Standort : Wie hoch fliegt Österreich?
Seit dem deutschen Wirtschaftswunder-Kanzler Ludwig Erhard wissen wir, dass Wirtschaft zu 50 Prozent aus Psychologie besteht. Auch in Österreich lernt jeder neue Wirtschaftslandesrat und jeder Landesfürst sehr schnell das verbale Jonglieren mit Zahlen und Kennziffern, um je nach Zweck sein Land in ein bestimmtes Licht zu rücken. Mal soll es glänzen, mal eine Bedrohung für den Standort förmlich greifbar werden. Indikatoren finden sich immer.
Wirtschaftsforschungsinstitute, Industriellenvereinigung, Kammern, Verbände, Banken, natürlich die Statistik Austria und in zunehmendem Maße Markt- und Meinungsforscher produzieren Datensätze in Serie. Untereinander oft nur schlecht oder gar nicht zu vergleichen, bleibt viel Interpretationsspielraum. Weil von der Momentaufnahme bis zur Veröffentlichung oft einige Zeit verstreicht, können die erhobenen Werte deutlich von der kollektiven Wahrnehmung abweichen.
So ist beispielsweise Reinhard Iro, Obmann der Industriesparte der Kärntner Wirtschaftskammer, von den positiven Ergebnissen der jüngsten Konjunkturumfrage in seinem Bundesland „überrascht“. Den Geschäftsgang in den kommenden Monaten sähen Kärntens Industriebosse rosiger als erwartet: „Die Auftragseingänge aus dem Ausland sind noch besser als jene aus dem Inland“, zieht Iro Halbjahresbilanz.Struktur zähltAussagen dieser Art heben die Stimmung. Gut für die Psyche, wenn die Medien vor lauter Rettungsschirmen das Armageddon verkünden. „Die Konjunktur in den Bundesländern ist immer sehr stark von der jeweiligen Struktur geprägt“, relativiert Walter Pudschedl. Er analysiert sie kontinuierlich für die Bank Austria und verweist auf die äußeren, sprich internationalen Rahmenbedingungen: „Im Vorjahr haben einige Bundesländer von der guten Aufwärtsentwicklung – 7 Prozent in der Industrie! – profitiert, zum Beispiel die Steiermark durch ihre Autozulieferer.“
Weil in diesem Jahr das Industriewachstum nachgelassen hat, werden nun wieder eher „Dienstleistungsländer“ wie etwa Wien bevorteilt und steigen deren Wertschöpfungsanteile bei Handel und Tourismus. Das wird in den nächsten Monaten ähnlich sein, sagt Pudschedl und folgt allgemeinen Wachstumsmustern: „Wenn die internationale Konjunktur wieder anspringt, profitieren wieder Oberösterreich oder Vorarlberg stärker. Das sind keine Veränderungen aus einer gezielten Standortpolitik heraus“, hält der Bank-Austria-Analyst den ressortmäßig zuständigen Landesräten entgegen.
Natürlich unterstütze die Politik die Wirtschaft, wo sie kann, „man sollte das aber nicht überschätzen“. Bricht man die vielen regionalen Erfolgsgeschichten auf die Details herab, sagt Pudschedl, schreiben sie vor allem Nischenplayer.
Schuldenstand
ie Landespolitiker heften sich auf ihre Fahnen, mit öffentlichen Geldern die Wirtschaft anzukurbeln. Nach der hemmungslosen Verschuldung wird der Spielraum dafür enger: Wien ist mit einem Schuldenzuwachs von über 113 Prozent in den Jahren 2008 bis 2011 einsamer Spitzenreiter. Das viel gescholtene Kärnten liegt mit 64,6 Prozent lediglich im Mittelfeld. Einschnitte sind bereits Usus und die so genannte Schuldenbremse verheißt aus Sicht der Unternehmen nichts Gutes für die kommenden Jahre.
