SOLID 06/2020 PREVIEW : „Schnüren ein umfangreiches Maßnahmenpaket“
SOLID: Wie beurteilen Sie die Lage der Bauwirtschaft in OÖ und was hat sich in den einzelnen Bereichen durch die Corona-Krise geändert?
Norbert Hartl: Wir haben in Oberösterreich von der ersten Minute an das Thema Covid-19 ernst genommen und sind somit – soweit man sich in der kurzen Zeit überhaupt bis ins Detail vorbereiten konnte – auf einem guten Weg. Die Baubranche kannte in den letzten Jahren nur eine Richtung, die nach oben. Die Coronavirus-Krise machte auch vor der Bauwirtschaft und damit vor einer Schlüsselbranche nicht halt. Wir haben zwar auch in der Vergangenheit schon Krisen erlebt, aber jetzt ist die Situation eine andere. Die Arbeiter auf einer Baustelle können eben nicht ins Homeoffice geschickt werden, sie müssen real auf der Baustelle sein. Die Ausfallzeiten durch Quarantänemaßnahmen bei Arbeitskräften stellen die Branche immer wieder vor zusätzliche Probleme. Die Einreisebeschränkungen für die in Österreich beschäftigten Arbeitskräfte sollten umgehend aufgehoben werden. In OÖ haben wir derzeit einen signifikanten Rückgang der Ausschreibungen zu verzeichnen. Dies ist der öffentlichen Hand geschuldet, die einerseits ihre Mitarbeiter über Wochen nicht beschäftigt hat und andererseits einen Aufruf an die Gemeinden startete, Sparmaßnahmen zu setzen. Ich halte beide Vorgänge für höchst problematisch und kontraproduktiv. Wir brauchen Aufträge und Konjunkturpakete durch die öffentliche Hand - Bund, Länder, Gemeinden - sowie eine Forcierung des oberösterreichischen Wohnbauprogrammes.
Wie sehen Sie Oberösterreich im Vergleich zu den anderen Bundesländern? Es werden ja etwa viele große Infrastrukturprojekte der öffentlichen Hand in Oberösterreich gebaut – aber wie geht es den Gemeinden? Und wie sehen Sie die Auftragslage von Seiten der privaten (auch industriellen) Bauherren?
Hartl: In Oberösterreich merken wir zwar erste Auswirkungen der Krise, aber noch wird gebaut. Auf vielen Baustellen können die Vorschriften eingehalten werden. Zu 97 Prozent sind die Baustellen nach dem kurzen Corona-bedingten Stillstand wieder in Betrieb. Es ist jedoch ein Stopp der kommunalen Bauvorhaben zu befürchten. Die gewerblichen Bauunternehmer sind davon sowohl im Hoch- als auch im Tiefbau betroffen. Im Tiefbau ist das Baugewerbe zu 10 bis 15 Prozent auf Gemeindeprojekte angewiesen. Das ist das kurzfristige und sehr beschäftigungsintensive Flächengeschäft. Das Bauwesen ist ein Arbeitsplatzmotor, und daher sind sehr viele Arbeitsplätze von dieser Krise berührt. Die gesamte Bauwirtschaft kommt allerdings aus einer Hochkonjunktur, es ist also ein Auftragspuffer vorhanden. Deshalb muss es im Sinne der Politik sein, das Thema des Finanzausgleichs und der Gemeindefinanzierung rasch gelöst wird, dann könnte im Herbst eine zweite Arbeitslosenwelle auf dem Bau verhindert werden.
Was können Sie als Innung grundsätzlich tun, um die Situation für die Betriebe zu verbessern? Und was würden Sie gern tun, können es aber nicht und warum?
Hartl: Wir schnüren derzeit ein umfangreiches Maßnahmenpaket für unsere Mitgliedsbetriebe. Es werden Sofortmaßnahmen in Form von qualifizierter Weiterbildung, Coaching und betrieblicher Beratung in den Bereichen Innovation von Prozessen, betrieblichen Abläufen und neuen Bautechnologien, Eintritt in neue Marktsegmente sowie Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette gefördert.
Ein neues Unterstützungspaket namens „First Aid – Baubetriebswirtschaft“ steht ebenso in den Startlöchern. Ein Team von erfahrenen Wirtschafts- und Steuerberatern sowie Fachleuten aus der Betriebsberatung und dem betriebswirtschaftlichen Coaching steht Unternehmen aller Größen zur Verfügung. Sie können sich bei unmittelbaren oder mittelbaren Liquiditätsengpässen, betriebswirtschaftlichen Problemen oder auch zu Finanzierungsthemen im Hinblick auf eine Insolvenzgefahr beraten respektive coachen lassen.
Kommt es bei Ihnen wie etwa aus Tirol bekannt zu Verfahrensverzögerungen? Konnten Sie da etwas bewirken?
