SOLID 7+8/2021 : Katerra: warum das Google der Baubranche scheitern musste und was davon bleibt

Am 07. Juni dieses Jahres war der Traum vorbei: Katerra schließt und entlässt Tausende von Angestellten. Nach sechs Jahren und ca. zwei Milliarden USD Finanzierung zerplatzt die Blase von der „Silicon-Valley Baufirma“. Überrascht ist darüber zumindest hier kaum jemand – als ich vor eineinhalb Jahren mit dem angesehenen Stanford Professor Hau L. Lee (der eine Zeit lang mit Michael Marks, ex-CEO und Gründer von Katerra, gemeinsam vorgetragen hat) eine Case-Study über Katerra machen wollte, wurden wir überraschend abgelehnt. Diese Art von gratis Marketing & Analyse lässt sich normalerweise kein Unternehmen entgehen. Schon damals waren die Probleme wohl groß.

Zwei Milliarden USD in sechs Jahren – das ist knapp eine Million am Tag, sieben Tage die Woche. Wie kann so etwas passieren? Woran ist Katerra gescheitert und können wir daraus mehr lernen als die klassisch österreichische Reaktion „habe ich ja immer schon gesagt“?

Das Modell der vertikalen Integration

Michael Marks arbeitete lange sehr erfolgreich als CEO für Flextronics (Elektronikhersteller, Zulieferer für Giganten wie z.B. Microsoft) und dann als CEO für Tesla. Er machte sein Vermögen mit einer klaren Strategie: der vertikalen Integration in fragmentierten Geschäftsfeldern (wie eben im Bereich der Elektronikhersteller, aber auch der Automobilindustrie). Dabei war er durchaus sehr erfolgreich – er skalierte Flextronics von rund 100 Millionen USD Umsatz pro Jahr auf 25 Milliarden USD. Es war also wenig überraschend, dass Marks schnell sehr viel Geld im Silicon Valley einsammelte, um eine der am meisten fragmentierten Branchen zu disruptieren. Seine Vision für Katerra war klar – die Revolution der Baubranche durch voll integrierte Vorfertigung, in der alle Bereiche der Wertschöpfungskette im Haus gehalten werden (die Tesla-Strategie!).

Wie verliert man quasi 1 Million USD am Tag? 7 Tage die Woche?

Für das Scheitern dieser Vision gibt es meiner Meinung nach vier große und mehrere kleine Gründe.

Eines der größten Probleme von Katerra ist eine klassische Venture-Capital Falle: Katerra hat sehr früh sehr viel Kapital eingesammelt, mit dem Argument, dass sie das brauchen, um die Fabriken und die Software zu entwickeln. Damit kam aber auch Druck seitens der Investoren: Investoren in frühen Runden wollen, dass das jeweilige Unternehmen schnell skaliert, um dann zügig eine weitere Finanzierungsrunde mit einer dementsprechend höheren Bewertung zu starten. Dadurch werden die Anteile von früheren Investoren mehr wert – darauf baut deren gesamtes Geschäftsmodell auf. Um eine höhere Bewertung der Firma zu erreichen, muss ein Unternehmen aber Umsatzsteigerung vorweisen können. Um das im Falle Katerra zu erfüllen, wurden einerseits traditionelle Bauprojekte angenommen, die nicht zur Modul-Vorfertigungs-Konzept von Katerra passten, andererseits waren weder die Fabriken noch die Software zu diesem Zeitpunkt fertig, um wirklich voll durchzustarten und finanziell Sinn zu machen. Um diese traditionellen Bauprojekte abzuwickeln (und somit den Umsatz in den Büchern nachweisen zu können), wurden dann traditionelle Subunternehmer zugekauft und Katerra entwickelte sich teilweise zum klassischen Projektentwickler/Generalunternehmer.

