SOLID: Der Rechnungshof hat im Spätherbst 2018 einen Leitfaden für das Management öffentlicher Bauprojekte herausgegeben. Denken Sie, dass es diesen Leitfaden gebraucht hat?
Stefan Graf: Darauf gibt es nur eine Antwort, nämlich das klassische Jein. Ich finde grundsätzlich gut, dass es so einen Leitfaden gibt, denn offensichtlich hat es ihn gebraucht, sonst würde es ihn nicht geben. Ich finde ihn auch vom Aufbau her gut, weil er sehr durchgängig ist und tatsächlich einen roten Faden durch Bauprojekte bietet. Der Leitfaden ist gut strukturiert mit klaren Aussagen und liefert von der Ausgangslage weg Lösungsvorschläge, was immer besser ist als reine Kritik auszuüben.
Finden Sie nicht manches – so war zumindest mein Eindruck – ein wenig oberlehrerhaft? Gibt es nicht eine ganz schöne Menge No-Na-Aussagen? Ich bin bei der Lektüre erschrocken, als ich die Empfehlung gelesen habe, dass man Wirtschaftlichkeitsberechnungen anstellen sollte. Muss man das tatsächlich extra sagen oder müssen einem die Grausbirnen aufsteigen? Und dann gibt es auf der anderen Seite Empfehlungen, bei denen man sagen muss, dass das Ziel schon sehr sehr hoch gesteckt ist.
Graf: Das sehe ich ähnlich. In meinen Notizen steht da zB „einiges an Selbstverständlichkeiten“. Grundsätzlich finde ich es natürlich richtig, dass diese Dinge angeführt und eingefordert werden, denn sie gehören einfach dazu. Auf der anderen Seite tut es fast weh, dass solche Selbstverständlichkeiten aufgeschrieben werden müssen. Auch das Wort „Oberlehrer“ ist mir beim Lesen einige Male in den Sinn gekommen. Es war also ein echtes Wechselbad der Gefühle. Denn wir kennen ja alle Beispiele, bei denen etwas nicht funktioniert hat – und wer sonst als der Rechnungshof als Kontrollinstanz wäre berufen, den Finger zu erheben?
Wen sehen Sie denn als Adressaten des Leitfadens?
Graf: Ich glaube, der Adressat ist eigentlich die öffentliche Hand und im Sinne des Investors die Politik. Denn wer selber in der Bauwirtschaft unterwegs ist, saugt das ja in seiner Ausbildung praktisch wie Muttermilch auf und für denjenigen ist das tägliches Brot. Aber vor allem Verantwortliche von Großprojekten der öffentlichen Hand oder Politik finden hier eine gute Anleitung. Und das ist dann genau das, was so oft angeführt wird: das Thema der Bauherrenverantwortung, die nicht delegierbar ist.
Also aus dem Leitfaden „Funktion und Kompetenz des Bauherrn“ und „Entscheidungen treffen“. - Für mich positiv bekommen die Themen Projektvorbereitung und Wissensmanagement Raum. Wird es da nicht dann doch auch für die Bauwirtschaft spannend?
Graf: Die Themen haben wir auch, ja. Was ich auch noch sehr positiv finde ist, dass das Thema Lebenszyklus in den Fokus genommen wird. Da kommen auch sehr gute Vorschläge, was mir zeigt: Das muss jemand geschrieben haben, der eine ziemlich gute Ahnung von der Branche und vielleicht auch schon das eine oder andere erlebt hat.
Ich habe mir aber beim Durchlesen groß notiert: Achtung vor Verallgemeinerungen! Denn es gibt natürlich Projekte , bei denen vieles schief geht – und das müssen nicht nur Großprojekte sein, das geht auch bei Kleinprojekten und ich weiß, wovon ich spreche. Aber man muss aufpassen, dass diese paar Ausreißer, die medial und auch politisch sehr ausgeschlachtet werden, nicht eine gesamte Branche desavouieren. In 80 bis 90 Prozent der Fälle läuft es gut – und das darf man nicht außer Acht lassen.
Aus Ihrer Erfahrung und weil sie sowohl größere als auch lokale öffentliche Projekte abwickeln: Wie groß und welcher Art ist der Unterschied zwischen großen öffentlichen Auftraggebern wie Asfinag oder ÖBB und der sprichwörtlichen Kleingemeinde mit ihrem Kreisverkehr?
