SOLID Plus : Stahlbau im Wandel
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Marmor, Stein und Eisen bricht - aber was passiert eigentlich mit Stahl? "Stahl hat sich substanziell verändert - sowohl das Material als auch die Verarbeitung. Und auch die Geschäftsmodelle der Unternehmen haben sich substanziell verändert", fasst es Waagner-Biro-CEO und Miteigentümer Thomas Jost kurz zusammen. Allerdings, schmerzlos war es gerade nicht, was so manchem großen Unternehmen aus der Gründungsphase des Österreichischen Stahlbauverbands (ÖSTV) geblüht hat.
Unter den ursprünglichen Mitgliedern des Stahlbauverband-Proponentenkommitees ist auf jeden Fall kein Stein auf dem anderen geblieben. Aus der Runde VÖEST, Waagner-Biro, Alpine Montan, Wiener Brückenbau, Donawitz, Ludwig Binder, Brüder Bablik und Materialschutzgesellschaft sind mit dem alten Namen nur mehr die Waagner-Biro und - eine Frage für Armin Assinger - die Brüder Bablik als kleines Verzinkereiunternehmen in Brunn am Gebirge nahe Wien übrig geblieben.
Stahlbau bei voestalpine wieder im Kommen Alle anderen (bis auf Ludwig Binder, wo sich die Spur in einem Straßennamen im oststeirischen Weiz verliert) sind mehr oder weniger freiwillig in der nunmehrigen voestalpine aufgegangen, bei der der Stahlbau nur mehr eine Nebenrolle spielt. Denn die voestalpine hat sich vom österreichischen Stahlerzeuger zu einem weltweit agierenden stahlbasierten Technologie- und Industriegüterkonzern entwickelt. Die Entwicklung ging weg von Commodity- hin zu Qualitätsprodukten mit dem Ziel der Weltmarktführerschaft.
Dazu gehören zwar höchstfeste Stähle für die Automobil- und Luftfahrtindustrie, aber, so Konzernsprecher Peter Felsbach: "Der Stahlbau spielt bei der voestalpine AG im Bereich des Segmentes Grobblech wieder eine größere Rolle. Hier sehen wir vor allem im Brückenbau Wachstumspotenzial. Höherfeste, witterungsbeständige Stähle von höchster Qualität werden vermehrt eingesetzt. Während das früher aus Kapazitätsgründen nicht möglich war, investiert man nun in diese neue Nische. Auch der Hallenbau spielt im Bereich des Stahlbaus eine wesentliche Rolle für die voestalpine, hier zeichnet sich ein Trend zu Konstruktionen ab, wo die Stahlbauweise mittlerweile Standard ist. Rund 20 % des Konzernumsatzes entfallen zu ziemlich gleichen Teilen auf Maschinen- und Stahlbau einerseits und die Bauindustrie andererseits.“
Die Geschichte der voestalpine ist zwar schon sehr oft erzählt worden, in den letzten Jahren aber aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgs einerseits und der von Konzernchef Wolfgang Eder immer wieder aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen in Frage gestellten Haltbarkeit des Industriestandorts Linz andererseits in den Hintergrund gerutscht. Ein kurzer Blick darauf lohnt sich dennoch. Denn knapp zehn Jahre nach Gründung des ÖSTV 1954 versuchte man bei der damals noch VÖEST genannten Firma, Konjunkturschwankungen nicht wie heute üblich durch Verteilung des Risikos entgegen zu wirken, sondern ganz im Gegenteil durch Konzentration - zuerst mit der Eingliederung kleinerer Betriebe wie der Wiener Brückenbau, zehn Jahre später mit der großen Fusion mit den Betrieben der Österreichisch-Alpine Montangesellschaft. Der Konzern umfasste 1973 nach der Eingliederung von Big Names wie Gebrüder Boehler und Schoeller-Bleckmann 103 Gesellschaften, an denen die Muttergesellschaft VÖEST-ALPINE AG direkt oder über ihre Tochtergesellschaften Mehrheitsanteile besitzt. Dazu kommen noch qualifizierte Minderheitsbeteiligungen an 14 Gesellschaften.
