Wohnungsmarkt : Zehn Jahre Airbnb – Einhorn, Segen oder schuld an allem?
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Mit Geldnot fing angeblich alles an. Brian Chesky, Joe Gebbia und Nathan Blecharczyk lebten in einer WG zusammen in San Francisco – wo die Mieten bekannt teuer sind – und sahen in einer viel besuchten Konferenz in der Stadt die Möglichkeit, ihre Geldbörsen ein wenig aufzubessern; legten eine Luftmatratze auf den Boden und machten Frühstück. Fertig war das Ersatzhotel für Leute, die genau so wenig Geld hatten wie Chesky, Gebbia und Blecharszyk. B&B steht in der Hotellerie für Bed and Breakfast. Hinzu kam noch das Air – weil Luftmatratze.
300 Millionen Gäste in fünf Millionen Unterkünften, in 81.000 Städten, in 191 Ländern, 27 Milliarden Euro Gewinn (nur der Konzern, nicht die Vermieter) und 31 Headquarters weltweit später feiert Airbnb seinen zehnten, höchst erfolgreichen Geburtstag. Alles von der Ausziehcouch bis zur kompletten Dachgeschosswohnung wird auf der Plattform angeboten, doch zumeist geht es komfortabler zu als auf der ursprünglichen Luftmatratze. 3.000 Schlösser und 1.400 finden sich unter den Angeboten; am meisten wird nach Unterkünften in den USA, Frankreich und Italien, beziehungsweise Großbritannien gesucht (hier natürlich speziell nach New York, Paris, Rom und London); Silvester 2017 war die bislang buchungsstärkste Nacht, als drei Millionen Menschen ihre Betten über den Online-Marktplatz buchten.
Von San Francisco nach New York
Wie kam es so weit? Geschadet hat die Nähe zum Silicon Valley sicherlich nicht, denn aus dieser Richtung kamen die ersten Finanzmittel für die neue Idee. Als Risikokapitalgeber mit der Zeit mit sehr hohen Beträgen dazukamen – 2010, also zwei Jahre nach Gründung, stieg Greylock Partners mit über 7,2 Millionen Dollar mit ein –, war Airbnb plötzlich ein Einhorn unter den Start-ups. Das Unternehmen wuchs dank Übernahmen – die teilweise zu signifikanten Zeitpunkten stattfanden. Vor den Olympischen Spielen 2012 in London übernahm Airbnb den dortigen Wettbewerber Crash Padder und konnte plötzlich 6.000 Unterkünfte mehr anbieten – in einer hochgefragten Stadt.
So märchenhaft unbehindert dieser Aufstieg zur Supermacht unter den Übernachtungsanbietern klingt, so viel Kritik hagelt es auch schon seit Jahren. Während Reiselustige nach wie vor die Hotel-Alternative bejubeln, werden die Drohungen aus der Wohnpolitik, dem ganzen Einhalt zu gebieten, immer lauter. Der Tenor: Airbnb schade dem Immobilienmarkt. Weil Wohnungen für Kurzzeitmiete zur Verfügung gestellt werden, litten die Bewohner unter Wohnraummangel. Doch was ist da dran?
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Märchen-Kritik
In individuellen Fällen sicher einiges. Jemand, der eine Wohnung zur Verfügung hat und nicht braucht – etwa durch Erbschaft – und sie vermieten will, könnte mit Airbnb leicht sehr viel mehr verdienen, als würde das Objekt normal vermietet werden. Eine einfache Rechnung: Eine gut angebundene, wenn auch nicht zentral gelegene Wohnung in Wien, ein Zimmer, etwa 30 Quadratmeter. Mit 43 Euro pro Nacht zählt sie nicht gerade zu den teuren der etwa 8.000 Angebote in der Bundeshauptstadt. Trotzdem wären das im Monat über 1.300 Euro und damit über 43 Euro pro Quadratmeter – selbst bei den allgemein steigenden Quadratmeterpreisen in Wien ein stolzer Preis. Airbnb würde dieser Person also bereits mehr als eine normale Vermietung einbringen, wenn sie die Unterkunft nur die Hälfte des Monats anbringt.
