Windige Hintergründe : Türme der Lüfte

Eine weiße Halle inmitten von Feldern und Windrädern. Daneben eine Autobahn und ein Umspannwerk. Der Wind weht, Rotorblätter surren, die Autobahn brummt. In der Halle drinnen hämmert, zischt und klirrt es. In der Halle stellt der Windkraftanlagenbauer Enercon Betontürme für seine Windräder her. 2011 beschloss der deutsche Konzern, in einer kleinen Gemeinde auf der Parndorfer Platte im Burgenland sein neues Werk zu bauen. 2012 wurde die Halle in Zurndorf errichtet, nun wird die Produktion hochgefahren. Ab April soll hier Vollbetrieb herrschen. Dann werden täglich bis zu 24 Halbkreise aus Beton gegossen, jeder rund vier Meter hoch und 34 Tonnen schwer - ein Turm pro Tag.

An einer Stelle der Halle steht so ein Halbkreis aus Beton mit herausragenden Eisenstäben, an denen einige Arbeiter hantieren. „Das ist Bewehrungsstahl", erklärt Enercon-Geschäftsführer Hans-Dieter Kettwig. „Der wird von Stahlbiegern in die richtige Form gebogen. Wenn die Röhren und Stahlseile montiert sind, wird das Ganze mit einer Schalung ummantelt und ausgegossen." An einer anderen Stelle stehen Arbeiter mit einer Malerbürste und streichen einen Halbkreis grün an. Mit einer auf einer Stange montierten Malerbürste - genau so, wie man auch Wohnungen ausmalt.

Wenn die Betontrümmer lieferbereit sind, kommen sie auf einen Schwertransporter. Die Reise geht dann auf Felder, Wiesen und Wälder. Am künftigen Standort angekommen, wird der Turm mit Hilfe eines Krans scheibchenweise aufgestellt. Die Türme, die in Zurndorf produziert werden, sind 99 oder 135 m hoch. Ganz oben werden am Ende die tonnenschwere eiförmige Gondel und drei Rotorblätter befestigt.

Wie aber kommt Enercon dazu, ein neues Betonturmwerk in einer kleinen Marktgemeinde im Burgenland zu errichten? Das ist eine Geschichte von betriebswirtschaftlicher Logik, vermischt mit Spuren von Freundschaft und Loyalität.

Durch's Reden kommen die Leut' zusammen. Es begann auf einer Reise von Landeshauptmann Hans Niessl und anderen Politikern nach Portugal, bei der auch ein Werk von Enercon besichtigt wurde. Mit dabei war Werner Friedl, Bürgermeister von Zurndorf. „Dort habe ich den Mathias Moser getroffen, einen Burgenländer aus Siegendorf", erzählt Friedl. Moser ist Leiter der Logistik von Enercon. „Ich hab' ihn gefragt, ob es möglich wäre, auch im Burgenland ein Werk zu installieren. Er hat nicht verneint." Daraufhin trafen sich die beiden alle paar Monate. „Schließlich ist er mit einer Enercon-Gruppe gekommen und hat sich drei Standorte angesehen: Kittsee, Nickelsdorf und Zurndorf. Am 15. August 2011 hat sich Enercon für Zurndorf entschieden." Ausschlaggebend seien die Nähe zur Autobahn und der sehr günstige Preis für den Grund gewesen.

Wohl noch wichtiger für die Enercon-Entscheidung war, was gerade im Burgenland abläuft: ein rasanter Windkraftausbau. Bis zum Ende des Sommers wird Landeshauptmann Hans Niessl das Ziel, das er für das Burgenland gesetzt hat, erreichen: die Stromautarkie. Eine - übers Jahr gerechnete - hundertprozentige Versorgung mit Strom aus erneuerbaren Energieträgern. Allein heuer werden zu den 270 Windrädern im Burgenland noch weitere 89 Anlagen hinzukommen. Der größte Windpark Europas entsteht gerade in Andau an der ungarischen Grenze. Und das Burgenland ist treu: Fast alle Windräder im Burgenland sind Enercon-Anlagen. Im Gegensatz zu Niederösterreich, wo auch der dänische Hersteller Vestas gut im Geschäft ist.

