Österreich : Sobek fordert bei Bautech Talks Umdenken in Politik und Baubranche

„Momentan wächst die Weltbevölkerung um 2,6 Menschen pro Sekunde“, rechnet der deutsche Architekt und Bauingenieur Werner Sobek gleich zu Beginn seines Vortrags den 300 Besuchern der ersten BAUTECH Talks vor, wie relevant seine Bau- und Forschungsvorhaben sind: „Wenn wir jedem davon einen durchschnittlichen Baustandard von 300 Tonnen verbautem Material zugestehen, könnten wir mit dieser Menge jedes Jahr eine 40 cm dicke und 2100 Meter hohe Mauer rund um die gesamte Erdkugel bauen.“

Knappes Gut Baumaterial

Dieser enorme Materialverbrauch ist laut Sobek deshalb so problematisch, weil dadurch riesige Mengen Energie verbraucht werden, der CO2 Ausstoß steigt und die Menschheit bald schlicht nicht mehr genug Baumaterial hat. „Viele Menschen glauben, dass in den Wüsten genug Sand für die Herstellung von Beton lagern würde. Aber dieser Sand ist nicht geeignet, weil er aus sphärischen, glatt geschliffenen Kügelchen besteht.“ Das Resultat sei, dass vor allem in Asien und im mittleren Osten mittlerweile die Küstenregionen durch Sandraubbau stark geschädigt würden.

Seinen Lösungsansatz verkürzt Sobek, der unter anderem die Fassade des DC-Towers geplant hat, auf die Formel: „Build for more with less“. Während seines Vortrags zeigt er für seine Leichtbau-Projekte viele Beispiele, wie etwa Fassaden aus Stoff oder Betonstrukturen, für die die Lastverteilung so berechnet ist, dass sie nicht mehr massiv ausgeführt werden müssen und von vielen kleinen Löchern durchzogen sind.

Die Urban Mining and Recycling Unit

Sein spannendstes Projekt ist aber gleichzeitig auch das aktuellste. Die Urban Mining and Recycling (UMAR) Unit ist ein Wohnmodul, das Anfang 2018 in eine der Etagen der experimentellen NEST Plattform am Campus der schweizerischen Material- und Prüfanstalt (Empa) in Dübendorf bei Zürich eingebaut wurde. Sobek und seine Kollegen Dirk E. Hebel und Felix Heisel wollen damit zeigen, dass der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen weder ansprechende Architektur ausschließt noch unökonomisch ist.

Die zentrale Herausforderung des Projekts ist die Vorgabe, dass alle eingesetzten Baumaterialien wiederverwendbar, recycling-fähig oder kompostierbar sein müssen. Es soll dabei ein geschlossener Kreislauf entstehen, bei dem kein noch so kleines Element des Gebäudes entsorgt werden muss. Die dahinterliegende Idee: Materialien werden für ein Gebäude lediglich „ausgeliehen“ und nach dem Ende von dessen Lebenszyklus für andere Bauvorhaben wieder nutzbar.

Hemmschuh für progressives Bauen

Diesen revolutionären Ansatz diskutierten anschließend die Teilnehmer einer Podiumsdiskussion unter Leitung der ehemaligen Ö3-Moderatorin Daniela Zeller. STRABAG-Vorstand Dr. Peter Krammer ist etwa der Meinung, dass sich durch Ansätze wie Urban Mining auch die Frage der Nutzungszyklen von Gebäuden neu stellt: „Eine Elbphilharmonie bauen wir für 100 Jahre und mehr. Bei solchen Projekten ist die Wiederverwendbarkeit von Baumaterialien weniger interessant. Aber ist das auch bei einem Einfamilienhaus so oder im Wohnbau?“, fragt er provokant. „Wir wollen für die gesamte Bevölkerung gut und billiger bauen, aber gleichzeitig ökologisch handeln. Materialtechnologisch sehe ich darin kein großes Problem. Wir können es relativ kurzfristig schaffen, dass jeder Baustoff auch trennbar und wiederverwertbar ist. Aber wir brauchen mehr Freiheiten, die Vielzahl an Regulierungen in Österreich ist für progressives Bauen ein Hemmschuh“, unterstreicht der STRABAG SE Vorstand.

413 sich teilweise widersprechende Brandschutznormen

Ähnlich sieht das auch Wolfgang Gleissner, Geschäftsführer der BIG Bundesimmobiliengesellschaft m. b. H.: „Die Frage ist, wie intensiv und wie lange wir nutzen. Hier brauchen wir mehr Flexibiltät. Wir haben etwa 600 nationale Baunormen und allein 413 Regelungen zum Brandschutz, die sich teilweise widersprechen. Diese Vielzahl an Vorschriften sollte vereinfacht werden, um zum Beispiel jungen Menschen günstigere Angebote machen zu können.“

ÖVP-Stadtrat Dr. Markus Wölbitsch schließt sich daran mit der Forderung an, die Stadt noch mehr als sich selbst erhaltendes Ökosystem zu sehen und in den Ausbau von PV-Anlagen zu investieren. „Außerdem glaube ich, dass wir bei Neuprojekten dokumentieren sollten, welche Baustoffe wirklich verbaut wurden, um später auch zu wissen, welche wiederverwendbar sind.“

Wien auf gutem Weg?

Sein SPÖ-Kollege Dr. Kurt Stürzenbecher, im Gemeinderat Vorsitzender des Ausschusses für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung, sieht Wien dagegen schon auf einem guten Weg, was neue Ansätze beim Bauen und Urban Mining angeht. „Wir setzen diese Gedanken jetzt schon um“, meint er. „Bei der Vergabe von Wohnbauprojekten ist etwa neben Ökonomie und Architektur die Ökologie und soziale Nachhaltigkeit einer der wichtigsten Faktoren.“ Als Beispiel für „Urban Mining“ Ansätze in der Stadt nennt er die Umgestaltung des Philips-Hochhauses, bei der die tragende Betonkonstruktion und die Fassade erhalten blieb, das Gebäude innen aber mit noblen Apartments komplett umgestaltet wurde.

Für Karl Weidlinger, Geschäftsführer der SWIETELSKY Bauges. m.b.H sind das gute Pilotprojekte aber noch lange nicht genug: „Im Tiefbau sind wir beim Thema Recycling schon wesentlich weiter. Aber im Hochbau und vor allem beim Wohnbau müssen wir mehr zulassen und Vorschriften zurückschrauben, damit wir als Bauunternehmen diese Ansätze erfolgversprechend umsetzen können.“