SOLID 12/2021 : Öko-Fußabdruck aus dem BIM-Modell
Die Delta-Gruppe für Architektur, Generalplanung, Baumanagement und IT versucht sich seit längerem an einer „grünen“ Orientierung ihrer Tätigkeit und ist auch im Bereich Building Information Modeling (BIM) seit Jahren am Drücker. Nicht ganz unlogisch also, dass bei Geschäftsführer Wolfgang Kradischnig & Co. die Frage aufkam, wie man aus einem BIM-Modell auf effiziente Weise auch den ökologischen Fußabdruck eines Gebäudes berechnen könnte. Kradischnig erklärt: „Ziel unserer DELTA green line ist, Projekte nachhaltiger zu machen. Das Ziel, alle Projekte zu 100 Prozent nachhaltig zu machen, mussten wir allerdings aufgeben – das geht vielleicht bei einem von 30 Projekten. Aber ich bin überzeugt, dass es früher oder später durch den EU Green Deal auch gesetzlich notwendig sein wird, von jedem Gebäude einen „grünen“ Gebäudepass zu haben, in dem auch der ökologische Fußabdruck aufscheint. Und da haben wir uns auf den Weg gemacht.“
BIM4eco, sagt Kradischnig, hätte zuerst nur eine interne Lösung bei Delta sein sollen. Dazu habe man mit Dr. Meliha Honic als Projektleiterin eine kongeniale Partnerin gefunden. Meliha Honic ist Post-Doc-Assistentin im Forschungsbereich Integrale Bauplanung und Industriebau am Institut für Interdisziplinäres Bauprozessmanagement der TU Wien bei Prof. Iva Kovacic und leitet dort den Forschungsschwerpunkt „Digital Platforms for Circular Economy“. Bald habe man aber den Entschluss gefasst, das Vorhaben doch größer aufzusetzen: Bei einem Call for Innovation im Herbst 2020 wurden die österreichischen Partner IBO (konkret: Baubook mit Geschäftsführerin Hildegund Figl) und AIT mit an Bord geholt und ein Antrag auf Fördermittel bei der FFG gestellt. Nach einer raschen Genehmigung des Forschungsprojekts erfolgte der Projektbeginn mit 1.7.2021.
Österreichische Lösung – aus mehreren Gründen
Der Tenor bei den Themen Nachhaltigkeit und BIM ist, man müsse an internationalen Lösungen arbeiten: EU-Taxonomien, buildingSMART-Standards und so weiter. BIM4eco ist ein Beispiel dafür, dass das in der Nahaufnahme alles andere als einfach ist.
Kradischnig: „Ich bin heute heilfroh, dass wir uns für diese österreichische Konstellation entschieden haben. Die deutsche ÖkoBauDat ist zwar sicher mächtiger als das Baubook des IBO, aber sie rekurriert auf deutsche Lieferanten und Taxonomien – und wir wollen Entwicklungen am österreichischen Markt vorantreiben.“
Baubook-Geschäftsführerin Hildegund Figl sitzt wie Kradischnig, Projektleiterin Meliha Honic, Architektin Ana Jugovic und Jan Kurzidim vom AIT am Tisch, als wir das Projekt erklärt bekommen und unsere Fragen stellen. Sie pflichtet Kradischnig bei: „Baubook kooperiert in manchem zwar mit der ÖkoBauDat, aber die Methoden sind einfach nicht vergleichbar, bei den Baustoff- und Ökobilanzdaten ist es leider schwierig. Es gibt zwei große Datenbanken, die international sehr verbreitete ecoinvent und die GaBi in Deutschland, bei der es um Energie- und Transportprozesse geht und am Ende kommen beim Matchen damit oft sehr stark abweichende Ergebnisse heraus – das ist schon oft probiert worden.“
So funktioniert BIM4eco
Die grundsätzliche Idee von BIM4eco ist einfach: Die Web-Applikation verknüpft ein als IFC exportiertes BIM-Modell mit dem eco2soft-Tool der Baubook-Materialdatenbank. Ana Jugovic hebt hervor: „Auf dieser Basis werden wir mit einem simplen Knopfdruck ökologische Berichte erstellen und Gebäude schon in der Planungsphase ökologisch optimieren können.“ Die genaue Funktionsweise ist jetzt – etwa zur Halbzeit des bis Juni 2022 laufenden Projekts – theoretisch durchgeplant und muss nun noch programmiert werden. Jan Kurzidim erläutert: „Hier kommen wir als AIT ins Spiel: Wir sorgen für das robuste Software-Fundament, das den Markterfolg von BIM4eco erst ermöglicht. Wir stützen uns dabei auf unsere umfassende wissenschaftliche Expertise zu openBIM und unsere langjährige Erfahrung in der Umsetzung von Innovationen mit Industriepartnern. In der Realisierung von BIM4eco ist entscheidend, dass der hochaktuelle internationale Standard IFC 4 zum Einsatz kommt – denn erst dieser kann die für Ökobilanz-Berechnungen nötigen Informationen in einem offenen BIM-Format abbilden.“
Auch die rein österreichische Lösung BIM4eco baut also auf das Matching von Datenbanken. Wir fragen, welche Taxonomie für die Materialien dabei verwendet wird. Hildegund Figl: „Im Pilotprojekt werden genau die Rohstoffdaten angesprochen, die wir im Baubook haben. Baubook ist schließlich die Sammeldatenbank für alle Ökobilanz- und bauphysikalischen Datenbanken, die in Österreich verwendet werden. Auch Energieausweise können hier über Schnittstellen Daten herauslesen. Parallel dazu haben wir über die Ö-Norm zu BIM und Ausschreibung ausgehend von unserer Taxonomie eine genormte Bauproduktbezeichnungsliste generiert.“