Gesucht: eingesessene Poliere im Tech-Start-Up

Wie Sie als Leser aber vermutlich aus Ihrer beruflichen Erfahrung wissen, wird man allein durch den Zukauf von Subunternehmern nicht automatisch zum Generalunternehmer (wofür würden wir sonst den GU-Zuschlag zahlen?). Um ein GU zu sein, fehlte es Katerra aber an Personal und der passenden Firmenstruktur. Das ist der zweite große Grund, warum Katerra gescheitert ist: das Personal/die Struktur. Verstehen Sie das bitte nicht falsch – jeder, mit dem ich bei Katerra zu tun hatte, war sehr professionell, sehr gut ausgebildet und hochqualifiziert – aber eben kaum baustellenerfahren. Dieses Problem spiegelte sich im Management wieder (quasi niemand aus dem Topmanagement kam aus der Bauindustrie – zumindest die ersten Jahre nicht) und zog sich quer durch das Unternehmen. Katerra begann ja als Softwareunternehmen und hat daher sehr viel „Silicon Valley Personal“ eingestellt: Top-Programmierer, PhD-Absolventen in Advanced Manufacturing und Robotics usw. – hochqualifizierte Menschen mit Start-up Mentalität. Nach einiger Zeit wurde zwar klar, dass man mehr Fachspezialisten brauchte – also wurden großzügig Architekten und Bauexperten eingestellt (Geld spielte ja keine Rolle). Diese jedoch kamen aus Großkonzernen wie Turner, Bechtel aber auch Autodesk – da wird es mit Start-up Mentalität und „out-of-the-box-thinking“ jedoch schwierig (diese Erfahrung haben vermutlich bereits viele von Ihnen in den eigenen Unternehmen gemacht). Was man in österreichischen Konzernen mit Intrapreneurship, Spin-offs und ganz viel Förderung des Nachwuchses versucht, wurde Katerra vermutlich zum Verhängnis und führte zu einer Fragmentierung im eigenen Unternehmen. Der alteingesessene Polier passt halt schwer in den keto-friendly Smoothie-Alltag eines Startups.

Zu viel selbst, zu schnell, zu visionär?

Aus der einstigen Vision der seriellen Vorfertigung mittels Holzbauelementen wurde schnell eine Disruption an allen Ecken und Enden. Als man merkte, dass der Holzrohstoff-Markt zu volatil ist, entschied man sich, auch das Holz selbst zu produzieren und dafür eine Fabrik zu bauen. Fehlende Software-Schnittstelle? Kein Problem, die programmieren wir selbst. Die Architekten wollen nicht mit unseren Modulen arbeiten? Gut, dann kaufen wir eben Architekten/Architekturbüros und bieten auch Planungsleistung an. Diese Strategie der vertikalen Integration hat für Michael Marks in repetitiveren Branchen gut funktioniert. Jedoch ist die Baubranche um einiges komplexer als die Elektronik und die Dinge sind vor allem auf Grund der hohen Individualität des Endprodukts exponentiell schwieriger umzusetzen (und ich spreche bei Katerra nicht einmal nur von der Individualität von Einfamilienhäusern – obwohl das der Selfmade-Multimilliardär und größter Hausbauer Nordamerikas Peter Gilgen mit seiner Firma Mattamy bereits vor vielen Jahren versucht hat und im Endeffekt auch daran gescheitert ist - in diesem Fall mit „nur“ 70 Millionen USD Verlust). Modulare Fertigteilhäuser? Ja – die haben wir in Europa ja schon seit den 70ern; Robotergebaute, Algorithmus-geplante, fabrik-gefertigte Hochhäuser? Wohl (noch) nicht. Das „zu viel wollen“ hat Katerra nicht nur intern Probleme bereitet, denn durch die unterschiedlichen Visionen waren auch unterschiedliche Kunden das Ziel – von traditionellen Projektentwicklern hin zu anderen Bauunternehmen, denen man die Software verkaufen wollte, bis zu öffentlichen Auftraggebern. Es fehlte der Fokus intern und extern.

Das ewige Problem der Vorfertigung: Transport & Skalierung

Das vierte große Problem war die Skalierung. Schon viele sind am modularen Bauen in den USA gescheitert – obwohl es in Europa relativ gut funktioniert. Abseits dessen, dass man in den USA für kürzere Lebenszyklen baut (und daher Qualität anders definiert wird), sind Transportwege ein riesiges Problem. Um die Vorfertigung in der Fabrik wirtschaftlich rentabel zu machen, muss das Delta, das durch die Optimierung der Vorfertigung eingespart wird, kleiner sein als die Mehrkosten durch den Transport. Das ist mit einer geringen Anzahl an Fabriken in einem weitläufigen Markt wie den USA quasi unmöglich. Oder zumindest nicht mit „nur“ zwei Milliarden USD. Aus demselben Grund hat Tesla mit sehr hochpreisigen Autos begonnen, um mit den höheren Margen die fehlende Skalierung auszugleichen. In einem dichten Markt wie der Baubranche mit den grundsätzlich kleinen Margen wohl schwierig.

