Digitalisierung : Der digitale Produktpass in der neuen Bauproduktenverordnung

Construction materials and tools on black background. 3d illustration

Die Neufassung der europäischen Bauproduktenverordnung EU 307/2011 wurde im Februar 2022 als Entwurf zur Stellungnahme vorgelegt und europaweit ausgiebig kommentiert.

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Rechtzeitige Beschäftigung ist jetzt essenziell

Die 2019 formulierten, ambitionierten Ziele der Europäischen Union für Nachhaltigkeit und Klimaschutz sollen durch eine Reihe von Verordnungen und Richtlinien erreicht werden. Im ersten Legislativpaket zum Green Deal legt die EU Kommission mehrere bemerkenswerte Vorschläge für den Rechtsrahmen vor.

Nicht alle Vorschläge haben das sogenannte TRILOG-Verfahren, also die Abstimmung der drei legislativen Körperschaften der EU (Kommission, Parlament und europäischer Rat) bereits beschlussfähig durchlaufen, und bei mancher Abstimmung kommt es im letzten Moment zu spektakulären Wendungen, beispielsweise beim Verbot von Verbrennungsmotoren in PKW ab Mitte der 2030er Jahre.

Die für das Bauwesen wesentliche Bauproduktenverordnung und Ökodesignverordnung liegen aber seit Februar bzw. Dezember in der finalen Fassung (Kompromissvorschlag) vor.

Deshalb ist die rechtzeitige Beschäftigung mit diesen Themen essenziell für den Fortbestand der Unternehmen ebenso wie für die gewünschten positiven Umwelteffekte.

Zugleich hat der bevorstehende Umsetzungsaufwand auch eine soziale Komponente, insbesondere im Bauwesen. Denn starke Ausweitung von Bürokratie und Nachweispflichten sowie Fremdüberwachung und Fremdzertifizierung können zu Mehrkosten und ungewollten Marktbeschränkungen führen welche am Ende von den Mietern der Wohnungen getragen werden müssen.

*Als österreichischer Delegierter zur CEN/CENELEC JTC 24 ist Bmstr. Handle intensiv in die Gestaltung der Rahmenbedingungen für den digitalen Produktpass involviert und entwickelt gemeinsam mit dem internationalen Forschungskonsortium ecolink.at die nötige Infrastruktur um die Herausforderungen des DPP auch für kleine und mittlere Unternehmen bewältigbar zu machen.

Neue Bauproduktenverordnung als Teil des green deal

Die Neufassung der europäischen Bauproduktenverordnung EU 307/2011 wurde im Februar 2022 als Entwurf zur Stellungnahme vorgelegt und europaweit ausgiebig kommentiert – nicht immer sehr freundlich. Gegenüber der früheren Fassung hat sich der Umfang mehr als verdreifacht. Leider nicht nur die Papiermenge, sondern auch die tatsächlichen Anforderungen an die Marktteilnehmer.

Fremdzertifizierung statt Eigenerklärung, laufende Fremdüberwachung und eine Vervielfachung der nachzuweisenden Eigenschaften, verbunden mit einer deutlich erweiterten (und sanktionsfinanzierten) Marktüberwachung sowie umfangreichen Möglichkeiten für die Kommission, ganze Produktbereiche per delegiertem Rechtsakt geschwind den Bestimmungen der Bauproduktenverordnung zu unterwerfen haben zu erheblicher Kritik der Brancheninsider geführt.

Nach eineinhalb Jahren intensiver Diskussion im TRILOG steht seit 1. Februar ein – noch nicht beschlossener – Kompromissvorschlag im Raum welcher zuerst einmal durch eine nochmalige Verdoppelung des Umfanges beeindruckt. Auf nunmehr 310 Seiten werden Erwägungsgründe und Paragraphen detailliert ausgeführt. Nachzulesen gerne unter dem Link in der Infobox.

Die Änderungen gegenüber der vorherigen Fassung sind umfangreich, vielfach aber vergleichsweise unspektakulär. Formulierungen vieler kritisierte Punkte wurden verbessert und sind jetzt verständlicher, ohne die tatsächlichen Problempunkte jedoch außer Kraft zu setzen.

Die Verordnung betrifft natürlich nicht nur das Bauwesen.

Wesentliche Änderungen im Kompromissvorschlag vom 1.2.2024

Neben reduzierten Rechtssetzungsmöglichkeiten über delegierte Rechtsakte wird anstelle der ursprünglich beabsichtigten zentralen europäischen Bauproduktedatenbank nun die Umsetzung des digitalen Produktpasses und ein europaweit einheitliches Produktklassifikationssystem gefordert.

Die Möglichkeiten der Kommission, mittels delegierter Rechtsakte bequem und umfangreich auf die Produktbereiche und Anforderungen Einfluss zu nehmen werden deutlich eingeschränkt. Konnte vorher nach Expertenkonsultation rasch agiert werden, ist nun in vielen Fällen eine vorherige Beauftragung der europäischen Normierungsstellen zur Erarbeitung einer harmonisierten Norm erforderlich. Erst im Falle des Scheiterns des Normierungsauftrages kann die Kommission selbst tätig werden.

Gegenüber der früheren Beschränkung der betroffenen Produktbereiche auf solche mit bestehenden harmonisierten Normen in der EU-BPVO 307/2011 stellt dies immer noch die Möglichkeit einer deutlichen Beschleunigung dar, aber doch entschärft gegenüber dem ursprünglichen Entwurf.