Auch die Nähe zu den Windenergie-Wachstumsmärkten in Südosteuropa spielt eine Rolle für die Betriebsansiedlung. Die Türme, die gerade in Zurndorf gebaut werden, gehen nach Rumänien. Warum errichtet Enercon dann nicht gleich ein Werk in Rumänien? Da kommt die Loyalität ins Spiel. „Weil wir hier im Burgenland einen guten Markt haben, und weil wir möchten, dass die positiven Effekte der Windenergie in der Region bleiben", sagt Enercon-Geschäftsführer Hans-Dieter Kettwig. „Es ist nicht unser Anliegen, möglichst günstige Mitarbeiter zu haben und damit mehr Marge zu machen."

Auch eine betriebswirtschaftliche Logik steckt, bei aller Freundschaft, hinter der Entscheidung. „Der Transport von Betonturmsegmenten verursacht hohe Kosten, und für jeden Schwertransporter braucht man Sondergenehmigungen", sagt Enercon-Pressesprecher Felix Rehwald. Da sei es sinnvoll, möglichst nahe bei den Kunden zu produzieren. Zuletzt wurde ein Turmwerk in Frankreich eröffnet, weitere Turmwerke gibt es in Kanada und Schweden.

Das wirkliche Knowhow von Windkraftanlagen bleibt allerdings in Deutschland. Das Unternehmen, das 1984 vom technischen Tüftler Aloys Wobben in Ostfriesland gegründet wurde, hat seine wichtigsten Produktionsstätten noch immer dort, wo alles begann: in Aurich und Umgebung. Das Unternehmen hat 13.000 Beschäftigte und machte 2011 einen Umsatz von vier Milliarden Euro. In Deutschland hat Enercon einen Marktanteil von 60, in Österreich 50, weltweit sind es 8 %. Vom chinesischen Markt lässt Enercon die Finger, die man sich ohnehin bereits in Indien verbrannt hat. Dort hatte Enercon ein Joint-Venture mit einem indischen Partner, doch der zahlte bald keine Patentgebühren, focht die Enercon-Patente vor indischen Gerichten an und bekam noch dazu Recht. Das sitzt.

„Wir konnten innerhalb von 13 Monaten die Baugenehmigung und den Bau realisieren", freut sich Geschäftsführer Kettwig. Auch bei der Rekrutierung des Personals habe das Land sehr geholfen. 120 Personen sind bereits beschäftigt, 30 werden vom Arbeitsmarktservice noch gesucht: Eisenbieger, Betontechnologen, Mischmeister, Lageristen, Qualitätsmanager. Bis zu 200 Menschen werden, wenn das Werk bei voller Kapazität arbeitet, hier Beschäftigung finden.

Dass das Enercon-Werk ausgerechnet in Zurndorf gebaut wurde, könnte fast als Akt himmlischer Gerechtigkeit gedeutet werden. Denn in Zurndorf begann die burgenländische Energiewende. Der damalige Bürgermeister Rudi Suchy hatte 1993 die Idee, Windräder aufzustellen. Die Gemeinde ließ Windmessungen machen, die ein hohes Potential ergaben. Doch viele spotteten über die Idee, wiesen die Annahmen als unrealistisch zurück und waren knausrig bei der notwendigen Finanzierung. Energieversorger Bewag und das Land lehnten es ab, höhere Stromtarife für Windstrom zu zahlen. So blieb das Projekt liegen. Vier Jahre und mehrere Meinungswechsel später war es schließlich doch die Bewag, die die ersten sechs Windräder in Zurndorf realisierte - und dann von der unerwartet hohen Stromausbeute überrascht war. Apropos Treue: Es waren damals schon Enercon-Anlagen. (me)