Und zu guter letzt gibt’s noch viele andere Gründe wie z.B., dass Holzmodule, die im Landesinneren entwickelt wurden, dann durch die höhere Luftfeuchtigkeit an der Küste ihre Holzfeuchte und daher Dimensionen verändert haben. Viele dieser Probleme hätten von Managern mit Bauexpertise vermutlich (leichter) erkannt werden können. Aber im Nachhinein ist es immer einfach, klüger zu sein.

Was bleibt von Katerra?

Was bleibt nun von den 2 Milliarden und 6 Jahren Arbeit von tausenden Mitarbeitern abseits von Zynismus und Schadenfreude? Wenn man es positiv sieht: unzählige Patente (die meisten noch ausstehend), Softwareentwicklungen und Fortschritte in der Vorfertigung. Wenn man es negativ sieht: halbfertige Baustellen, Tausende hoch ausgebildete Arbeitslose, jede Menge Rechtsstreitigkeiten und ein negativer Beigeschmack für die gesamte ConstructionTech Branche.

Dem Polier ein iPad – dem Programmierer Stahlkappenschuhe

Eine kurze Bauanekdote: nachdem ein Bauleiter in Österreich eine Baustelle mit mehreren Millionen Verlust abgeschlossen hat, geht er zu seinem Vorgesetzten und fragt ihn, ob er jetzt gekündigt wird. Sein Vorgesetzter schaut ihn verwundert an und entgegnet: wir haben gerade Millionen in deine Ausbildung investiert. Wenn wir dich jetzt kündigen, haben wir nicht mal etwas daraus gelernt!

In diesem Sinne bin ich der Meinung, dass wir aus den Fehlern von Katerra lernen sollten und diese (Fehl)Entwicklung als Chance sehen können. Die Milliardenverluste lehren uns, dass es eben ohne Bauexpertise nicht geht. Doch viele andere Industrien haben uns gezeigt, dass es ohne Fortschritt und enger Zusammenarbeit mit anderen Branchen/Expertisen eben auch nicht funktioniert. Eine traditionelle Baufirma auf Venture Capital aufzubauen kann aufgrund der kurzen Investitionszyklen nicht funktionieren. Ich persönlich denke, dass die Schlussfolgerung sein sollte, dass Vorfertigung und modulares Bauen sehr wohl eine Daseinsberechtigung haben (und einige Unternehmen machen dies ja durchaus erfolgreich, aber die Komplexität des Baus einfach zu groß ist für eine vertikale Voll-integration in wenigen Jahren. Viele unserer heimischen Großkonzerne integrieren schon seit Jahrzenten vertikal, aber eben nicht von heute auf morgen.

Wir brauchen Technologie und Fortschritt, aber nur in enger Zusammenarbeit mit echter Bauexpertise. Baustellen sind immer noch sehr ineffizient und Ressourcen werden nicht effektiv genutzt. Wer es schafft, den Polier ein bisschen digital zu machen und dem Programmierer ein bisschen Baustellenluft zu vermitteln und währenddessen auch noch auf Kundenwünsche eingeht, der wird meiner Meinung nach noch lange fröhlich weiter bauen. Man gebe dem Polier ein iPad und dem Programmierer Stahlkappenschuhe.

© Katerra

DDI Dr. Sarah Buchner hat nach einigen Jahren in der Bau- und Projektleitung die letzten Jahre im Bereich Digitalisierung bei der Strabag gearbeitet und an der FH Campus Wien einen Masterkurs in BIM und neue Geschäftsmodelle gelehrt.

Aktuell absolviert sie einen MBA an der Stanford Graduate School of Business, einer der besten Wirtschaftsuniversitäten der Welt im Herzen des Silicon Valleys, der Heimat von Firmen wie Google, Apple, Tesla und vielen mehr. Bis heute kommen die meisten sogenannten Unicorns (also Startups mit einer Bewertung von über 1 Milliarde US Dollar) aus dem kleinen Vorort von San Francisco - ein billiardenschweres Paradies für Nerds, Gründer und ein Hot Spot für Investoren.

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