Meinung : Bauproduktenverordnungsentwurf: Am besten zurück zum Start!

ÖSTV-Geschäftsführer Georg Matzner

ÖSTV-Geschäftsführer Georg Matzner plädiert dafür, neu zu beginnen und einen durchdachten und ausgereiften Vorschlag zu unterbreiten.

- © Thomas Topf

181 statt bisher 39 Seiten

Die Europäische Kommission (EK) hat wieder zugeschlagen: In mehreren Konsultationen konnten während der letzten Jahre am Thema Bauprodukte interessierte Wirtschaftskreise aus einer Liste mit fünf Möglichkeiten auswählen, wie die EK weiter mit der Bauprodukteverordnung verfahren sollte: Jedesmal wurde als bevorzugte Antwort: „A minor revison“, also „eine geringfügige Überarbeitung“ gewünscht. Jetzt muss man wissen: die Bauproduktenverordnung „alt“ hatte 39 Seiten.

Zur Überraschung vieler hat nun aber der Entwurf für die neue inklusive Anhänge: 181 Seiten! Man möchte nicht wissen, was bei einer „großen Überarbeitung“ herausgekommen wäre. Erstes Fazit: die EK zeigt wieder einmal deutlich ihr Desinteresse, sich an das Ergebnis ihrer eigenen Befragungen zu halten.

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Nachträgliche Ergänzung ist nötig, aber schlecht

Doch damit nicht genug. In dem 400 % längeren Text als ursprünglich ist vielen echten und sogenannten Experten jede Menge unklar. Zusammenhänge sind unverständlich, es wird auf andere - ebenfalls noch nicht beschlossene! - Rechtsakte der EU verwiesen und natürlich wird noch mehr in Tiefe und Breite geregelt.

Wenn man das ganze Dokument durcharbeitet, erkennt man, dass der Entwurf offensichtlich unfertig publiziert worden ist, weil die EK-Spitze meinte, er müsse im März 2022 veröffentlicht werden - und dieses unfertige Konvolut soll jetzt eben im EU-Gesetzwerdungsverfahren nachträglich ergänzt werden.

Wundertüte „delegierter Rechtsakt“ mal 19

Das Bedenklichste: wenn man nicht mehr weiterweiß und auch die Mitgliedstaaten keine Hilfe sind, dann hat sich die EK gleich an 19 (!) Stellen ermächtigt (oder besser: würde das gerne - zum Glück ist es derzeit nur ein Entwurf!), per „delegiertem Rechtsakt“ erforderlichen Regelungsbedarf zu erledigen. Nur zur Erinnerung, was mit einem solchen „delegierten Rechtsakt“ alles geregelt werden kann: Zur lange zwischen Europa-Parlament, Mitgliedstaaten und EK verhandelten und dann beschlossenen Taxonomie-Verordnung (welche ja regelt, was als nachhaltiges Investment bezeichnet werden kann) hat die EK in Eigenregie per delegiertem Rechtsakt ergänzend die Atomenergie als „nachhaltig“ eingestuft.

Delegierte Rechtsakte unterliegen kaum einer demokratischen Kontrolle, geschweige denn einem vollen Begutachtungsverfahren. Und leider setzt die EK das Rechtsinstrument des delegierten Rechtsaktes immer häufiger als Joker und Ersatz für durchdachte und langfristig planbare Politik in vielen ihrer politischen Vorhaben ein.

Dieser Entwurf bietet mehr Fragen als Antworten - genau das Gegenteil der dringend benötigten Planbarkeit und Rechtssicherheit.
ÖSTV-Geschäftsführer Georg Matzner

Normenstau: eine 23 Jahre dauernde Übergangsbestimmung

Damit nicht genug: Viele Begriffsbestimmungen in der Bauproduktenverordnung haben sich geändert, der Aufbau der Verordnung ist komplett neu gemacht worden und der Text ist eine vollständige Neufassung, ohne sich an der alten Fassung zu orientieren. Üblich bleiben gerade noch CE-Kennzeichnung, Leistungserklärung und ein paar andere Regelungen.

Massiv ausgeweitet wurde der Umweltbereich (z.B. müssen künftig mehr als zehn Parameter an Umweltauswirkungen für jedes Bauprodukt) ausgewiesen werden. Ein neues Verfahren zur Leistungsbeständigkeit wird ebenfalls eingeführt,

Und zum krönenden Ende: Damit die EK die bestehenden harmonisierten Normen nicht zurückziehen muss, sollen Bauproduktenverordnung alt und Bauproduktenverordnung neu bis 2045 (!!) parallel gelten. Weiters soll von den Betrieben innerhalb der EU noch zusätzlich zur Leistungserklärung eine Konformitätserklärung ausgestellt werden müssen, was aber an den EU-Außengrenzen künftig gleichzeitig nicht erforderlich sein soll (wieso eigentlich?) etc. etc.…die Liste ließe sich beliebig lange erweitern. Dass dieser Entwurf mehr Fragen als Antworten bietet, liegt auf der Hand. Alleine die Stellungnahme der WKÖ zu dem Entwurf ist 18 Seiten lang und sie ist beileibe nicht die einzig umfangreiche aus den Mitgliedsländern der Europäischen Union.

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Und jetzt?

Selten gab es so weitreichende Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Branchen, dass dieser Entwurf unausgereift, unbrauchbar, zu komplex und damit unannehmbar ist. Denn wenn der Entwurf unverändert angenommen wird, zahlen wir alle die Zeche für ein Bürokratiemonster, der gemeinsame Markt für Bauprodukte wird gefährdet und der Green Deal erfährt damit keinesfalls die Unterstützung, den sich die EK davon erhofft.

Fazit: am besten zurück zum Start – und mit den Betroffenen wirklich und ernsthaft reden!

Der Joker: Delegierte Rechtsakte

Ein delegierter Rechtsakt kann die gesamte Bandbreite von Regelungsbedürfnissen der Europäischen Kommission abdecken. Alles ist möglich, sogar das Grünwaschen der Atomenergie kann die EK hier hineinpacken. Damit bleibt aber offen, wie sich die Gesetzeslage im Bereich Bauprodukte entwickeln wird und was auf die Betriebe zukommt. Das bedeutet genau das Gegenteil der so dringend benötigten Planbarkeit und Rechtssicherheit. Dabei sollte (und wollte?) die EK einen durchdachten und ausgereiften Vorschlag unterbreiten.