Versorgungssicherheit : Vietnam will energieeffizienter werden

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In Vietnam steigt die Nachfrage nach Energie rasant. Seit Jahren haben die Versorger Probleme, den Bedarf zu decken. In der Tat spielen in der Industrie und im Bau energieeffiziente Ausrüstungen und Prozesse nur eine untergeordnete Rolle. Das 2011 in Kraft gesetzte Energieeffizienzgesetz soll Abhilfe schaffen und der Notwendigkeit des. Energiesparens Vorschub leisten. Fachleute schätzen das Einsparpotenzial in der Industrie auf mindestens 10 bis 30 %. Angesichts einer jährlichen Zuwachsrate von durchschnittlich 7,2 % erwartet Vietnam bis 2020 eine Verdoppelung der landesweiten Energienachfrage. Der gewerbliche Energieverbrauch betrug 2010 geschätzte 33,2 Mio. t Öleinheiten, hiervon entfiel knapp die Hälfte auf Industriebetriebe. Mit der fortschreitenden Industrialisierung wird deren Nachfrage mit circa 8% jährlich überdurchschnittlich zulegen und sich ihr Anteil am gesamten Energieverbrauch von 47 % im Jahr 2010 auf 53 % (2020) vergrößern.

Ohne entsprechende Gegenmaßnahmen dürfte Vietnam ab 2015 zum Nettoenergieimporteur werden, berechnen Fachleute. Die Regierung will daher in dem kommenden Jahren die vor Ort vorhandenen Energiequellen stärker erschließen. Um größere Defizite bei der Versorgung zu vermeiden, setzt sie dabei sowohl auf fossile als auch auf regenerative Energieträger sowie auf die Kernkraft. Die Sicherheit der Energieversorgung stellt die staatlichen Versorger bereits beim aktuellen Nachfrageniveau vor Probleme. Die Öltanklager der Vietnam Oil and Gas Group sind nicht ausreichend dimensioniert; und während der Konzern Rohöl ausführt, müssen wegen zu geringer Raffineriekapazitäten gleichzeitig teure Petroleumprodukte eingeführt werden.

Das Land verfügt außerdem über zu geringe Reservekapazitäten. Der nationale Elektrizitätsversorger Electricity of Vietnam (EVN) muss bei Nachfragespitzen das Angebot rationieren; gleiches gilt für Trockenzeiten, wenn die Wasserkraftwerke nicht ausreichend Strom liefern. Effizientere Netze könnten die Übertragungsverluste minimieren. Diese liegen nach Angaben der EVN im Landesdurchschnitt bei 10%. Allerdings fehlt EVN das Geld für Investitionen in moderne Netze und Kraftwerke. Der Staatsbetrieb arbeitet seit Jahren nicht kostendeckend, nicht zuletzt aufgrund der zu geringen Haushalts- und Industrietarife. Energiesparen soll und muss daher einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten. 2006 startete das "Vietnam Energy Efficiency Programme", das in der Phase bis 2010 eine Reduktion des Energieverbrauchs um 3 bis 5 % gegenüber einem Basisszenario vorsah. Nach Angaben des für Energiepolitik zuständigen Ministeriums für Industrie und Handel (Ministry of Industry and Trade; MOIT) konnten in dem Fünfjahreszeitraum mit verschiedenen Aufklärungskampagnen und Pilotprojekten über 5 Mrd. kWh gespart werden.

Energiesparen spielte für die meisten Verbraucher in der Vergangenheit nur eine sehr untergeordnete Rolle. Der aktuell gültige durchschnittliche Haushaltstarif von 1.304 Dong je kWh (4,7 Eurocent) liegt im regionalen Vergleich am unteren Ende. Erst die jüngsten Stromtariferhöhungen (zuletzt im Dezember 2011) haben die Aufmerksamkeit etwas geschärft. Allerdings sind die künstlich tief gehaltenen Preise nach wie vor zu niedrig, als dass sie angesichts der allgemeinen inflationären Tendenzen - 2011 erreichte die Inflationsrate circa 18% - aus Sicht der meisten Verbraucher merklich ins Gewicht fielen. Für 2012 rechnet das Finanzministerium mit einer Strompreissteigerung um mehr als 10 %.