Man müsse nach der 80:20-Regel auf jene Baustoffe greifen, die wirklich einen Impact haben, unterstreicht Kradischnig, und Meliha Honic ergänzt: „Es muss darauf geachtet werden, dass man dem Planer nicht zu viel Aufwand zumutet. Es wird deswegen Vorlagen und Leitfäden für die Modellierung in BIM geben.“
Für die Ökobilanz brauche man aber auf jeden Fall viel genauere Informationen als für einen objektorientierten Entwurf, so Figl: „Bei letzterem reicht es, wenn im IFC-Modell „Dämmstoff“ steht. Für die Ökobilanz muss ich aber wissen, ob z.B. Steinwolle, EPS oder etwas anderes vorliegt. Hier versuchen wir, schon jetzt für das IFC-Modell die Materialität sehr genau vorzugeben, damit dann tatsächlich auf Knopfdruck Ergebnisse entstehen können – wir arbeiten uns gerade Material für Material durch.“
Dass man bei den Baustoffen thematisch und als wesentliches Ruder für Nachhaltigkeit auf dem richtigen Weg sei, habe Kradischnig vor kurzem durch eine Dissertation bei TU-Prof. Gerald Goger, in der es um die klimaneutrale Baustelle gegangen war, bestätigt bekommen. Dort sei herausgekommen, dass der ökologische Fußabdruck der Baustelle mit ihrer gesamten Logistik und dem gesamten Transport nur etwa ein Zehntel von dem der Baustoffe beträgt.
Auf jeden Fall seien das „alles Werte, die man brauchen wird. Die Unternehmen z.B. aus der Pharmaindustrie, mit denen wir sehr stark zusammenarbeiten, werden wissen wollen: welchen CO2-Fußabdruck liefert ihr mit unserem Gebäude? Wenn man das nicht oder nur sehr aufwändig sagen kann, wird man als Partner nicht mehr so attraktiv sein.“
Und wie ist es mit den Varianten?
Einen besonderen Charme hat die erwähnte Idee, in der Planungsphase ökobilanzbezogene Varianten bei der Verwendung unterschiedlicher Baustoffe zu erstellen. Das wird durch BIM4eco leichter gehen, weil es Ökobilanzen sehr schnell erzeugen kann und bauteilbasiert statt auf Gesamtmassen bezogen funktioniert. Allerdings kommt natürlich auch die Frage der Statik ins Spiel. Kradischnig lächelt: „Genau darüber haben wir uns vorhin unterhalten. Wenn Stahlbeton z.B. bei einem Variantenspiel durch Holz ersetzt wird, erfordert das einen eigenen Algorithmus, durch den es möglich wird, rechnerisch Materialien bei einzelnen Bauteilen auszutauschen und neue Ökobilanzdaten zu generieren.“
Das sei aber für den jetzigen Schritt zu viel und Stoff für ein nächstes Projekt. „Da sind wir dann wieder für Partner offen, die an dem Thema interessiert sind.“ Überhaupt sei das Ganze ein Work in Progress, das man zunächst einmal für Österreich entwickle, „aber das Ziel ist ganz klar eine auch internationale Skalierung – deshalb ist es auch webbasierend und es sind Partnerschaften z.B. mit BIMSpot oder anderen geplant, bei denen unser System dann integriert sein und dem Markt über Projektlizenzen zur Verfügung stehen wird. Wir werden aus heutiger Sicht kein eigenes Vertriebssystem aufbauen.“
Thema Sanierung: Materialität als Knackpunkt
Geht man davon aus, dass Sanierung in Zukunft gegenüber dem Neubau eine wachsende Rolle spielen wird, stellt sich auch die Frage nach der Anwendbarkeit von BIM4eco in der Sanierung. Hildegund Figl von Baubook gibt dazu zwar grundsätzlich grünes Licht („Man könnte das grundsätzlich aber auch auf den Bestand übertragen – vom Workflow ist es ja genau das gleiche.“), doch Kradischnig und Projektleiterin Meliha Honic bremsen noch ein wenig. Man müsse dazu den Bestand als Punktwolke erfassen, in BIM umwandeln und mit Materialkenndaten belegen. Genau diese Materialkenndaten sind jedoch laut Meliha Honic „noch die Schwierigkeit, denn die Geometrie mit dem Laserscan zu erfassen ist relativ einfach und bereits state-of-the-art, aber für die Materialerfassung benötigt man viel aufwändigere Prozesse und Technologien.“
An der TU Wien werde aber sehr intensiv an der digitalen Erfassung bestehender Materialitäten gearbeitet. So soll von ganz Wien ein Rohstoffkataster angelegt werden. Kradischnig: „Natürlich ist der materielle Gebäudepass auch jetzt schon unser Ziel, wenn wir ein Gebäude zukunftsfit generalsanieren. Aber die Frage ist: Leistet sich der Bauherr die Erstellung eines Gebäudepasses? Es ist nicht jeder bereit, die Kosten dafür zu tragen. Aber er wird es einmal müssen – und wir sind bereit dafür.“