Eine wirklich wesentliche Neuerung betrifft die Art der dauerhaften Datenhaltung über Produkt- und Nachhaltigkeitseigenschaften von Bauprodukten. Im (an dieser Stelle stark kritisierten) ersten Entwurf war die Einrichtung einer zentralen, europaweiten Produktdatenbank für Bauprodukte durch die europäische Kommission vorgesehen. Alle Marktteilnehmer wären verpflichtet gewesen, innerhalb von zwei Monaten nach Inbetriebnahme dieser Datenbank die vollständigen Daten aller am europäischen Binnenmarkt platzierten Bauprodukte in dieser Datenbank zu hinterlegen.

Diese Verpflichtung wurde im Kompromissvorschlag gestrichen, die Zentraldatenbank entfällt ebenso. Stattdessen wurde die Verpflichtung zur Bereitstellung eines digitalen Produktpasses in die Bauproduktenverordnung aufgenommen und auf ca. 10 Seiten ausführlich beschrieben.


Damit rückt das Bauwesen in das Zentrum der Bestrebungen zur raschen Einführung des digitalen Produktpasses!

Angesichts des hohen Anteils des Bauwesens an Ressourcenverbrauch und Wertschöpfung in der europäischen Wirtschaft kommt dies wenig überraschend.

Doch selbst die neueste Fassung des Standardisierungsantrages der Kommission an das zuständige Joint Technical Comittee 24 „digital product passport“ der beiden europäischen Normierungsgremien CEN und CENELEC hatte dies vor wenigen Wochen noch nicht berücksichtigt.

Formulierungen vieler kritisierte Punkte wurden verbessert und sind jetzt verständlicher, ohne die tatsächlichen Problempunkte jedoch außer Kraft zu setzen.
Otto Handle

Bedeutung des digitalen Produktpasses

Die europäische Union beabsichtigt den in der als Ökodesignverordnung erarbeiteten Neufassung der Ökodesign-Richtlinie 2009/125/EG definierten digitalen Produktpass als zentralen Datenträger über alle umwelt- und ressourcenrelevanten Informationen über ein bestimmtes Produkt zu nutzen.

Die damit verbundenen Nachhaltigkeitsziele dienen der Umsetzung der 17 von der UNO definierten „sustainability goals“, indem sie zu einem Umbau der derzeit stark linear strukturierten Wirtschaft in eine echte Kreislaufwirtschaft führen.

Lineare Wirtschaftsformen tragen in hohem Maß zu Ressourcenverschwendung bei. Dem Beschaffen der Materialien folgt deren Verarbeitung, die Verwendung der erzeugten Produkte und deren Beseitigung am Ende des Lebenszyklus. Auch wenn es kaum zu fassen ist, stellt dies immer noch die häufigste Wirtschaftsform dar.

Kreislaufwirtschaft bezeichnet dagegen die laufende und idealerweise fast endlose Wiederverwendung der eingesetzten Ressourcen und umfasst legislativ nicht nur das Recht auf Reparatur, sondern eben auch sich laufend verschärfende Vorschriften zur Vermeidung geplanter Obdoleszenz, Dauerhaftigkeit, Recyclingfähigkeit und Trennbarkeit der Bestandteile.

Klingt gut, ist in der Praxis aber nicht so einfach. Wer schon einmal die Kosten der Reparatur einer Waschmaschine und deren Neukauf gegenübergestellt hat, kennt das Problem.

Ökonomisch ist Kreislaufwirtschaft aufgrund des nötigen Arbeitseinsatzes derzeit vielfach nicht darstellbar. Viele Produkte sind auch in kaum trennbarer Form konstruiert, und damit der Kreislaufwirtschaft schon deshalb kaum zugänglich.

Genau hier setzt nun der digitale Produktpass als Teil des Maßnahmenbündels der EU an. Alle nachhaltigkeitsrelevanten Informationen über ein Produkt sollen über die gesamte Lebensdauer des Produktes – und darüber hinaus – vorhanden und auf einfache Weise digital zugänglich sein.

Damit sollen nicht nur Verbraucher, sondern auch öffentliche Auftraggeber in die Lage versetzt werden „informierte Kaufentscheidungen“ zu treffen, um die Verbreitung umweltschonender Produkte zu fördern.

Der Digitale Produktpass begleitet somit das Produkt über den gesamten Lebenszyklus. Er ist dauerhaft online verfügbar und über Verlinkungsinformationen auf den Produkten (z.B. als QR-Code oder RFID-Chip) erreichbar und soll idealerweise für Verbraucher auch visuell ablesbar sein, z.B. in einer Form ähnlich den bekannten Energieverbrauchsetiketten auf Haushaltsgeräten.

Tatsächlich ist die neue Ökodesignverordnung das Nachfolgedokument zur Ökodesign-Richtlinie 2009, in der es vorwiegend um energierelevante Produkte ging.

Der digitale Produktpass umfasst Informationen über alle nachhaltigkeitsrelevanten Parameter des Produktes auf Artikel-, Chargen- oder Einzelproduktebene, und kann – je nach Berechtigungsumfang und Anwendungsfall – unterschiedlich detailliert abgerufen werden.

Wartungspersonal und Recyclingunternehmen erhalten sehr detaillierte Informationen, wobei auf die Urheberrechte des Anbieters im Berechtigungssystem Bedacht genommen wird. Verbraucher erhalten einen geringeren, für die Kaufentscheidung ausreichenden Informationsumfang.

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