Österreich : Österreichs Wirtschaft in Gefahr? – Chefredakteure branchenübergreifend zu Kriegsauswirkungen
Industrie, Automobilindustrie sowie Gebäudetechnik- und Bauindustrie – alle diese Branchen sind vom Krieg Russlands in der Ukraine betroffen. Und das auch in Österreich. Die Probleme die der Krieg auslöst – etwa in den Lieferketten, gestiegenen Energiepreise, Sorgen um die Gasversorgung und Arbeitskräftemangel – mögen unterschiedlich stark ausgeprägt sein und unterschiedlich bekämpft werden. Doch sie bestehen branchenübergreifend und ziehen große wirtschaftliche Folgen sowie Unsicherheiten nach sich.
Letzte Woche kündigte die Strabag ihren Syndikatsvertrag mit der russischen Rasperia Trading auf – nicht gerade eine nebensächliche Meldung für die Bauindustrie, ist die Strabag doch der sechstgrößte Baukonzern Europas. Experte Thomas Pöll, Chefredeakteur des Baumagazins Solid bei WEKA Industriemedien, spricht hier vor allem von einem großen symbolischen Wert: „Ich glaube, es war sehr wichtig für die Strabag, dieses Signal zu setzen.“ Zwar gehören dem als Putin-nah bezeichneten Oligarchen Oleg Deripaska weiterhin seine Anteile und der Vertrag wäre ohnehin bald ausgelaufen – doch Deripaska wird nun wohl nicht mehr in Entscheidungen miteinbezogen. „Bereits 2014 war das Russland-Engagement der Strabag ein Thema“, erinnert sich Pöll. „Davor war eigentlich der Plan, bis zu einem Drittel des Geschäfts in Russland zu machen. Der ist schief gegangen – mittlerweile kann man sagen, zum Glück.“
Hier geht es zur kompletten Analyse der Syndikatsvertragskündigung
Signalwirkungen und Strategien
Paukenschläge wie den der Strabag-Geschichte gibt es in der Industrie derzeit genug. Die teilstaatliche OMV hat kürzlich in ihrer „Strategie 2030“ präsentiert, sich vom Mineralöl weg und zu Chemie sowie Kunststoff hin zu bewegen. „Der zeitliche Zusammenfall mit dem Krieg in der Ukraine entbehrt nicht einer gewissen Ironie“, äußert sich Industriemagazin-Chefredakteur Rudolf Loidl dem Namen der Runde entsprechend „ohne Filter“. Schließlich sei die OMV immer ein bisschen ein Vehikel der österreichischen Außenpolitik in Richtung Russland gewesen. „Wenn man sich aber die strategischen Entscheidungen der letzten zehn Jahre ansieht, war sie eher ein Vehikel der russischen Außenpolitik in Österreich.“
Gemeint sind damit Entscheidungen, die einer Diversifikation im Gasbezug Österreichs – dieser kommt nämlich zu 80 Prozent aus Russland – entgegengewirkt haben: Riesige Ölfelder im Zusammenhang mit dem Petrom-Kauf wurden nie erschlossen, die Nabucco-Pipeline kam nie, ebenso wenig die Pipeline South Stream, die zu 50 Prozent nicht-russisches Gas hätte liefern sollen.
Energiekosten – es geht um die wirtschaftliche Existenz
Stichwort Energielieferungen. Die Transportwirtschaft ist abhängig von Diesel, massive Preissteigerungen seit Jahresbeginn sorgen für entsprechende Verwerfungen in der Branche. Während an der Zapfsäule die Preise um bis zu 45 Prozent höher sind, waren sie am Großhandelsmarkt zuletzt sogar noch höher. „Es kam hier innerhalb weniger Tage zu Preissprüngen von um die 90 Prozent“, weiß Ludwig Fliesser, Clustermanager des Bereichs Automotive bei WEKA Industriemedien. Werden die gestiegenen Selbstkosten nicht an die Kunden weitergegeben? „Im Monats- oder Quartalsrhythmus, ja. Aber sicher nicht auf Tagesbasis“, sagt Fliesser. Das Resultat: „Die Dieselkosten machen inzwischen rund 30 Prozent der Gesamttransportkosten aus“. Transporteure fahren also effektiv Verluste ein.
Praktisches Beispiel Müller Transporte mit Hauptsitz in Wiener Neudorf. Rund 380 Maschinen, Bedarf an 500.000 Liter Diesel allein in einer Woche. Die Mehrkosten liegen hier demnach schon bei mehreren hunderttausend Euro. „Wenn sie überleben wollen, wird Transporteuren also gar nichts anderes übrigbleiben, als die Kosten an ihre Kunden weiterzugeben“, so das bedrückende Resümee von Fliesser. Während für viele Privathaushalte die Spritkosten also sicherlich schmerzend sind, sind sie für Unternehmen existenzbedrohend.
