Baustoffe : Warum Karotten die Betonindustrie retten werden
Zwei Dinge, die in den meisten Küchen zu finden sind, könnten die Bauindustrie auf positive Weise verändern und nachhaltiger machen – ein herkömmlicher Mixer und Abfall. Genauer gesagt Karottenreste. Damit arbeiten derzeit Ingenieure an der englischen Universität Lancaster und wollen eine einfache und günstige Methode gefunden haben, Beton stabiler und sogar umweltverträglicher zu machen.
Der Knackpunkt liegt natürlich in den Karotten, die in sehr kleinen Partikeln, oder Nano-Plättchen, wie sie in der Studie genannt werden, in herkömmlichem Beton gemixt werden. Denn obwohl das Gemüse einen hohen Wasseranteil hat, besitzt es auch viel Zellulose. Und die verändert schon in geringsten Mengen das Verhalten von Wasser beim Aushärten des Betons. „Es sind nicht die physikalischen Eigenschaften der Faser, die zur Stärkung des Betons führen, sondern die Fähigkeit, Wasser zu binden“, erklärt Christian Kemp-Griffin, Geschäftsführer von Cellucomp. Das schottische Unternehmen erforscht und entwickelt nachhaltige Baustoffe, und fungiert als industrieller Partner der Lancaster-Studie. Cellucomp stellt bereits seit längerem Farbe unter der Beigabe von Pflanzenzellen her – für die Betonforschung stellt es nun die Karottenpartikel zur Verfügung.
Knackpunkt Karotte
Durch die Beimengung der pflanzlichen Zellulose soll der Beton tatsächlich um 80 Prozent stärker werden, so die ersten Berichte des Projekts, das insgesamt zwei Jahre dauern soll und vom EU-Programm Horizon 2020 für Forschung und Innovation mit 195.000 Pfund unterstützt wird. Die Stärke von Beton drückt sich in erster Linie in seiner Widerstandsfähigkeit aus – die Mikrostruktur wird durch die gesteigerte Menge an Calciumsilicat verdichtet, dadurch kann der Baustoff mehr tragen, bekommt weniger Risse und hat so eine längere Lebensdauer.
„Es kommt auf die Fähigkeit an, Wasser zu binden“
Für diese Eigenschaften muss normalerweise Zement beigemengt werden. Nun gibt es aber weltweit sehr viel Gemüseabfall, der billig zu beschaffen ist – auf jeden Fall billiger als die gebräuchlichen Zement-Zusatzmittel wie Graphen. Außerdem ist die Zementherstellung nicht gerade umweltfreundlich. Die Internationale Energieagentur schätzt, dass die Zement-Produktion sieben bis acht Prozent der weltweiten CO2-Emissionen ausmacht. Da die Bauleistung allgemein zunimmt, wird mit einer Verdoppelung dieser Zahlen in den nächsten 30 Jahren gerechnet. Mit dem Umstieg auf Karottenpartikel würde nicht nur der CO2-Ausstoß verhindert, sondern auch große Mengen an Energie in der Zementherstellung eingespart, die als besonders brennstoff- und stromintensiv gilt. Pro Tonne Zement werden 110 Kilowattstunden benötigt. Das ergibt in der weltweiten Branche jährlich etwa 250 Millionen Euro an Stromkosten.
https://youtu.be/KIkrnvnhChY
Auch nach Jahren noch kein Durchbruch?
Karottenschnipsel hingegen sind als Nebenprodukt der Landwirtschaft bereits in Massen vorhanden und billig. Zellulose gibt es auch in anderen Pflanzen, besonders in Holz, doch aus Gemüse ist sie leichter extrahierbar. Derzeit sieht sich das Team an der Uni Lancaster auch den Einsatz von Zuckerrüben an, als auch das Einsetzen hauchdünner Gemüseplättchen in bereits bestehende Betonstrukturen, um diese im Nachhinein stärker zu machen.
In der Betonforschung wird seit Jahrzehnten immer wieder mit Neuerungen aufgewartet, die den wichtigen Baustoff stabiler und tragfähiger machen wollen. Die meisten dieser Ideen würden die Produktion derzeit allerdings bloß teurer machen oder benötigen Zusatzstoffe, die nicht in großen Mengen vorhanden sind. Der britische Thinktank Chatham House kam in einer jüngsten Auflistung dieser Ideen zu dem wenig positiven Schluss: „Manche Zement-Neuheiten wurden nun seit über einem Jahrzehnt innerhalb der Forschungsgemeinschaft diskutiert, ohne je einen Durchbruch erfahren zu haben.“ Vielleicht eine Hürde, die gerade die Karotten und Rüben nehmen können. Neu erfunden müssen sie schließlich nicht werden.
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