Entwicklungsorganisationen fördern seit Jahren Institutionen, Kampagnen und Projekte, die der Energieeffizienz zum Durchbruch verhelfen sollen. Japan, Dänemark und Deutschland engagieren sich. Die KfW-Bankengruppe finanziert beispielsweise Energieeffizienzprojekte der EVN in ländlichen Regionen, in denen die Übertragungsverluste bei bis zu 30% liegen können. Weitere Aktivitäten unterstützen die Asiatische Entwicklungsbank, die Weltbank und die Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO). Letztgenannte wird in einem gemeinsamen Programm mit dem MOIT von 2011 bis 2020 unter anderem kostenfreie Energiemanagementtrainings anbieten und bei Betrieben für das Energiemanagementsystem ISO 50001 werben.

Umweltexperten vom Vietnam Green Building Council (VGBC) weisen auf die drängende Situation im Bauwesen hin. Einen Mindeststandard für den Energieverbrauch von Gebäuden gibt es zwar seit November 2005 mit der "Decision 40/QD-BXD" des Bauministeriums. Kommunen, die Baugenehmigungen erteilen, wenden den Mindeststandard allerdings nicht an, heißt es. Dabei werden heute die Weichen für den Verbrauch von morgen gestellt: Je später sich moderne Bautechniken durchsetzen, desto mehr ineffiziente Gebäude werden errichtet und belasten den nationalen Energiehaushalt. Noch rechnen sich aber Investitionen in energiesparende Fenster, Isolierungen und Kühlsysteme aus Sicht der meisten Bauherren nicht. Selbst bei Klimaanlagen, auf die in Wirtschaftsgebäuden im Schnitt 75% des Stromverbrauchs entfallen, setzen Investoren selten auf energieeffiziente Technologien und Steuerungen.

Bauunternehmen gehen zudem wenig fachgerecht mit modernen Baumaterialien um. Lokale Architekten und Ingenieure kennen die Möglichkeiten der Energieeffizienztechnik nicht. Der VGBC bietet daher entsprechende Schulungen mit Abschlussexamen an. Die Nichtregierungsorganisation hat darüber hinaus ein eigenes Umweltzertifikat ("Lotus") entwickelt. Damit werden nach einem lokal angepassten Bewertungsschlüssel, der auf dem US-amerikanischen "LEED", dem "BREEAM" aus Großbritannien und dem "Green Star" aus Australien basiert, außerordentlich ökologische Gebäude ausgezeichnet. Anfang 2012 ließen sich sieben Bauprojekte nach dem Lotusstandard des VGBC zertifizieren.

Für den Zeitraum 2011 bis 2015 strebt das MOIT Ersparnisse von 5 bis 8 % jährlich durch neue energieeffiziente Maßnahmen an. Deren Grundlage bildet ein Energieeffizienzgesetz, das seit Jänner 2011 in Kraft ist. Eine erste Ausführungsbestimmung enthält das Dekret Nummer 21/2011/ND-CP, das im Mai 2011 verabschiedet wurde. Detaillierte Verordnungen, die Unternehmen künftig umsetzen müssen, werden erwartet. Das Dekret definiert zunächst als Hauptenergieverbraucher industrielle und landwirtschaftliche Betriebe, die mehr als 1.000 t Öleinheiten im Jahr einsetzen, und Wirtschaftsgebäude, die mehr als 500 t Öleinheiten benötigen. Diese sollen künftig Energiemanagementsysteme, Energiepläne und Vorschläge für Energieeinsparungen abgeben und einen Energiebeauftragten benennen. Außerdem werden sie von staatlichen Inspektoren geprüft. Das MOIT erhielt den Auftrag, die notwendigen Verwaltungsverfahren für die Hauptenergieverbraucher zu verfassen und eine nationale Energieverbrauchsdatenbank aufzubauen.

