Digitalisierung : Planradar: "Das wäre ja blöd von uns"
SOLID: Sie sind vor kurzem mit der Akquisition von über 60 Millionen Euro Investment in die Branchenschlagzeilen geraten. Das ist die bisher größte Kapitalrunde eines B2B-PropTech-Unternehmens in der DACH-Region und zugleich die höchste jemals erhaltene Series-B-Finanzierung eines B2B-Unternehmens in Österreich. Wir kennen Planradar und da vor allem ihren Mitgründer Domagoj Dolinsek seit mittlerweile gut sieben Jahren. Ist Planradar – das damals ja noch Defektradar hieß – jetzt eigentlich noch ein Startup oder eine ausgewachsene Firma?
Ibrahim Imam: Wir sind eine ausgewachsene Firma mit Startup-Mentalität. Wir sind ja auch noch das Gründungsteam vom Anfang, sind aber natürlich schon viel größer geworden.
Zuletzt haben Sie auch im Ausland vermehrt Aufträge bekommen. Was ist da das letzte große Projekt aus Ihrer Sicht?
Imam: Das ist sicher der Warsaw Tower – das höchste Gebäude Europas sogar inklusive UK, sogar noch 30 oder 40 Zentimeter höher als The Shark in London.
Wie sind Sie da hineingekommen?
Imam: Einer unsere Bestandskunden (der Entwickler HB Reavis aus Bratislava, Anm.) hat dort den Auftrag bekommen mitzuwirken und hat uns ins Boot geholt. Mittlerweile sind auch einige andere dort engagierte Unternehmen unsere Kunden. Ein anderes Lighthouse-Projekt ist die Peljesac-Brücke, die die beiden noch nicht verbundenen Teile Kroatiens in Dalmatien miteinander verbindet.
Das ist auf jeden Fall ein weiter Weg vom einstigen Mängelmanagement – wie verlief der?
Imam: Wir haben uns einfach über die Jahre vom reinen Mängelmanagement zu einer Plattform entwickelt, auf der sich alle möglichen Teilnehmer wiederfinden und ihre Systeme andocken können. Das war auch durch den relativ frühen internationalen Appetit auf unser Produkt möglich, weil das natürlich Investoren angezogen hat.
Was dürfen wir uns unter internationalem Appetit vorstellen? Wie sind Sie das Thema angegangen?
Imam: Die erste Expansionswelle hat uns von Wien nach Südosteuropa, konkret nach Zagreb geführt und fast gleichzeitig ging es nach London.
Warum gerade diese beiden Märkte?
Imam: Das war insofern interessant, weil der technologische Fortschritt in diesen beiden Ländern so unterschiedlich ist und wir die Learnings gut miteinander verbinden und unser Produkt am Markt testen konnten. Für UK haben wir ja ein sehr kompetitives Produkt im Preis-Leistungs-Verhältnis, das gleichzeitig mittlerweile den gesamten Lebenszyklus einer Immobilie abdeckt. Und in Südosteuropa ging es bald darum, zum Marktstandard zu werden. Dazwischen bewegt sich alles andere und mittlerweile haben wir in den letzten 18 Monaten in jeder wesentlichen Metropole in Europa eine 100 Prozent-Niederlassung gegründet.
Sander Van De Rijdt: Vielleicht ist es wichtig anzumerken, warum wir überhaupt selber und lokal in die Märkte gehen und nicht über einen Partner? Wir haben Ende 2015 oder Anfang 2016 mit Online-Kampagnen begonnen und plötzlich gesehen: hoppla, da kommen Kunden aus Ländern, die wir gar nicht adressiert und noch nie gesehen haben! Das war ein völlig personenunabhängiger Vertrieb. Am Anfang waren das vor allem kleinere Unternehmen, die man online abwickeln konnte. Gleichzeitig hatten wir hier schon große Kunden wie ATP oder Porr, die auf uns gesetzt haben. Das zusammen hat uns schnell dazu geführt zu wissen: um Enterprise-Kunden betreuen zu können, reicht es nicht, diese Online-Präsenz zu haben, sondern man muss im Markt sein und mit den Leuten sprechen. Am Ende des Tages ist es wie überall Peoples Business – gerade in unserer sehr traditionellen Branche. – Letzteres hat den Vorteil, dass 60 bis 70 Prozent unserer Kunden vorher Bleistift und Papier verwendet haben und wir da natürlich unerhörten Mehrwert schaffen.
Heißt das, dass die Internationalisierung quasi passiert ist?
Imam: Wir haben das schon geplant, aber der Bedarf war viel schneller und größer, als wir das am Anfang erwartet haben. Eigentlich ist es aber logisch, weil die Kundenbedürfnisse ja auch international die gleichen sind und die großen Kunden ja selber auch international agieren.