Dann kamen Öl-, Stahl- und Verstaatlichtenkrise. Politische Einflussnahme, der Gebrauch des Unternehmens als Beschäftigungsreserve, die Änderungen der internationalen Rahmenbedingungen, Misserfolge bei der Diversifikation und bei Auslandsprojekten sowie massive Verluste bei den Ölspekulationen der 1978 gegründeten Handelstochter Intertrading führen 1985 zum Bankrott und zum Rücktritt des gesamten Vorstands. Der Mischkonzern mit 70.000 Beschäftigten wurde zerschlagen. Das sogenannte VOEST-Debakel führt zu einer regelrechten Staatskrise und setzt einen tief greifenden Restrukturierungsprozess der österreichischen Industrie in Gang. Im Zuge dessen stieg die voestalpine mit Zwischenschritten und Privatisierungswellen zu dem Konzern auf, der sie heute ist. Mittelständisch mit einer Handvoll globaler Vorzeigeunternehmen Der Stahlbau hingegen nahm parallel dazu seine eigene Entwicklung. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Branche massiv verändert. Während vor 25 Jahren noch einige wenige große Unternehmen aus dem Umfeld der verstaatlichten Industrie die Szene bestimmten, ist der österreichische Stahlbau heute weitgehend mittelständisch strukturiert, von einer Handvoll großer und global sehr erfolgreich tätiger Musterunternehmen einmal abgesehen.
Und auch sonst ist kein Molekül auf dem anderen geblieben.
"Heute erfolgen Planung und Arbeitsvorbereitung fast ausschließlich digital und 3D", sagt ÖSTV-Präsident Thomas Berr, der als Chef von Wilhelm Schmidt Stahlbau auch das tägliche Geschäft gut kennt. "Zuschnitt und Lochen sind in der Fertigung auch schon zumindest zum Teil automatisiert, während Zusammenbau und Verbinden durch Schweißen und Schrauben noch handwerklich dominiert werden, was an der individuellen Vielfalt und am Handling der mitunter großen und schweren Bauteile liegt." Die Werkstoffe und Fertigungstechniken unterliegen aber in jedem Fall ständiger Weiterentwicklung und auch die digitale Vernetzung der Fertigung – Stichwort Industrie 4.0 – schwebt als Chance durch die Hallen, allerdings müssen dazu noch einige Fragen wie etwa die der Datensicherheit gelöst werden. "Die Automatisierung beginnt mit Sicherheit an Terrain zu gewinnen", sagt Berr, "sei es durch Schweißroboter oder Anlagen zum Fertigen ganzer großer geschweißter Baugruppen. Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen, denn neben der Reduzierung körperlicher Schwerarbeit unter schwierigen Bedingungen lassen sich Wiederholgenauigkeit, Produktivität und Qualität durch durchgehend digital gesteuerte Prozesse massiv verbessern." Wie weit kann die Automatisation gehen? Wie viel tatsächlich drin ist durch Vorfertigung und Automatisation, ist über die Gesamtbranche betrachtet noch weitgehend ungeklärt.
Eine auf Computer und Roboter gestützte Fertigung, die ohne weitere Zwischenschritte direkt die Konstruktionen der CAD Zeichnungen umsetzt wie etwa beim Steel-Beam-Assembler der Traditionsfirma Zeman International zielt auf jeden Fall in zwei Richtungen: Einmal natürlich in Richtung Rationalisierung der Fertigung. Hier ist ein enormer Produktivitätsgewinn drinnen, da der SBA den bislang nur händisch möglichen Zusammenbau der Konstruktionen in 1/3 bis 1/5 der Zeit zuwege bringt. Und zweitens entschärft er das akute Personalproblem im Zusammenbau, wo nur Arbeitskräfte eingesetzt werden können, die Pläne richtig interpretieren können und die darüber hinaus neben der notwendigen handwerklichen Fertigkeit auch über die entsprechende Sorgfalt und Ausdauer verfügen. "Solche Leute sind bei uns bereits rar", sagt Zeman International-Geschäftsführer Dr. Walter Siokola, "und in den sogenannten Billiglohnländern sind sie naturgemäß noch rarer. Daher der Verkaufserfolg unserer Anlagen sowohl in Mitteleuropa, als auch nach Übersee."
Wo es wohl auch in nächster Zeit noch wenig Veränderungen geben wird, ist die Montage auf der Baustelle selber. Auch wenn Mobilkrane und Arbeitsbühnen die Arbeit wesentlich vereinfachen, braucht man dazu nach wie vor hoch qualifizierte und erfahrene Mitarbeiter, die den Job händisch erledigen. Walter Siokola ist seit 30 Jahren im Stahlbau tätig und daher genau der Richtige, um die Frage von Stahlbau Aktuell nach den größten Herausforderungen und den richtigen Begegnungsstrategien zu beantworten: "Neben den technischen Herausforderungen für Zeman wie zum Beispiel der mittlerweile leider abgerissenen Seilkonstruktion der Daches beim Hanappi Stadion oder dem 1.600 Tonnen schweren Hub beim Bau des Sofitels, war und ist die größte Herausforderung generell die stark schwankende und nicht voraussehbare Auftragslage. Mein Rezept dagegen war, eine möglichst schlanke, flexible Organisation zu installieren, bei der die eigene Mannschaft an möglichst vielen Positionen eingesetzt werden kann. Mit dieser Mannschaft wird die Grundauslastung abgedeckt. Die Auftragsspitzen werden mit meist bereits langjährig für uns tätigen Freelancern und Subunternehmen abgedeckt."