Viele öffentliche Projekte landeten auf der langen Bank, Vergaben verzögern sich. „Das spüren vor allem unsere zahlreichen Bauindustriebetriebe und in der Folge auch das Gewerbe“, klagt stellvertretend Tirols Industrie-Spartengeschäftsführer Oswald Wolkenstein. Im Hochbau sei die Lage noch nicht dramatisch, weil die Zinsen derzeit niedrig sind, hingegen büßten die Tiroler Tiefbauer gegenüber dem Vorjahr 15 bis 30 Prozent an Auftragsvolumen ein.
Arbeitsmarkt
Am Arbeitsmarkt spiegelt sich diese Situation allerdings noch nicht wider. Im Vergleich Juni-Juni registrierte der Hauptverband des Sozialversicherungsträger im Bausektor österreichweit sogar ein leichtes Beschäftigungsplus von 0,9 Prozent. Verlierer sind andere Branchen, unter anderem das Gesundheits- und Sozialwesen (–2,5 % oder beinahe 6000 Arbeitsplätze), was ebenfalls mit dem Sparstift in der öffentlichen Hand erklärbar ist. Bei den Arbeitsplatzgewinnern steht die Energieversorgung mit +6,5 Prozent an der Spitze, der Tourismus hält über 7000 neue Mitarbeiter in Brot und Arbeit (+ 3,7 %) und die Sachgüterproduktion bringt es auf ein Plus von 1,9 Prozent – 10.981 der 582.678 Mitarbeiter zur Jahresmitte waren letzten Sommer noch nicht an Bord.
Die Arbeitslosenzahlen sind in allen Bundesländern leicht gestiegen, Industrie und produzierendes Gewerbe tragen daran jedoch nur marginale Schuld. Viele Betriebe wollen sogar in den kommenden Monaten weiter aufstocken. In der Steiermark gleich 22 Prozent, während 14 reduzieren wollen. Ähnlich die Absichten in Vorarlberg, in Tirol wollen doppelt so viele den Mitarbeiterstand vergrößern als abbauen, und in Kärnten und Salzburg halten sich die Plus-/Minus-Werte in etwa die Waage. Für IV-Salzburg-Geschäftsführerin Irene Schulte ein Indiz für den „Umschwung von einem dynamischen Konjunkturverlauf auf eine Warteposition“.Stimmungslage„Das Stimmungsbild in Salzburgs Industrie ist nicht euphorisch, aber auch nicht schlecht“, ergänzt WK-Spartengeschäftsführerin Maximiliane Laserer: „Die Unternehmen, die global aufgestellt sind, denen geht’s gut; jene, die 100 oder 150 Kilometer um ihren Kirchturm herum liefern, fordern von der Politik Reformen ein.“ Wie beurteilen Sie die Konjunktur in Österreich, wie der eigenen Firma? Diese zwei Fragen stellen Laserers Kollegen im Nachbarland Oberösterreich den Industriebetrieben jedes Quartal.
Sie lassen sich offensichtlich auch durch die Prognosen der Wirtschaftsforscher nicht verunsichern: 82 Prozent geben der Konjunkturentwicklung für den Wirtschaftsstandort Österreich ein „Gut“, fünf Prozent sogar ein „Sehr gut“. Noch zuversichtlicher fallen die Werte für das eigene Unternehmen aus: 19 Prozent sehr gut, 70 gut und nur elf Prozent sagen „schlecht“. Weil „die Auftragsbücher noch gut gefüllt sind“, ist in Tirol die Stimmung ähnlich, berichtet Oswald Wolkenstein. Der Metallsektor hat sich besser und schneller von der Krise erholt als erwartet, in der in Tirol mächtigen Nahrungs- und Genussmittelindustrie sind die Umsätze geradezu „rekordverdächtig“.