Ein nationales Energiekennzeichen soll ab Jänner 2013 für Haushaltsgeräte (Klimaanlagen, Beleuchtungen, Kühlschränke, Waschmaschinen etc.) sowie für industriell genutzte Maschinen und Anlagen (Motoren, Transformatoren und Boiler) eingeführt werden. Bürogeräte wie Computer und Fotokopierer sowie bestimmte wärmedämmende Materialen (Fenster, Dachplatten usw.) folgen ab Januar 2015. Vor Ablauf der Fristen können Hersteller und Importeure ihre Produkte freiwillig kennzeichnen lassen. Dies empfiehlt Rechtsanwalt Oliver Massmann von der Kanzlei Duane Morris, da sie dabei mehr über die mögliche Anerkennung von internationalen Energiestandards und die Testmethoden lokal zertifizierter Labors erfahren. Den endgültigen Zeitplan mit Produktlisten und den Kennzeichnungsrichtlinien wird das MOIT dem Premierminister noch zur Entscheidung vorlegen. Außerdem erlaubt das Energieeffizienzdekret Steuererleichterungen für die Produktion und den Import von energieeffizienten Geräten, Ausrüstungen und Fahrzeugen. Diese werden dringend benötigt.

In der gesamten Wirtschaft legte die Energieintensität, also Energieaufwand pro Bruttoinlandsprodukt, in den vergangenen Jahrzehnten drastisch zu. Der Stromversorger EVN kalkuliert das Einsparpotenzial in der Textil- und Bekleidungsindustrie auf 5 bis 15, der Zementbranche auf 10 bis 20, der Bauwirtschaft und dem Transportwesen auf 25 bis 30 %. Die Betriebe konzentrieren sich beim Energiesparen noch auf den Einsatz von Energiesparlampen und das Abschalten von nicht benötigten Geräten, heißt es. Der breite Austausch des größten Stromverbrauchers, veralteter elektrischer Motoren, stehe noch aus.

Effizientere Ausrüstungen und Prozesse benötigen insbesondere die energieintensiven Branchen Stahlerzeugung, Papierherstellung, die Bau- und die Baustoffindustrie. Beispielsweise macht die Stahlindustrie inzwischen 6 % des gesamten industriellen Stromverbrauchs aus, berechnet das vietnamesische Energy Conservation Research and Development Center. Vietnam verfügt über 65 Stahlwerke mit Kapazitäten von jeweils mehr als 100.000 t. Für die Erzeugung einer Tonne Stahl benötigen sie durchschnittlich 700 kWh Strom, während vergleichbare japanische Werke mit 350 bis 400 kWh auskommen, erläutern Energieexperten. Fachleute schätzen, dass der Sektor seine Energieeffizienz um 30 % verbessern kann.

Allerdings fehlt hierzu der finanzielle Anreiz. Die als strategische Sektoren eingestufte Stahl- und Zementindustrie kommen in den Genuss subventionierter Preise für Kohle und Strom. Das Finanzministerium beziffert die Zuschüsse an die Stahl- und Zementfirmen 2010 auf 2.547 Mrd. Dong (rund 99 Mio. Euro, Durchschnittskurs 2010: 1 Euro = 25.793 Dong). Die etwa 100 Zementwerke mit einer installierten Gesamtkapazität von 60 Mio. t entrichteten Ende 2011 im Durchschnitt 914 Dong je kWh. Der Tarif liegt unter den Gestehungskosten. Höhere Stromkosten würden Investitionen in effizientere Brennöfen, Isolierungen oder Wärmerückgewinnung deutlich attraktiver machen, meinen Fachleute. Auch die Kraftwerke könnten Primärenergie erheblich effizienter umwandeln: der Wirkungsgrad der mit Kohle befeuerten Anlagen liegt nach Pressemeldungen zwischen 28 und 30 %. Moderne erreichen 40 bis 45 %.