Siokola ist daher auch nicht sehr glücklich mit der derzeitigen Diskussion über Subunternehmer im Zusammenhang mit dem neuen Bundesvergabegesetz. "Hier werden tendenziell alle Subunternehmer als potentielle Steuer- und Sozialabgabenhinterzieher dargestellt. Tatsache ist, dass im Bereich des Stahlbaus – und ich kenne die Branche nun seit knapp 30 Jahren –, egal ob im Bereich der Planung, der Lohnfertigung oder der Montage, fast ausschließlich seriöse und meist auch qualifizierte Unternehmen tätig sind. Ich würde mir daher in diesem Bereich eine etwas differenziertere Ausdrucksweise in der Diskussion wünschen."Wichtig für die Zukunft, meint Siokola nicht als einziger, für sein Unternehmen jeweils die richtigen Nischen zu finden und - da sich diese im Laufe der Zeit ja auch verändern - möglichst gut ausgebildete, flexible Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ein Netz von passenden Partnerfirmen zu haben. Bestbieter und die Zukunft Ansonsten aber hätte das mit dem Bestbieterprinzip schon seine existenzielle Richtigkeit: "Das Bestbieterprinzip, und fast noch wichtiger wäre die Zulassung von Alternativangeboten, ist für uns deshalb wichtig, weil nur so die Ingenieurleistungen und die handwerkliche Qualität die wir mit unseren qualifizierten Mitarbeitern bieten verkauft werden kann. Das beweisen einerseits die Erfolge der österreichischen Unternehmen im Ausland, wo mit intelligenten Alternativlösungen auch in extremen Niedriglohnländern Aufträge errungen werden können. Wird der Wettbewerb bei Ingenieur- und Bauleistungen andererseits nur auf den billigsten Preis reduziert, so sind wir dazu verdammt, immer noch billiger, immer noch mehr am Limit des gerade noch Machbaren und Erlaubten zu arbeiten. Am Ende verlieren wir diesen Wettkampf aber immer. Es gibt immer einen Mitbewerber, der noch billiger, in noch weiter entfernten Ländern mit noch billigerer Arbeitskraft produziert – oder der die gesetzlichen Rahmenbedingungen etwas großzügiger auslegt, um es vorsichtig zu formulieren. In diesem Zusammenhang sehe ich das Bestbieterprinzip auch als eine durchaus sinnvolle Strategie gegen den im Moment viel besprochenen Sozial- und Steuerbetrug." Wie sieht also die Zukunft des Stahlbaus aus? ÖSTV-Präsident Berr ist Realist: "Die Anforderungen an das Produkt und damit direkt an den Prozess seiner Entstehung, werden kaum sinken, wobei der letzte Schub an zu erfüllenden EN-Regelwerken weitgehend verdaut scheint. Dem Vernehmen stehen allerdings nach in der EU nun internationale Vereinheitlichungen der Standards auf den Agenden der betreffenden Arbeitsgremien."
Hier sieht der ÖSTV-Präsident reichlich Konfliktpotenzial, da die Zugänge zur Qualifikation von Mitarbeitern höchst verschieden sind: "In Mitteleuropa ist der profunde Ausbildungsweg durch Lehrberufe definiert, während sonst die Einschulung aufgabenspezifisch durch die Unternehmen selbst erfolgt, was zu umfangreichen bürokratischen Anweisungen und Kontrolldokumenten führt: breite Wissensbasis und Erfahrung versus schmale, aufgabenorientierte Ausbildung." Spricht man mit Berr, so spürt man, wie er hin und her gerissen ist zwischen dem täglichen Kampf gegen schwierige Rahmenbedingungen für den Stahlbau (fehlende Aufträge aus den Stahlbau-Domänen Infrastruktur- und Anlagenbereich, kurzfristige Projekte, existenzgefährdende Preise "und die nicht gerade förderlichen politischen Rahmenbedingungen") und der Hoffnung, dass sich Österreichs Stahlbau mit erfolgreichen Projekten vor allem im Ausland, mit der Qualität seiner Mitarbeiter und mit angewandter Forschung vor allem von Seiten der Technischen Universitäten doch ein gutes Auskommen schaffen wird, um in wirtschaftlich besseren Zeiten "mit genug Wissen und Kapazitäten dazustehen."
Letztlich sind es, meint er, immer die Menschen, die in welcher Funktion auch immer für den Erfolg der Arbeit verantwortlich sind. "Und nur wenn wir uns und sie stetig trainieren, können wir die Veränderungen meistern und den Standort trotz hoher Arbeitskosten dauerhaft behaupten."Thomas Pöll