Graf: Es kommt grundsätzlich immer auf den Menschen an. Wir haben mit der Asfinag auch einmal ein Baulos gehabt, bei dem sehr intensiv diskutiert wurde und andere Projekte laufen total problemlos. Bei diesen großen öffentlichen Auftraggebern sind eben Profis am Werk. Zu Problemen kommt es dort, wo keine Profis tätig sind – und ob das jetzt eine kleine Gemeinde ist oder ein großer öffentlicher Auftraggeber oder im privaten Sektor, ist egal. Es kommt überall vor und ist ein menschliches Thema und weniger ein systemisches.
Bleibt am Ende des Leitfadens das große Thema Bauherrenschulung über?
Graf: Da möchte ich eine Lanze für die kooperative Projektabwicklung brechen. Es kommt immer auf alle an – und daraus resultiert ein Kritikpunkt an diesem Leitfaden aus meiner Sicht: interessanterweise fordert der Bericht, dass mehr Kompetenzen beim Auftraggeber inhouse gezogen werden. Ich erwarte hier einen Aufschrei der Konsulentenbranche. Und die Ausführenden kommen praktisch überhaupt nicht vor – und damit fehlt der gesamte partnerschaftliche Ansatz. Und wenn die Ausführenden genannt werden, dann immer nur im Zusammenhang mit Claim Management. Wenn ich mir das als unbedarfter Leser anschaue, der Hilfestellung braucht, baut sich bei mir von vornherein ein Spannungsfeld auf. Da könnte man denken: um Gottes Willen, vor den Ausführenden muss ich mich schützen, die wollen mich nur ausbeuten! Das schafft ein verstörendes Bild.
Weil Sie die Planung ansprechen: das Kapitel „Qualität der Planung“ zielt aus meiner Sicht ganz ganz stark in Richtung Standardleistungsbeschreibung und eben Claiming-Prävention. Sollten wir über das nicht hinaus sein bzw. hinauszukommen versuchen – wenn wir schon einen Leitfaden mit Empfehlungen für die Zukunft machen?
Graf: Ja – und ich glaube, da haben wir noch einen langen Weg vor uns, als Gesellschaft und als Bauwirtschaft. Es steht alles goldrichtig drin: die hohe Qualität der Ausschreibung, der Weg zur Digitalisierung der Prozesse – nur der Weg ist noch ein langer und der Mensch ist viel zu sehr Mensch.
Was fehlt Ihnen in diesem Leitfaden?
Graf: Ich glaube, man müsste mehr auf die Perspektive der Ausführenden eingehen. Das würde das Verständnis des Lesenden – und das ist aus meiner Sicht hauptsächlich der Investor - für alle Bereiche stärken. Planen und Betreiben, also Facility Management sind drinnen, der ausführende Part, das Bauen fehlt großteils.
Ein relativ neues Thema beim Kapitel Vergabe ist das frühe Einbeziehen von möglichen Partnern in Projekte. Für die öffentliche Hand ist dieses Early Contractor Involvement ein zweischneidiges Thema – aber wie stehen Sie selber dazu?
Graf: Sehr positiv. Ich glaube auch, dass das Thema BIM uns dorthin bringt. Und auch das stört mich an diesem Leitfaden: Er tut so, als müsste alles abgeschlossen und fertig sein und dann beziehen wir erst die Ausführenden in den Prozess ein. Und genau das ist die Wurzel des Übels. Das löst automatisch diese Kontra-Stellung aus. Wenn ich hingegen einen Ausführenden mit seiner Expertise früh einbeziehe – und es gibt in Europa sehr gute Beispiele dafür –, könnte man viel verbessern und auch einen funktionellen Benefit ziehen. Da ist der Rechnungshof-Leitfaden sicher nicht förderlich. Dabei steht ganz deutlich: je früher die Dinge geregelt sind, desto weniger Mehrkosten gibt es.
Mir ist in diesem Zusammenhang das Thema der persönlichen Qualifikation der Führungskräfte ein sehr wichtiges. Das ist zwar sehr schwer zu messen, aber über Qualifikationsverfahren in mehrstufigen Prozessen kann man zumindest in diese Richtung einwirken. Am Ende kommt es auf den Menschen an und nicht auf das System.