SOLID 10/2021 : Baulogistik: IQ-Test für die Schranke

„Wir machen hier ein bisschen etwas anderes als unsere klassische Baulogistik mit Versorgung und Entsorgung, Zutrittskontrollen etc.“, sagt Zeppelin Rental-Österreich-Geschäftsführer Dominik Müller, als wir ihn am Eingang der Nordbahnviertel-Baustelle treffen. Unter der Bahn eine Zufahrt, daneben steht ein Containerturm (die Baulogistik-Leitstelle), dort gibt es eine Schranke. Dass diese nur die erste ist, um falsch geleitete oder gezeitete Zufahrtsversuche abzufangen, erfahren wir erst etwas später. „Hier geht es um übergeordnetes Baustellenmanagement“, setzt er fort. Die Bauprojekte auf dem letzten Drittel des 85 ha großen Nordbahnhofareal-Stadtentwicklungsgebiet namens „Freie Mitte – Vielseitiger Rand“ mit 21 Baufeldern und geplanten 5.000 Wohnungen und 2.500 Arbeitsplätzen (bis 2026) sind zwar an unterschiedliche Generalunternehmer vergeben worden, aber das Areal hat eine Besonderheit: Alle Baufelder der „Freien Mitte“ sind über eine einzige Zufahrt (die, bei der wir stehen) zu erreichen – und hier müssen die Zu- und Abfahrten koordiniert werden.

Hochkomplexe Schnittstellen

Entstanden ist das Projekt über das Bauherrenkonsortium, in dem fünf Bauträger und auch die ÖBB sitzen. „Man hat erkannt, dass in dem gesamten Konzept bei 21 Baufeldern, die fast gleichzeitig bebaut werden, eine Schnittstelle entsteht, die nicht bei einem einzigen GU zu liegen kommen kann.“ Die für alle Baubeteiligten gleichermaßen wichtigen Themen wie Zufahrt, Lagerflächen, Container sollten durch einen unabhängigen Baulogistiker abgedeckt werden.

„Wir haben uns die Ausschreibung des Konsortiums für dieses Zufahrtsmanagement angesehen und gesagt: das schauen wir uns an, da überlegen wir uns ein Konzept. Das ist das Projekt von Herrn Salib, das kriegen wir hin.“

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Magdy Salib ist Baulogistik-Urgestein und Spezialist für Ausgefallenes bei Zeppelin Rental. Er hat schon den nahegelegenen Austria Campus als eines der größten Baulogistikprojekte in Österreich betreut und, so Müller, „kennt die Umgebung und handelnden Personen im Bezirk“.

Jetzt kümmert man sich hier um alles, was zu den Baufeldern hinführt und was um die Baufelder herum passiert – Naturschutz und Wiener Netze, Wiener Linien, MA 28, MA 46, Zufahrtsgenehmigungen, Schranken, Baustraßen, Bauzäune und Planken, Reifenwaschanlegen, etc.

Dazu kommen auch noch scheinbare Nebenthemen wie das Parken. Müller: „Wir üben hier auch die Hausrechte aus, reichen Besitzstörungsklagen ein etc. Durch ein einziges unbedacht abgestelltes Fahrzeug kann ja der gesamte Bauablauf eines Projektes durcheinandergebracht werden.“

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Die einzige Zufahrt zu den Baufeldern befindet sich in der Taborstraße (Ziffern 1 und 5). Dort werden am Projektende drei Hochhäuser stehen.

Also eben Baulogistik „anders, als wir das aus anderen Projekten kennen.“ Dabei gäbe es bei der klassischen Baulogistik auch hier mehr als genug Potenzial. Beim Thema Entsorgung etwa beginnen Müllers Augen zu glänzen. „Ideal wäre es doch, eine Infrastruktur zu schaffen aus Strom und Wasser, übergeordneter Containeranlagen mit Synergieeffekten bei Sanitäreinrichtungen, zentraler Entsorgungshof für bessere Nachhaltigkeit, „da könnte man den Bauherren und die Ausführenden so richtig unterstützen – aber das passiert hier nicht, weil hier überall Generalunternehmer bauen.“

So bleibt als Aufgabe die Steuerung der Zufahrten – und diese Aufgabe ist groß genug und birgt genug Potenzial für die Zukunft auch auf kleineren Baustellen als dieser hier. Müller, mittlerweile bei der zweiten, der eigentlichen Zufahrtsschranke: „Eine Schranke aufbauen kann jeder. Eine Schranke als Zufahrtskontrolle aufzubauen, die man mit Informationen füttert, die nach Bedarf aus der Schranke abgerufen werden können und wo dann Zufahrt gewährt oder verweigert wird, können schon weniger, ist aber auch keine Raketenwissenschaft. - Aber was wir hier machen, ist eine intelligente Schranke, die anhand von Echtzeitdaten just-in-time gemäß dem, was auf den Bauprojekten gerade passiert, eine Entscheidung trifft, ob eine Zufahrt genehmigt wird oder nicht. Das hat es bisher noch nicht gegeben.“ In den nächsten zwei Jahren werde es dabei ganz stark ums Datensammeln und die Möglichkeit der Übernahme in neue Projekte gehen. Die Daten bekommt auch das Konsortium als Auftraggeber und die Bauherren haben dann die Aufgabe, ihre Generalunternehmer auf Verbesserungspotenzial hinzuweisen bzw. im Ernstfall auch Sanktionen anzukündigen oder zu verhängen.

