SOLID: Was war aus bautechnischer Sicht das Spannendste, was sie in letzter Zeit gemacht haben?
Werner Sobek: Wir haben gerade eine Großbaustelle in Kuwait mit ungefähr 45.000 sechs mal sechs Meter großen weißen Sichtbetonfertigteilen, alle doppelt gekrümmt und mit 11.000 unterschiedlichen Geometrien. Wir haben dafür statt 50.000 Plänen nur einige wenige gemacht und der Rest läuft aus unseren Computern direkt in die Produktion der Baufirma. Das ist ein BIM Digital Data Flow Man to Machine, der das Feinste ist, was wir bei diesem Thema je gemacht haben – aber auch harte Arbeit, um das zum Laufen zu bringen.
Wie setzt man so etwas auf?
Sobek: Sie müssen viele Computerprogramme miteinander vernetzen. Das sind auf der einen Seite welche, die Geometrien und Materialien beschreiben – also im wesentlichen BIM -, dann sind es die optischen Kontrollen mit Visualisierungssoftware, dazu kommt Statiksoftware und einzelne Programme, die wir selber schreiben müssen, damit die unterschiedlichen Programme miteinander kompatibel sind. Und das geht hin bis zur Konfiguration der Datenströme, damit sie dann in den CNC-gesteuerten Maschinen verarbeitet werden können.
Viel Arbeit – aber dann auch eine wunderbare Sache, wenn Sie z.B. irgendeine Stütze um zehn Zentimeter verschieben und es ändern sich 50.000 Pläne automatisch und fehlerfrei!
Ist das alles noch das, was man unter BIM versteht, oder schon viel mehr?
Sobek: BIM in der traditionellen Anwendungsweise ist ja eine Beschreibung der Geometrie – und wir hinterlegen das mit Materialien und Herstellerdaten.
Sind das Daten, die Sie von Herstellern bekommen, oder sind das in Daten gegossene Anforderungen, die Sie selber an Hersteller haben?
Sobek: Zunächst einmal machen wir es noch einfach und nehmen die Daten, die wir von den Herstellern bekommen. Dann weiß man zumindest mal, wenn man den Computer der Firma X öffnet, wo alles herkommt und wer was dabei gemacht hat. Wir wissen in dieser Stufe noch nicht, ob dabei Kinderarbeit involviert war oder toxische Abfälle entstanden sind – aber das ist die nächste Stufe.
So weit muss man Ihrer Meinung nach gehen?
Sobek: Das ist eine Überlebensfrage für die Menschheit. Wir kommen überhaupt nicht umhin, so zu denken, denn wir werden nicht mehr bauen können, wie wir bisher gebaut haben.
Warum?
Sobek: Ein einfaches Beispiel: wenn sie das World Trade Center in Manhattan nicht in die Luft gejagt, sondern abgebaut hätten, weil keiner mehr einziehen wollte – und das war der Fall -, hätte der Abbau genau so viel gekostet wie der Neubau. Jetzt suchen Sie einmal einen Wolkenkratzer-Bauherrn, der bereit ist, 600 bis 800 Millionen Dollar für den Abbau zu bezahlen! Die werden alle ihre GmbH vorher kaputt gehen lassen und der Verlust wird sozialisiert.
Und wo geht es hin mit dem Bau – hierzulande und weltweit?
Sobek: In Deutschland haben wir heute 83 Millionen Einwohner, 2050 werden es zwischen 63 und 70 sein, das heißt, wir haben einen schrumpfenden Markt mit hohem Sättigungsgrad an gebauter Umwelt pro Kopf – in Deutschland 490 Tonnen Baustoff pro Person. In Afrika ist demgegenüber der Nettozuwachs der Bevölkerung pro Jahr ca. 42 Millionen. Das heißt, sie müssen jedes Jahr für ein halbes Deutschland neu bauen. Die große Frage ist: wo kommt der Baustoff her?
Liegen wir da so schlecht weltweit?
