Bauwirtschaft : Warum die Kosten bei staatlichen Bauprojekten fast immer explodieren
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Große staatliche Bauprojekte in Deutschland und Österreich haben mittlerweile einen gewissen Ruf – denn sie dauern sehr oft länger und kosten sehr viel mehr als ursprünglich geplant. Von Kostenexplosionen ist hier dann oft die Rede. Ein Wort, das Jürgen Lauber so nicht unterschreiben würde. Der deutsche Publizist und Autor des Buches „BauWesen / BauUnwesen“ hat sich dem Thema verschrieben und sagt: „Die Baukosten explodieren nicht, sondern die Wahrheit kommt raus.“ Er meint, dass von Anfang an unrealistisch kalkuliert wurde – und wenn sich schließlich die wahren Kosten und die wahre Bauzeit herausstellen, ist das Projekt natürlich schon längst genehmigt und im Gange.
Beispiel Karlsruhe. Hier wurde 2010 mit der sogenannten Kombilösung begonnen, die eine straßenbahn- und autofreie Fußgängerzone durch den Bau eines Stadtbahntunnels schaffen will. Betreiber ist die Karlsruher Schieneninfrastruktur-Gesellschaft, Fertigstellung hätte laut Plan eigentlich 2015 sein sollen. Fertig ist aber noch gar nichts – 2021 steht momentan als neuer Termin fest. Der Zeitpunkt sei „sportlich berechnet“ gewesen, sagt KASIG-Sprecher Achim Winkel gegenüber Reporter Joachim Ottmer, der für den ZDF eine Doku zu dem Thema gemacht hat. Auch falsch – oder eben „sportlich“ berechnet – waren auch die Kosten, die mittlerweile statt bei 0,5 bereits bei 1,1 Milliarden Euro liegen. Das wird von Winkel so erklärt: „Zum damaligen Zeitpunkt, 2003, hat diese Zahl irgendwo auch gestimmt.“ Sie habe die damals berechenbaren Kosten widergespiegelt. Aber selbst, würde das stimmen, war die Summe eine mehr als optimistische, da sie keinerlei Reserven oder Preisveränderungen miteinberechnete.
Kombilösung oder Kostenfalle?
Bevor mit dem Finger auf die böse Baugesellschaft gezeigt wird, muss klar sein, warum die Zahlen zu Beginn so absurd niedrig gehalten wurden. Das Projekt ist ein staatliches und wurde per Bürgerentscheid abgesegnet. Staatliche Bauprojekte werden ausgeschrieben und gehen immer an den günstigsten Anbieter. Die Münchner Bauunternehmerin Elisabeth Renner nimmt an solchen Ausschreibungen daher kaum mehr teil. „Der günstigste Anbieter kann automatisch nur der sein, der kein eigenes Personal hat, weil eigene Löhne teuer sind.“ Sie fühle sich als mittelständische Unternehmerin regelrecht diskriminiert. Mit den geregelten Tariflöhnen und Sozialabgaben ist man einfach zu teuer – um etwa 30 Prozent, wie Renner in einem Praxisbeispiel anführt.
Den Zuschlag bekommt also ein Subunternehmen, das den Arbeitsauftrag weitergibt. Die Bauarbeiter kommen dann meist aus Osteuropa, zum Beispiel aus Bulgarien oder Rumänien, und bekommen gerade einmal den Mindestlohn bezahlt – was allerdings selten kontrolliert wird. Das meint zumindest Friedrich Schneider von der Johannes-Kepler-Universität in Linz und Experte auf dem Gebiet. Laut seiner aktuellen Berechnung macht die Schattenwirtschaft im deutschen Baugewerbe jährlich zwischen 81 und 127 Milliarden Euro aus – bei einem Gesamtumsatz der Branche von 240 Milliarden. Damit kommen auf zwei „geregelte“ Arbeitsstunden am Bau also eine Stunde Grau- oder Schwarzarbeit – auf jeden Fall Arbeit, die nicht korrekt nach deutschen (oder auch österreichischen) Standards abgerechnet wird. Stattdessen werden die Steuern im jeweiligen Heimatland abgeführt – das zu kontrollieren, liegt natürlich auch nicht im Zuständigkeitsbereich oder Interesse des Auftraggeberlandes. Es ist also weniger der kleine Häuslbauer, der den Pfusch fördert, sondern vielmehr die staatlichen Mega-Projekte ohne Transparent, dafür mit Dauerbaustellen. „Die öffentliche Hand ist als Bauherr ein Pfuscher“, formuliert es Jürgen Lauber. Auf jeden Fall liegt die Stellschraube beim Personal und hier haben bereits von vornherein die gewonnen, die billig auslagern. Denn die Kosten für Baustoffe und Baugeräte sind in den Kalkulationen im Wettbewerb um eine Ausschreibung natürlich sehr ähnlich.