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Zeppelin Rental-Geschäftsführer Dominik Müller im Gespräch mit SOLID-Chefredakteur Thomas Pöll

Denn während es nur eine Zufahrt gibt, gibt es mehrere Ausfahrten, die alle mit Kameras überwacht werden. „Wir sehen da jeden, der etwa durch die Schranke fährt, weil er seinen Ausfahrtscode nicht findet und schon den nächsten Termin hat – das ist daily business.“

Man befindet sich da quasi in einem ständigen Debriefing, erklärt Müller.

„Wir gewinnen viele Informationen, mit denen wir zukünftig den Bauherrn auch anders betreuen können. Er kann dann besser ausschreiben, die Ressourcen auf der Baustelle planen etc. Hier wird ein wahnsinniger Datenpool generiert, der aber auch bearbeitet werden und aus dem man die richtigen Schlüsse ziehen muss.“

„Wir wollen bei Lean-Besprechungen dabei sein und die relevanten Qualifikationen abgreifen. Die digitalisierte Lean-Information muss dann in ein Portal kommen, das für die Materiallogistik zuständig ist – im Idealfall ist das unseres. Und dieses Portal kommuniziert dann mit dem BIM-Modell und legt fest, welches Material wann auf die Baustelle muss. Das sind dann die nächsten und spannenden Schritte, auf die ich unglaublich viel Lust habe.“

Was tut eine solche intelligente Schranke jetzt genau, fragen wir? Die Schranke, so Müller, bekommt entscheidende Fragen einprogrammiert, die sie stellen muss, wie etwa: „Ist der Transport bekannt, Ist die Straße frei? Ist die Ladezone frei? etc.“

Davor muss der betreffende LKW im Online-Portal von Zeppelin Rental angemeldet werden, es wird ein Zeitfenster vergeben und damit verbunden auch eine Ladezone im Baufeld bestimmt werden. Manche LKWs (z.B. Betonmischer) bekommen dafür einen RFID-Chip, um den Vorgang noch abzukürzen. Die Schranke bekommt also die Information, welche LKWs kommen, welche Ladezone gebucht wurde etc. Wenn der LKW kommt, gibt er seine Daten ein und wenn alle mit seiner Einfahrt verbundenen Fragen mit Ja beantwortet werden, trifft die Schranke die Entscheidung, die Zufahrt zu ermöglichen. „Es bringt ja nichts, wenn der LKW in der Zeit ist, aber die Ladezone belegt ist.“ Dazu gäbe es eben die Pufferzone vor der Schranke, in der gewendet werden kann, außerhalb der Baustelle ist aufgrund der topografischen Gegebenheiten auch Platz zum Warten – auf einer Innenstadtbaustelle wäre das wesentlich schwieriger. Magdy Salib zur Vorgangsweise bei solchen Abweichungen vom Plan: „Dann greifen unsere Mitarbeiter ein, checken die Gründe und überprüfen, ob es eine andere Lösung gibt – beispielsweise eine andere Ladezone -. Wenn sich eine Lösung findet – was sehr oft passiert –, gibt es eine Express-Anmeldung und die neue Situation geht in die Schranke ein.“

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So soll am Ende der Bautätigkeit der neue Klimaboulevard im Zentrum des Viertels aussehen.

Zukunft: Abstimmung mit BIM und Lean

Müller: „Ein Gedanke bei dem gesamten Unterfangen ist, die Projektbeteiligten zu disziplinieren und an eine Art Regelwerk zu binden – was ja zukünftig mit BIM und Lean immer stärker wird. Wenn nur einer mit Lean arbeitet, funktioniert das genauso wenig wie, wenn sich nur ein LKW an den Zeitplan hält.“

Und wenn jemand ganz ohne Anmeldung kommt? „Dann wird er bewusst weggeschickt.“

Die Kopplung mit BIM kommt zwar erst, aber „BIM wird der Schlüssel sein. Wir haben hier zwar in die Richtung angefangen, aber das ist weit noch nicht das, was wir in fünf Jahren machen wollen. Der nächste Schritt ist dann z.B., auch die zweite Eskalationsebene zu automatisieren – also ob eine alternative Ladezone frei ist zum Beispiel. Das wollen wir auf die Spitze treiben. Und wenn wir im Zuge von BIM wissen, welches Material kommt, soll die Schranke das vom elektronischen Pendant des Lieferscheins erkennen und den LKW mit einem Leitsystem an den richtigen Platz führen.“

Das wird funktionieren? „Das wird funktionieren.“

Carsharing für Baumaschinen

Man habe auf jeden Fall die Coronazeit intensiv genutzt, um sich mit den Entwicklern zusammenzusetzen und dadurch die Akzeptanz bei den Fahrern zu erhöhen. Parallel dazu arbeitet man auch an einer Carsharing-App für Baumaschinen, quasi als nächster Schritt nach Onlinevermietungen wie bei Digando, Klarx, Rentmas oder Klickrent. „Diese haben eine Onlinereservierungsmöglichkeit von Maschinen, eine Plattform, wo man untereinander tauschen kann. Rental + ist eine Plattform, die neben dem Reservieren und Buchen auch ein Entsperren inkl. einer Berechtigungsabfrage der Person und Firma ohne Vermieter bzw. Person, die einem das Gerät übergeben (Check out) oder auch zurücknehmen (Check in) möglich macht.“ In der Praxis könnte ein Polier dann sehen, ob ein Gerät in unmittelbarer Nähe ist und man könne damit Transportwege/CO2 einsparen, weil die Maschinen nur mehr verschoben werden.

Die App werde hier erstmals als Pilot zu Testzwecken ausgerollt. „Auch hier ist der Nordbahnhof ein Labor mit seinen 21 Baufeldern und den beteiligten großen Konzernen“. Sie soll bis Ende 2021 kundennah fertig sein und dann immer weiter entwickelt werden.

© www.X21.de/qr
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