Van de Rijdt: Bis zu einem gewissen Grad ist es schon einfach passiert. Einer der ersten, die uns international mitgenommen haben, war zum Beispiel die Delta mit ihren Niederlassungen in der Ukraine und in Tschechien. Aber ab dem Zeitpunkt, zu dem wir die Marktopportunitäten erkannt haben, sind wir es dann fokussiert und strukturiert angegangen.
Wie überraschend war es für Sie, dass das Produkt rein technisch gesehen international funktioniert hat? Es gibt ja doch sehr unterschiedliche Standards, Normen etc. in den Ländern.
Imam: Stimmt. Wir kennen viele Software-as-a-Service-Unternehmen, bei denen es tatsächlich so ist, dass schon ein Sprung von Westösterreich nach Ostösterreich ein massiver Aufwand ist – von internationalen Grenzen gar nicht zu sprechen. Dadurch, dass wir relativ früh schon mit unterschiedlichen Regulatorien konfrontiert waren, haben wir unser Produkt schon von Grund auf so gebaut, dass es der User in Eigenregie komplett an seine Bedürfnisse anpassen kann. Und genau durch diese Flexibilität sind international immer mehr Kunden gekommen.
Wie funktioniert das mit internationalen Normen, zum Beispiel?
Van de Rijdt: Wir haben schon Templates, aber der User kann das wirklich selber anpassen und seine eigenen Templates entwickeln. Und natürlich gibt es im Bedarfsfall Unterstützung von uns. – Vielleicht war das auch einer der wenigen Vorteile dessen, dass wir im DACH-Raum gestartet sind, dass wir gezwungen waren, alles so flexibel zu gestalten. Und plötzlich könnten auch der Australier und der Südamerikaner damit arbeiten.
Und genau dieser Ansatz hat es uns auch ermöglicht, vom reinen Mängelmanagement weg unser Portfolio hin zum gesamten Lebenszyklus zu erweitern.
Wie kommt es, dass die Führungsmannschaft immer gleich geblieben ist und sie noch nicht per Verkauf Kassa gemacht haben wie viele andere Startups?
Van de Rijdt: Das ist unsere große Stärke. Domagoj (Dolinsek) hatte die Idee und uns beide angesprochen. Wir beide hatten noch eine andere Firma, die wir übergeben haben. Gleichzeitig gab es noch Constantin (Köck) und Clemens (Hammerl), die den Technikbereich gemacht haben. Wir hatten sehr viel unterschiedliches Domain-Knowhow und passen menschlich und professionell sehr gut zusammen. Wir haben uns alle komplett auf das Projekt geworfen und uns 2017 dazu entschlossen, Risikokapital aufzunehmen und haben unter anderem mit der Berliner Volksbank ein Unternehmen gewonnen, das gar nicht für Startup-Investitionen bekannt war, sich aber in der Bau- und Immobilienbranche gut ausgekannt hat. Das hat unserem Standing schon geholfen. Mitte 2017 haben wir dann den Namen auf Planradar geändert, weil das Produkt auch schon viel mehr konnte und „Defekt“ ja ein bisschen negativ konnotiert ist, auch auf Baustellenplanen etc. Und dann ging es Schritt für Schritt weiter.
Das Produkt hört sich technisch so einfach an – warum machen das nicht viele andere auch?
Van de Rijdt (lacht): Wenn sie unserem CTO sagen, dass es technisch einfach ist, schlägt er die Hände über dem Kopf zusammen! - Es ist vermeintlich einfach und für den User keine Rocket Science. Aber dass alles auf jedem Endgerät und in dieser Schnelligkeit funktioniert, ist nicht so einfach zu kopieren.
Man könnte sich auch vorstellen, dass größere Firmen sich die beiden Techniker holen wollen, oder?
Imam: Das haben schon einige versucht. Aber der Wohlstand basiert auf Spezialisierung und unsere Stärke der Komplementarität des Gründungsteams ist nicht so leicht zu kopieren und der Erfolg ist ein Teamerfolg, dessen Mentalität sich auch auf alle Niederlassungen überträgt.
Wo soll das Wachstum noch hinführen?
Van de Rijdt: Wir sind sicher in der DACH-Region am stärksten und stehen, was das Potenzial betrifft, trotzdem erst ganz am Anfang. Und in den anderen Märkten geht es überall los. Aktuell stehen wir bei knapp über 15.000 Kunden – und allein in Westeuropa gibt es potenziell 2,5 Millionen Unternehmen, die unsere Kunden sein könnten. Unser ursprüngliches Ziel haben wir 2019 schon erreicht. Aber wenn wir jetzt aufhören und Kassa machen würden – was schon mehrmals möglich gewesen wäre -, wären wir eigentlich enttäuscht. Das wäre ja blöd von uns.