Baukonjunktur : Wie stark wirkt sich der Brexit auf die Bauwirtschaft auf?
Aktive Mitgliedschaft erforderlich
Das WEKA PRIME Digital-Jahresabo gewährt Ihnen exklusive Vorteile. Jetzt WEKA PRIME Mitglied werden!
Sie haben bereits eine PRIME Mitgliedschaft?
Bitte melden Sie sich hier an.
Carillion galt als regelrechter Bauriese. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Wolverhampton beschäftigte 46.000 Mitarbeiter, davon 20.000 in Großbritannien und macht nach dem letzten Stand 5,2 Milliarden Pfund im Jahr. Das alles gehört der Vergangenheit an – denn der Baukonzern, der für den Staat Spitäler, Gefängnisse und Bahnstrecken im großen Stil baute, ging Anfang dieses Jahres in Konkurs. Der Fall gilt als die größte Geschäftsauflösung in der Geschichte des Vereinigten Königreichs – und wo lag das Problem? Laut Carillion selbst ist ganz klar der Brexit schuld.
Die Aufträge wären gleich nach dem Referendum im Juni 2016 schleppender eingegangen – weil die Regierung „ihre Ausgabenprioritäten neu beurteilt“ oder sich allgemein mit anderen Themen als Bauinvestitionen beschäftigt hätte. Im Insolvenzverfahren wurde dieser Vorwurf vom Komitee abgeschmettert und regelrecht ins Lächerliche gezogen.
Wo Carillion recht hatte
Gut möglich, dass Carillion sich hier mit opportunistischem Fingerzeigen unelegant aus der Affäre ziehen wollte; Fakt ist aber, dass es seit dem Brexit-Votum in der Verfügbarkeit von Arbeitskräften im englischen Raum eine negative Entwicklung gab, die auch die Bauwirtschaft betreffen. Zusätzlich gingen die Bauinvestitionen deutlich zurück.
So ist die Einwanderung nach Großbritannien im ersten Jahr nach dem Brexit-Referendum um 100.000 Personen gesunken, die als Arbeitskräfte in allen Branchen fehlen – die niedrigste Immigration seit 1964, seit es Aufzeichnungen gibt. Der Rückgang ist zu über zwei Dritteln durch weniger immigrierende EU-Bürger begründet, die sich auf dem tiefsten Stand seit 2012 befindet. Gleichzeitig verlassen um 29 Prozent mehr EU-Bürger Großbritannien – vor allem Franzosen, Deutsche, Italiener, Polen und Spanier. In all diesen Ländern wird die Baukonjunktur als stabil und kräftig oder sogar besser beurteilt. Besonders Polen scheint zu profitieren, während in Großbritannien die Arbeiter fehlen.
Lesen Sie weiter auf Seite 2: über den Ressourcenmangel im Brexit-Zeitalter
Entdecken Sie jetzt
-
Lesen
- Die Kunst der emotionalen Dickhäutigkeit 21.11.2024
- Warum die Zukunft im Bestand liegt 20.11.2024
- Countdown zu den 5 größten Vergaberechtsmythen 20.11.2024
-
Videos
- SOLID Bau-TV | 11.07.2024 11.07.2024
- SOLID Bau-TV | 27.06.2024 27.06.2024
- SOLID Bau-TV | 06.06.2024 06.06.2024
-
Podcasts
- Bauen up to date #13 - 04.03.2024 04.03.2024
- Bauen up to date #12 - 13.9.2023 12.09.2023
- Bauen up to date #11 - 23.04.2023 23.04.2023
B wie Brexit oder Bauarbeitermangel
Und zwischen diesem Mangel und dem Brexit kann sehr wohl ein Zusammenhang erkannt werden – und wenn es nur die Angst vor dem Brexit und seinen Folgen ist. „Es ist offensichtlich, dass wir an Anziehungskraft verloren haben“, sagt der Wirtschaftswissenschafter Jonathan Portes vom King‘s College in London. Denn die Inflation steigt, das Pfund schwächelt und die Reallöhne sinken, die Lebenserhaltungskosten aber nicht. All diese Faktoren werden sich mit einem Brexit, und speziell einem No-Deal-Brexit, nur verschlimmern. Wie soll es der britischen Bauwirtschaft schließlich ergehen, wenn saftige Tarife auf Import und Export eingeführt werden und gleichzeitig die Arbeitskräfte fehlen? Importierte Baumaterialien werden noch teurer, die Konjunktur wird allgemein unter dem immens verlangsamten und erschwerten Export leiden, und die ausländischen Arbeitskräfte werden ihr Glück eher dort versuchen, wo die Löhne und die Aussicht auf Bauprojekte besser sind.
Bereits jetzt, noch ohne die Tarife, macht der britische Bauherren-Verband Federation of Master Builders den hohen Materialkosten zum Teil die Schuld an der rückläufigen Bauleistung im ersten Halbjahr 2018 – und im gleichen Atemzug auch dem Brexit: „Die Abwertung des Pfundes nach dem EU-Referendum hat dazu geführt, dass vor allem Ziegel und Dämmstoffe teurer geworden sind“, meint Brian Berry, Geschäftsführer der Federation.
https://youtu.be/z8Tw7si_YKs
Auswirkungen auf Europa
Aber nur weil viele Arbeitskräfte wieder auf den Kontinent zurückkommen, heißt das nicht, dass der Brexit keine negativen Auswirkungen auf die Baubranche in der verbleibenden EU haben kann. Das glaubt auch Torsten Schmidt, Experte vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Wenn es zu einem harten Brexit kommt, aber auch, wenn sich die internationalen Handelsbeziehungen verschlechtern – „all dies wird sich für eine offene und exportorientierte Volkswirtschaft dämpfend auswirken“, so der Wirtschaftsforscher. In Deutschland geht die Bundesregierung derzeit wenigstens davon aus, dass bereits geschlossene Verträge zu Bauvorhaben auch noch nach dem 29. März eingehalten würden. Und wie steht es mit zukünftigen Projekten? Das hinge „von der Ausgestaltung des zukünftigen Verhältnisses“ ab. Ob es dann wohl nicht heißen wird – harter Brexit, harte Beziehung?
Folgen Sie der Autorin auch auf Twitter!
Holen Sie sich jeden Morgen das Neueste aus der Branche – im Solid Morning Briefing!