Trotzdem würde nicht jeder, der die Möglichkeit hat, zu vermieten, lieber die Plattform nutzen als einen Mietvertrag aufzusetzen. Das zeigen bereits die Zahlen. Etwa 8.000 Angebote gibt es für den Raum Wien auf Airbnb – und etwa 800.000 Wohnungen. Einen geeigneten Mieter zu finden, eine Hausverwaltung zu engagieren und dergleichen, ist ein besonderer Aufwand – mehrmals im Monat jemandem die Schlüssel zu übergeben und zu erklären, wie der Herd funktioniert, aber auch. Zudem gehören vielen Vermietern nicht nur einzelne Wohnungen, sondern gleich das ganze Wohnhaus – diese einzeln an Reisende zu vermieten, das würde sich wohl kaum jemand antun.
Der Fall Berlin
Problematisch wird es aber, wenn eine kommerzielle Struktur entsteht und tatsächlich normale Mieter verdrängt werden, um mit Airbnb mehr Geld zu machen. So soll es etwa in Berlin mit dem Unternehmen Berlin Aspire Real Estate 2011 gewesen sein. In kürzester Zeit wurden 21 Wohnhäuser mit relativ niedrigen Mieten zusammengekauft. Dann wurden die Mieten erhöht, als nächstes Abfindungen angeboten, wenn die Mieter – teils schon seit Jahrzehnten in den Häusern – ausziehen würden. Wollten sie nicht ausziehen, wurden sie, wie damals der Tagesspiegel in einer großen Reportage berichtete, rausgeekelt – etwa durch extra initiierte Lärmbelästigung oder, indem nötige Reparaturen nicht mehr durchgeführt werden. Waren die billigen Mieter erst einmal aus den Häusern, vermietete und verkaufte Berlin Aspire Real Estate teuer weiter. Unter anderem bieten sie auch auf Airbnb an.
Die Plattform ist hier aber offensichtlich nur Mittel zum Zweck – unbarmherzige Konzerne wie in diesem Berliner Fall schaffen es seit jeher, Mieter mit unbefristeten Verträgen aus den Wohnungen zu ekeln, um die sehr viel teurer auf den Markt zu bringen, dafür brauchte es nicht erst das Start-up aus San Francisco.
Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie es derweil in Wien aussieht!
Währenddessen in Wien
In Wien weist das Online-Portal mittlerweile sogar in seinen Richtlinien für Anbieter darauf hin, dass Untervermietungen im sozialen Wohnbau verboten sind. Auch hier gilt aber: Würde sich jemand Airbnb zunutze machen, um das Untervermietungsgesetz zu brechen, könnte er das auch locker schaffen, gäbe es die Plattform nicht. Oder glaubt die Wohnpolitik ernsthaft, es gab keine illegale Vermietung vor 2008?
Trotzdem ist eine Studie der Technischen Universität Wien von Ende letzten Jahres nicht zu übersehen: Durch Airbnb würden dem Wiener Markt 2.000 Wohnungen dauerhaft entzogen. Keine unerhebliche Zahl; dennoch müssen zwei Punkte beachtet werden.
Eine Frage der Integrität
Erstens war die Studie von der Stadt Wien in Auftrag gegeben worden. Ohne die Integrität der TU in Frage stellen zu wollen, gibt es zu denken, dass die Stadt wahrscheinlich genau dieses erschreckende Ergebnis sehen und damit Airbnb zum Buhmann der Wohnsituation machen wollte. Denn ist das böse Internet schuld daran, dass die Bevölkerung nicht genügend Dächer über den Köpfen findet, so bringt es ja auch nichts, neuen Wohnraum zu schaffen.
Zweitens muss eine weitere Zahl genannt werden: 35.000. So viele Wohnungen stehen laut einer Berechnung der Stadt Wien von 2015 leer. Der Leerstand ist grundsätzlich sehr schwer zu berechnen und so gehen andere Erhebungen sogar von bis zu 100.000 Wohnungen aus – keine allerdings von weniger als die Stadt selbst. So oder so, zigtausende Wohnungsbesitzer verzichten offensichtlich darauf, durch Verkauf, Vermietung oder Ver-Airbnb-ung Geld zu machen. Diese Leerstände müssten genutzt werden, die Stadt müsste Anreize bieten, sie zu Wohnraum zu machen – und sich nicht wegen 2.000 Ferienunterkünften alle Verantwortung für den Wohnbau von sich schieben.
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