Das große Standortproblem
Doch private Haushalte haben energietechnische auch noch eine andere Sorge: den möglichst schnellen Ausstieg aus Gas, weil die Heizkosten nicht mehr tragbar sind oder bald nicht mehr tragbar sein könnten. Bei Installateuren gehen wegen Wunsch nach Heizungstausch derzeit so viele Anfragen ein wie noch nie zuvor. „Das ist schon seit Jahrzehnten ein faszinierendes Phänomen in der Gebäudetechnik, dass die Endverbraucher Investitionsentscheidungen in Heizkessel von aktuellen Energiepreisen und Schlagzeilen abhängig machen“, zweifelt Klaus Paukovits, Leiter des Clusters Gebäudetechnik bei WEKA Industriemedien, ein wenig an der Planungsfähigkeit des Menschen. Wann immer der Ölpreis nach oben geht, geht der Absatz von Heizölkesseln nach unten, und umgekehrt.
Das führt zu einem mehr oder weniger kurzfristigem Problem: Auch hier sind Lieferkettenprobleme, wie in so vielen anderen Bereichen, spürbar. So viele Heizungen wie derzeit gewünscht kann die Industrie nicht liefern. Eine mittelfristige Folge des Bloß-weg-vom-Gas-Trends für die Gebäudetechnik: „Kein Investor, der halbwegs bei Sinnen ist, wird heute noch ein Neubauprojekt mit Gasheizungen planen.“ Und langfristig: In Österreich werden gut 900.000 Haushalte, also etwa 30 Prozent, mit Gas beheizt. Dazu kommt noch Fernwärme. Wie man davon wegkommen soll, kann sich Paukovits nicht erklären.
Während es für Privathaushalte – Engpässe in den Heizungslieferketten mal beiseite – zumindest Alternativen zum Gas gibt, gibt es diese für die Industrie kaum. Und diese bezieht rund 60 Prozent der österreichischen Importe – „das große Standortproblem“, wie Rudolf Loidl es nennt. Denn zehnmal so hohe Gaspreise wären für die internationale Wettbewerbsfähigkeit katastrophal – besonders für energieintensive Industriezweige wie etwa Aluminium und Zement.
Gemeinsames Problem, das keines sein müsste
Ganz neu sind die Entwicklungen freilich nicht. „Vertreter der Baubranche sehen diese eigentlich schon seit letztem Sommer. Und das in jeder Form – in den Lieferketten, den Energiepreisen, in der Inflation“, so Pöll. Und auch der Gas-Konflikt zwischen Russland und Ukraine ist nichts neues, erinnert Paukovits. Bereist 2006 musste in Österreich Gas rationiert werden, die Industrie sich hintenanstellen, damit genug für die Haushalte blieb. Die Abhängigkeit von Russland wurde aber in weiterer Folge nicht gesenkt, sondern sogar noch erhöht. „Man hat sich auf das Argument versteift: Die Russen werden immer liefern“, so Loidl.
Über Alternativen zu russischem Gas wird entsprechend viel geredet. Was Paukovits dabei stört: Die Ernsthaftigkeit fehle. Selbst produziertes Biogas könne maximal ein Viertel der Importe ersetzen; Power-to-Gas habe bisher noch kein einziges wirtschaftlich sinnvolles Projekt vorzuweisen; für LNG gebe es praktisch keine Leitungskapazitäten.
Ein gemeinsames Problem also der verschiedenen Branchen – doch es müsste kein gemeinsames sein. Denn während die produzierende Industrie und Transportwirtschaft weitestgehend (noch) nicht ohne fossile Brennstoffe können, müsste das in der Gebäudetechnik nicht der Fall sein. „Wir wissen seit 30 Jahren, dass hier das Ausstiegsszenario Eins das aus den Fossilen ist. Doch viel passiert ist nicht“, so Paukovits weiter.
Trotz allem Optimismus?
Befindet sich nun Europa durch den Krieg – auch aufgrund anderer „Baustellen“, doch nicht zuletzt aufgrund der Energieprobleme – bereits in einer veritablen Wirtschaftskrise oder steht diese vor der Tür? „Wenn sich die derzeitige Situation zu einem Stellungskrieg entwickelt“, fasst Pöll die Ansicht einiger Vertreter der Bauwirtschaft zusammen, „so wird man sich daran gewöhnen – das ist die traurige Wahrheit.“ Eine Wirtschaftskrise im Sinne von großen Problemen in Österreich wäre das wohl eher nicht. Dem stimmt Loidl zu und verweist auch auf die sich wieder leicht stabilisierenden Ölpreise. „Auch der Nachholeffekt nach der Corona-Pandemie könnte uns in den nächsten Monaten einen gewissen Drive verleihen – auch wenn das wiederum zu Engpässen auf bestimmten Märkten führen könnte.“ Loidl sieht auch bei aller Tragik eine gewisse Chance für Unternehmen, sich nun Richtung Westen zu orientieren.
Dass der Krieg Auswirkungen auf unser aller Leben und auf die Wirtschaft hat, darauf müsse man sich letztendlich einstellen, sagt Fliesser. „Das Beunruhigende ist, dass man noch nicht sieht, wo das alles hinführen wird. Es wäre natürlich katastrophal, wenn sich der Krieg nun über Jahre hinzieht.“ Seit dem zweiten Weltkrieg ist es bis auf Dellen wirtschaftlich aufwärts gegangen – das könnte nun erstmal vorbei sein. „Aber“, zitiert Fliesser Ex-Kanzlerin Merkel, „wir schaffen das. Da ist unsere Wirtschaft grundsätzlich stark genug aufgestellt.“