Sobek: Es gibt Rohstoffprobleme ohne Ende. Das bundesdeutsche Wirtschaftsministerium hat vor vier bis fünf Jahren eine Veröffentlichung über die zukünftige Verfügbarkeit von Rohstoffen gemacht. Die Aussage war ganz klar: ungefähr 2025 laufen wir in ein essenzielles Versorgungsproblem mit Zinn und Zink, spätestens zwei bis drei Jahre später ist Kupfer dran. Zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung hat aber noch nie jemand von Elektromobilität gesprochen! Und die Sandknappheit mit ihren Auswirkungen auf die Zementproduktion ist eine bekannte Tatsache.
Wie lässt sich Ihr Konzept von Rezyklierbarkeit und Leichtbau auf den Städtebau umlegen? Wir können ja keine Städte aus lauter Landmarks bauen.
Sobek: Warum sind es Landmarks, typischerweise Pavillons oder Einfamilienhäuser? Weil bei solchen Experimenten das finanzielle Restrisiko typischerweise überschaubar ist. Aber mir geht es nicht um Einfamilienhäuser, die recycelbar sind, sondern ich teste dort eine Technologie und eine ästhetische Qualität, die dann selbstverständlich in die großen Höhen und die großen Breiten zu bringen ist.
Und wie sieht es im Bereich Infrastruktur aus?
Sobek: Damit beschäftigen wir uns derzeit noch weniger – mit Ausnahme einer Ableitung aus unseren Leichtbau-Technologien im Brückenbau. Da haben wir Techniken entwickeln, wie man viel Material sparen kann und die Brücken länger halten.
Wir hören immer wieder von neuen Materialien mit korallenähnlichen Strukturen, Dämmstoffen mit Pilzen…
Sobek: … den haben wir ja beim UMAR in der Schweiz eingesetzt! Man muss da aber auch vorsichtig sein mit diesen Wunderwerkstoffen, die fallen ja nicht vom Himmel. Wenn Sie die Bautechnikliteratur anschauen, da gab es um die Jahrtausendwende mindestens 500 Bücher zum Thema New Materials – die hatten alle die gleichen Fotos von Rennyachten aus Karbonfasern, Rennhelme und ähnliches. Ich setze da auf etwas anderes. Was wir gerade entwickeln, sind Gradientenbetone. Das sind Betone, bei denen wir in einen Betonbauteil große Hohlkörper einbringen und die Geometrie und die Dichte dieser Hohlkörper so verteilen, dass überall dort, wo das Bauteil niedrig beansprucht ist, auch kein Beton ist. Damit sparen wir locker und garantiert 50 Prozent des Gewichtes.
Das kann man heute schon machen.
Etwas anderes, das viel viel weitreichender ist: wir verwenden beispielsweise Sand und wandeln diesen Sand mithilfe von bakteriellen Ausscheidungsprodukten in Sandstein um. Da gibt es derzeit ziegelsteingroße Muster, die auch eine vernünftige Festigkeit haben, so dass man damit bauen kann. So hat man quasi Ziegelsteine, ohne dass man dafür Wärme benötigt oder einen gasförmigen Abfall hat, was ja das große Problem bei der Zementproduktion ist. Bei Beton haben Sie ja prozessbedingt ungefähr 60 Prozent der CO2-Emissionen bei der Herstellung von Zement. Unser Ziel muss sein, davon weniger zu brauchen und die Bauteile nicht so hoffnungslos überzudimensionieren. Und beim Recycling sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, davon bin ich fest überzeugt.
Was heißt das alles für die bauausführenden Unternehmen einer- und die Zulieferindustrie andererseits?
Sobek: Die Ausführenden müssen sehr viel Weiterbildung betreiben und umlernen – und das gilt auch für die Architekten und Ingenieure. Recyclinggerecht konstruieren ist nicht ganz so einfach, zumal es auf der Welt kein einziges Handbuch über recyclinggerechtes Bauen gibt. Das muss alles erst geschrieben und gemacht und dann in die Universitäten und Weiterbildungsinstitutionen getragen werden.
Und die Zulieferindustrie wird sich neu sortieren.