Allerdings stecken da die hohen Rohstoffpreise drin und es kommt hausgemachter Ärger hinzu. „Tirol hat keine Rohstoffe, wir müssen alles herbringen, und dafür zahlen wir derzeit zehn Prozent mehr als die anderen, ab 2015 sogar 25 Prozent mehr.“ Schuld ist die Mauttarifverordnung, die Tirols Wirtschaftstreibende auf die Barrikaden bringt. Der seit Jahresbeginn gültige und gestaffelte Zuschlag ist für den Bau des Brennerbasistunnels zweckgebunden und auf dem gesamten Unterinntaler Abschnitt der A12 fällig. Ein klarer Standortnachteil, sagt Wolkenstein, „es überlegen sich bereits Betriebe, abzuwandern“.Hier geht´s weiter
Burgenlands Industrielle sprechen von „gebremster Dynamik“, dennoch rechnet fast ein Viertel mit steigender Geschäftslage in sechs Monaten. Zurückhaltender die Steirer: Die aktuelle Geschäftslage sei durchschnittlich, erklären 56 Prozent, 41 Prozent halten sie sogar für gut, doch zum Jahresende hin gehen je zehn Prozent davon aus, dass es schlechter bzw. besser wird. In Vorarlberg erwarten lediglich fünf Prozent der Industriebetriebe eine ungünstige Entwicklung in sechs Monaten.
Am Bodensee plagen andere Sorgen: „Die mangelnden Ausweitungsmöglichkeiten durch Grundstücksrestriktionen und der ernst zu nehmende Technikermangel“, so Spartenobmann und Doppelmayr-Geschäftsführer Christoph Hinteregger. Zweitem begegnen die Vorarlberger mit gezielten Rekrutierungen im Ausland. „Ohne es an die große Glocke zu hängen, konnten wir schon sehr viele Deutsche hereinbekommen.“
Ein Ausreißer auf der Industrie-Klimakarte ist Niederösterreich. Zwar ist die Produktion in den vergangenen drei Monaten überdurchschnittlich stark gestiegen und die Auftragsbestände befinden sich auf gutem Niveau. Dennoch zeigen sich die Unternehmen mit der aktuellen Geschäftslage weniger zufrieden als im Frühjahr. Die gesicherte Produktionsdauer liegt mit 4,7 Monaten einen halben Monat unter dem Wert des Vorquartals. Die Aussichten auf die kommenden Monate sind pessimistischer als zuletzt: Im Juli gaben nur mehr 15 Prozent der Industriebetriebe in Niederösterreich positive Bewertungen ab – um acht Prozentpunkte weniger als im Frühjahr. Die blau-gelben Industriekapitäne rechnen mit einer leichten Abnahme der Produktion und erwarten einen Rückgang bei den Beschäftigtenzahlen.ImmobilienpreiseEinziges Bundesland, in dem weder Wirtschaftskammer noch Industriellenvereinigung die Konjunktur abfragen, ist Wien. Wien ist anders. Wien ist zuerst einmal urban und die Industrie hat einen schweren Stand. „Man hat den Eindruck, nicht wirklich erwünscht zu sein“, erklärt Spartengeschäftsführer Florian Robetin. Vorrang genießt der Wohnbau, die Grundstücksund Mietpreise sind wesentlich teurer als im Umland. Das ist einer der Faktoren, warum die Attraktivität als Industriestandort leidet.
Robetin wertet momentan eine Erhebung unter den ansässigen Industrieunternehmen über Vor- und Nachteile aus. Auf der Haben-Seite die Nähe zu den Ostmärkten, die Infrastruktur, in der tendenziell rückläufig das Arbeitsmarktumfeld und die Lebensqualität. Unzufrieden ist die Wiener Industrie in erster Linie mit der Bürokratie. 91 Prozent halten der Hauptstadt dennoch die Stange, aber acht Prozent wollen in absehbarer Zeit abwandern – zumindest mit der Produktion. „Die ist am gefährdetsten“, das Headquarter kann durchaus weiter an der prestigeträchtigen Adresse Wien firmieren.
Betroffen sieht sich die Industrie nicht zuletzt vom berüchtigten Parkpickerl. „Da bekommen mehrere Betriebe enorme Probleme, weil ihre Mitarbeiter einpendeln.“ Einige haben zwar Garagen, müssten diese aber ausweiten, was in kurzer Zeit nicht geht. Eigentlich eine Kleinigkeit, sagt Robetin, aber typisch dafür, was die Industrie nervt. Arno Miller