Hartl: Wir konnten mit vereinten Kräften die Wiederaufnahme der mündlichen Bauverhandlung bewirken. Rasche Behördenabläufe treiben nicht nur Projektverwirklichungen bei Bund, Ländern und Gemeinden voran, sondern sind ein wichtiger Impulsgeber für die Wirtschaft. Genehmigungsverfahren müssen daher beschleunigt und effizient durchgeführt werden, um Ausschreibungen und Auftragsvergaben für Bauvorhaben rasch umsetzen zu können. Ein Umdenken ist auch hinsichtlich der Digitalisierung bei Verwaltungsverfahren nötig. So sollte es in Zukunft möglich sein, die geforderten Unterlagen digital einzureichen. Ebenso wären digitale Prozesse im Bereich von Bauverhandlungen effizient und wünschenswert. Südtirol ist in dieser Beziehung Vorreiter und Pionier für Europa. Die Covid -19-Pandemie hat gezeigt, was alles möglich ist. Wenn EU-Abgeordnete via Videokonferenz Gesetzesvorlagen diskutieren können und die Abstimmung danach ebenfalls digital erfolgt, sollte es auch möglich sein, Bauverfahren zu digitalisieren.
Was wünschen Sie sich da von der Bundesebene und was von der Landespolitik?
Hartl: Die Gemeinden sollen die durch die Corona-Pandemie unterbrochenen Bauverfahren, so schnell es geht, wieder starten. Die Finanzierungszusagen der kommunalen Bauvorhaben müssen eingehalten werden, um hier auch Arbeitsplätze absichern zu können. Auf Bundesebene erwarte ich mir, dass die Themen des Finanzausgleichs und auch der Gemeindefinanzierung so rasch wie möglich gelöst werden. Mein Appell: Die öffentliche Hand muss angehalten werden, nicht nur die geplanten Neuinvestitionen durchzuführen, sondern auch in ein umfassendes Konjunkturpaket zu investieren. Beschlossene Hilfspakete gehen zwar an die richtige Adresse, müssen aber rasch und unbürokratisch umgesetzt werden.
Gibt es reale Chancen, die sich durch diese Krise ergeben – oder ist sie einfach nur negativ und belastend?
Hartl: Jede Krise ist auch als Chance zu sehen, auch in der Bauwirtschaft. Das Baugewerbe hat ein solides Polster und ist nicht exportfixiert, zumindest nicht kurzfristig. Die Zeit vor der Coronakrise war durch volle Auftragsbücher und enge Zeitpläne geprägt. Eine realistischere Planung in der Zukunft wäre wünschenswert, und vielleicht wird dadurch die Leistung der Handwerksbetriebe wieder etwas mehr wertgeschätzt. Eine große Chance könnte auch sein, einer Krise in Zukunft mit innerbetrieblichen Maßnahmen gegenzusteuern, beispielsweise durch Innovation in allen Bereichen der Wertschöpfung, Erschließen neuer Märkte, Digitalisierung oder das Optimieren von Prozessen und Abläufen. Dazu gehören eine weitsichtige Planung und ein vorausschauendes Denken. Das ist besonders in Krisenzeiten angebracht, um möglichst schnell auf negative Ereignisse reagieren zu können. Die Reduktion der Gesetzesflut mit unnötigen bürokratischen Auflagen und die Harmonisierung sowie Reduzierung der Baurichtlinien und -normen sind eine weitere Forderung an die Politik, um unsere Branche zukunftsfit zu machen.
Sie sind einer der treibenden Kräfte hinter der Neuaufstellung der Lehrlingsausbildung in Österreich. Welches Feedback haben Sie da bis jetzt erhalten und wie sehen Sie überhaupt die Weiterentwicklung der Frage der Ausbildung?
Hartl: Corona-bedingt hat sich hier nichts verändert: Wir brauchen Facharbeiterinnen und Facharbeiter! Jugendlichen werden am Bau vielfältige Chancen geboten. Neue digitale Lernmethoden haben sich während Covid-19 bewährt und werden auch in Zukunft verstärkt eingesetzt. Welche zukunftsweisenden Ausbildungsinstrumente der heimischen Bauwirtschaft mit der E-Baulehre zur Verfügung stehen, zeigte sich gerade in den Tagen der Coronakrise. Während landesweit die Schultore für den Großteil der Schüler versperrt blieben, war unser Baunachwuchs nicht von der Schulbank verbannt. Dank der raschen Umsetzung durch die BAUAkademie Oberösterreich konnten wir die digitale Lernplattform allen Schülerinnen und Schülern kostenlos zur Verfügung stellen. Derzeit zählen wir täglich rund 500 Zugriffe und an die 250 Kurszertifikate. Hier nehmen wir europaweit eine Vorreiterrolle ein.