele kämen ja aus baufernen Familien und würden die Dinge nicht kennen, die auf Baustellen manchmal Usus sind – „und wir können hier etwas dafür tun, dass die positiv einsteigen“

Der zweite – für Gerd Egger besonders wichtige - Lehrgang findet dann gegen Ende des ersten Lehrjahres statt und dauert fünf Wochen, in Summe mit dem ersten Durchgang und Berufsschule und Bauakademie sind die Lehrlinge die Hälfte der Zeit nicht auf der Baustelle. Dann gibt es noch zwei Lehrgänge zur Verfeinerung in den vier Sparten Hochbau, Tiefbau, Betonbau und Pflasterbau.

„Früher hießen ja alle Maurer, auch wenn sie im Tiefbau gearbeitet haben“, sagt Gerd Egger und nennt als Zielbild eines der Vielseitigkeit und der Lösungskompetenz. Das entspricht, ergänzt Reinhard Kerschner, ganz dem in der Strabag verfolgten Trend zum Generalunternehmer mit einem Baustellenmanagementstandard von einem erfahrenen Polier mit zwei bis drei hochqualifizierten Facharbeiten. Gerd Egger: „Der Stellenwert des Poliers wird noch höher werden in den nächsten Jahren. Hier die richtigen Leute zu finden, ist eine Herausforderung. Aber bei einigen der Burschen, die wir jetzt hier haben, weiß ich schon: das werden genau die zukünftigen Poliere werden.“



Wie lehrt man Lösungskompetenz, fragen wir? Durch Techniken für gehirngerechtes Lernen, sagt Gerd Egger, der sich persönlich als als langjähriger Fan von Weiterbildung in technischer, wirtschaftlicher und kommunikativer Hinsicht outet. „Es gibt da nicht nur Vortrag, nicht nur Präsentation und Nachmachen – die Burschen müssen selber etwas erarbeiten. Auch der Facharbeiter braucht ja die Fähigkeit etwas vorzutragen, denn er muss auch auf der Baustelle Auskunft geben können – zum Beispiel den Architekten, anderen Facharbeitern oder anderen Gewerken.“

Zum Abschluss gibt es Projektarbeit in Gruppen. Diese wird bewertet, beurteilt und geht dann in die Heimorganisation zurück. „So entwickeln die Burschen Selbstbewusstsein, Grüßen, Behilflichsein etc.“, meint Kerschner. „Diese allgemeinen und persönlichkeitsbildenden Themen sind fast ein ebenso großer Schwerpunkt wie die fachlichen.“

Die Themen des Persönlichkeitstrainings werden aber auch im Fachlichen aufgegriffen.

„Die Aufgabenstellungen der Projektarbeiten sind bei Beginn der Lehrgänge bekannt und begleiten die Lehrlinge dann durch den Lehrgang. Sie müssen auch lernen, verschiedene Perspektiven einzunehmen. Was wir hier etablieren möchten, ist eine moderne Arbeitspädagogik.“

Ein großes Ziel der aufwändigen Begleitung auf dem Campus ist aber auch, dass die ausgebildeten Lehrlinge danach bleiben. Kerschner: „Sonst haben wir zwar nur hoffentlich einen wertvollen Menschen mitgebildet, aber wir sind schon so egoistisch, dass wir uns wünschen, dass sie in unserem Unternehmen oder zumindest in der Bauwirtschaft bleiben.“