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Zuschlag für die Schattenwirtschaft
Die Kombilösung Karlsruhe ist nur eines von vielen Beispielen. Die Kosten für die Hamburger Elbhilharmonie verzehnfachten sich auf 800 Millionen Euro; die Kölner U-Bahn stieg von 630 auf 1,2 Milliarden Euro; das Städtebauprojekt Stuttgart 21 von 2,5 auf fast acht Milliarden Euro und der Berliner Flughafen BER von 0,8 auf acht Milliarden Euro. In Stuttgart und Berlin ist man außerdem noch längst nicht mit den Arbeiten fertig. 2006 wurde mit dem Flughafenbau begonnen, 2011 hätte er fertig sein sollen. Preis und Zeitplan waren also von Anfang an unrealistisch eingeschätzt. Mittlerweile sieht es eher nach einer Eröffnung 2021 aus.
Ebenfalls 2006 begann die Terminalerweiterung „Skylink“ am Wiener Flughafen. Der Terminal ging 2012 in Betrieb, allerdings nach etlichen Skandalen. Zum einen war nur eine zweijährige Bauzeit vorgesehen gewesen; zum anderen lagen die Gesamtkosten bei 725 statt veranschlagten 400 Millionen Euro. Die ursprüngliche Veranschlagung wurde bereits nach einem Jahr Bauzeit um über 100 Millionen Euro übertroffen. Das lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder wurde bereits zu Beginn absichtlich bzw. unprofessionell zu niedrig kalkuliert; oder aber es kamen so bedeutende Änderungen hinzu, dass das laufende Projekt kaum mehr etwas mit dem ausgeschriebenen zu tun hatte. Tatsächlich gab es mittendrin einen Baustopp, um die Verträge mit Lieferanten und Konsulenten neu zu verhandeln und die Kostenexplosion einzudämmen – was nie wirklich funktionierte.
Baustopp ohne Lösung
Eine Studie zu Kostenüberschreitungen bei staatlichen Bauprojekten in Österreich allgemein gibt es nicht – das Land zeigt das Problem mehr in vielen Einzelbeispielen auf, etwa auch beim Krankenhaus Nord, dem Stadthallenbad oder aktuell der Parlamentssanierung. Laut Christian Kühn, Studiendekan der Fakultät für Architektur an der TU Wien liegt das durchaus auch daran, dass zu große Baulose ausgeschrieben werden – wenn nur wenige Baufirmen die Kapazitäten haben, ein besonders großes Projekt zu stemmen, führe das auch zu steigenden Preisen. Das würde allerdings hohe Preise bei der ersten Kalkulation erklären, nicht aber, warum die Kosten während des Baus beinahe schon mit Gewissheit stark steigen werden. Hier muss eher eine gewisse Absicht unterstellt werden. Eben genau wie in Deutschland, wo jüngst eine Studie der Berliner Hochschule Hertie School of Governance erklärte, dass seit 1960 bei 110 staatlichen Großbauprojekten die Kosten im Schnitt um 73 Prozent überschritten wurden. Bei den größten Projekten, jenen über 500 Millionen Euro, kam es im Schnitt sogar zu einer Preissteigerung um 100 Prozent.
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