Schweiz : Spekulanten treiben riskanten Bauboom an
Investoren forcieren den Bau neuen Wohnraums insbesondere in ländlichen Regionen in der Hoffnung, weiter von den in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Renditen zu profitieren. Der Immobilienmarkt in der Schweiz befindet sich nach Einschätzung von Experten aber vor einer Trendwende. Die Schweizer Notenbank (SNB) warnt immer wieder vor einer bevorstehenden Korrektur des Immobilienmarkts.
Nach den Daten des letzten Swiss Real Estate Offer Index sanken die Mieten und Preise für Eigentumswohnungen in der Schweiz im Oktober vor allem im Tessin und der West- und Ostschweiz im Vergleich zum Vorjahr um 0,5 sowie 0,3 Prozent. Der Kauf von Einfamilienhäusern habe sich hingegen um ein Prozent verteuert.
Buhlen um Mieter
Anzeichen für eine mögliche Kurskorrektur lassen sich auch aus Wohnungsinseraten herauslesen. Für eine 100-Quadratmeter-Wohnung in Olten im Kanton Solothurn mit einer Monatsmiete von 1.760 Franken (rund 1.500 Euro) bekommt man noch einen Einkaufsgutschein der Wahl im Wert von 1.000 Franken dazu.
In Zürich ist Bauland knapp. Immobilieninvestoren weichen in die Peripherie aus.
In der knapp 5.000-Einwohner-Gemeinde Huttwil im Kanton Bern wird für eine Einzimmerwohnung um 580 Franken mit mietfreier Zeit geworben: „Wenn Sie einen Vertrag für 24 Monate unterzeichnen, erhalten Sie ZWEI MIETZINSEN GRATIS“, so das Inserat. Andere bieten einen „Black-Friday“-Rabatt. In Zürich müssen im Schnitt 2.610 Franken für eine 100-Quadratmeter-Wohnung pro Monat gezahlt werden. Nachlässe gibt es hier nicht.
Über 72.000 leerstehende Wohnungen
Rund 72.300 Wohnungen stehen laut der aktuellsten Leerwohnungszählung vom Juni des Schweizer Bundesamts für Statistik in der Schweiz leer – etwa 22.000 mehr als noch 2015. Mit für den Anstieg verantwortlich seien Kantone wie St. Gallen, Aargau und Solothurn gewesen. Im Tessin und der Ostschweiz kletterte die Leerstandsrate erstmals seit 15 Jahren über die Zweiprozentmarke.
Der Bedarf nach neuem Wohnraum ist allerdings auch in der Schweiz gegeben. Vor allem in Zürich und Genf fehlen Wohnungen. Hier steigen auch die Kaufpreise für Eigentumswohnungen noch. Rund 53.000 Wohnungen sollen heuer insgesamt in der Schweiz fertiggestellt werden, berichtete das Wirtschaftsportal Wallstreet-Online. Die Zürcher Kantonalbank (ZKB) erwartet, dass im kommenden Jahr rund 45.000 neue Wohnungen genehmigt werden.
Negativzinsen: Großes Interesse an Immobilien
Doch es werde an den falschen Orten gebaut, sind sich Immobilienexperten einig. Neue Wohnungen entstehen vor allem in der Peripherie. Zu den Spitzenreitern zählt der Ort Huttwil im Kanton Bern – mit Auto oder Zug jeweils über eine Stunde von Zürich und Bern entfernt. Bei einer Einwohnerzahl von knapp 5.000 Menschen stehen Medienberichten zufolge schon derzeit 300 Wohnungen leer. Weitere 300 sollen im kommenden Jahr dazukommen.
Eine der Ursachen für das Missverhältnis von neuen Angeboten und Nachfrage sind die fehlenden Grundstücke in Zentren wie Zürich und Genf, verfügbares Land in der Peripherie und besonders niedrige Zinsen. Die SNB hält die Negativzinsen schon länger bei minus 0,75 Prozent. „Vor allem institutionelle Anleger drängten angesichts der rekordtiefen Zinsen auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten in den Immobilienmarkt“, analysierte die ZKB-Immobilienexpertin Ursina Kubli im Interview mit dem „Handelsblatt“.
„Und dabei gehen sie zunehmend mehr Risiko ein“, warnte sie. Entsprechend sorgt sich die Branche vor einer Preiskorrektur und damit einhergehenden Wertverlusten durch eine Zinserhöhung. Wann diese kommt, ist noch offen. Schon jetzt entgehen Investoren durch Leerstände mehrere Millionen an Mieteinnahmen.
Maßnahmen gegen Zersiedelung
Riskant ist nicht nur der drohende Wertverlust durch den Bauboom in peripheren Regionen. Auch der ökologische Aspekt ist in der Schweiz seit Längerem ein Thema etwa in Bezug auf die Zersiedelung und den Verlust von Grünflächen. Siedlungsareal wächst laut dem Statistikamt durchschnittlich um rund 1.900 Hektar pro Jahr. Das entspricht der Größe von etwa 2.700 Fußballfeldern.
Dieser Entwicklung trat man schon in den vergangenen Jahren mit einem Raumplanungsgesetz und einem Gesetz, das den Bau von Zweitwohnungen beschränken soll, entgegen. Seither dürfen in Gemeinden, die einen Anteil von mehr als 20 Prozent an Zweitwohnungen haben, keine weiteren mehr bewilligt werden.
Auch eine aktuelle Zersiedelungsinitiative, über die im Februar abgestimmt wird, will dem allzu drastischen Verbrauch von Grund und Boden Einhalt gebieten und die zulässigen Bauzonen in der gesamten Schweiz auf dem derzeitigen Stand belassen. Die von den Schweizer Jungen Grünen eingebrachte Initiative stößt aber auch auf deutlichen Widerstand: Die geforderten Vorschriften werden auch von Umweltministerin Doris Leuthard, die sich Ende des Jahres von ihrem Posten zurückzieht, als zu starr und möglicherweise sogar kontraproduktiv kritisiert, wenn die Bautätigkeit in noch abgelegenere Gebiete verlagert werde. Das würde die Zersiedelung noch verstärken, so die Kritik. (APA)