SOLID 02/2019 : Projektabwicklung neu: früh dabei und doch transparent
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Solid: Beim Praxisforum AVVA (Ausschreibung, Vergabe, Vertrag, Abrechnung) ging es sehr stark um das Thema der frühzeitigen Involvierung von Ausführenden, vor allem Baufirmen, in Bauprojekte. Dabei stand wiederum die Problematik der öffentlichen Auftraggeber im Fokus, bei denen das Early Contractor Involvement problematisch zu sein scheint, weil es immer den Verdacht unkorrekter Absprachen mit sich zieht.
Frage an die Runde: wo stehen wir denn beim Thema Early Contractor Involvement tatsächlich und welche Schritte sind aus ihrer Sicht notwendig?
Wilhelm Reismann: Ich sage einmal provokant, in Mitteleuropa stehen wir bei Null.
Mathias Fabich: Wenn wir an die öffentlichen Auftraggeber denken, ist das tatsächlich so!
Sarah Buchner: Wobei das Interesse schon da ist. Es gibt jetzt erste Kooperationsansätze von der öffentlichen Hand, und bei privaten Auftraggebern sind wir nicht bei Null. Da gibt es große Projekte – und das betrifft nicht nur die Strabag -, bei denen wir Early Contractor Involvement (ECI, Anm.) tatsächlich durchführen.
Ab wann sind sie als Baufirma da dabei?
Buchner: Im optimalsten Fall von Anfang an, aber zumindest ab der Einreichung – und dann funktioniert auch BIM, das hängt sehr eng zusammen. Ich kann im Grunde kein echtes, integriertes BIM machen, was in allen Lebenszyklusphasen funktioniert, wenn ich kein Early Contractor Involvement habe.
Reismann: Das sehe ich nicht ganz so ausschließlich. Digital Planen, Bauen und Betreiben kann ich in vielen Vertragsmodellen. Aber ECI und BIM macht gemeinsam viel Sinn.
Wenn wir in Mitteleuropa so mehr oder weniger bei Null oder knapp darüber stehen – wo ist das Thema denn schon weiter gediehen?
Fabich: Wenn wir darüber sprechen, in welchen Ländern das ECI wesentlich weiter ist, ist das vor allem UK mit dem dort üblichen Standardvertrag NEC3 oder NEC4. Wir sind aber auch in der Initiative TeamBuilding in Deutschland tätig (www.initiative-teambuilding.de, Anm.), in der auch etwa die Deutsche Bahn als öffentlicher Auftraggeber und andere große Unternehmen vertreten sind und wir alle dort sagen: wir wollen es anders versuchen.
Dort wurde gesagt: es kann doch nicht sein, dass zuerst der Auftraggeber und der Auftragnehmer getrennt über Risiken nachdenken und sie für sich zu formulieren und man entdeckt dann erst in der Ausführungsphase, ob man das Risiko richtig verstanden hat oder nicht – und wie es der andere verstanden hat. Das ist ein sehr konkreter Punkt, wo ECI wirklich helfen kann.
Der Hausverstand würde einen ja an sich dazu anleiten, das so zu machen. Warum – provokant gefragt – kommt man jetzt erst auf die Idee? Hat es einen englischen Namen dafür gebraucht? Oder gab es das eh schon einmal?
Reismann: Wir kommen jetzt drauf, weil das Bauwesen wie alle anderen Wesen auch immer wieder auf Abwege kommt. Man hat in der Nachkriegszeit bis in die 1960er Jahre etwas gemacht, das dann im Nachhinein zu Recht als Packelei erkannt wurde. Als Antwort darauf hat man quasi die neue Bauwirtschaft erfunden, die dann in den Claiming/Anticlaiming-Strudel geraten ist. Jetzt sind wir wieder auf dem Weg zurück und das ist ein ganz natürlicher, logischer Weg.
Diesen Weg gibt es in allen gesellschaftlichen Belangen – und Bauen ist ein gesellschaftlicher Belang.
Ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, in der man vor allem zu Beginn von Projekten relativ viel gemeinsam gemacht hat und zwar informell. Aber da gab es das ganze öffentliche Vergabewesen nur in einer sehr – ich würde sagen: gequälten Form, die auch zu sehr viel Missbrauch geführt hat. Das ist auch zu Recht verdammt worden. Jetzt sind wir halt im anderen Extrem und da müssen wir wieder zurück.
Ist jetzt nur die Frage, wie? Wenn wir uns große öffentliche Auftraggeber ansehen, sind diese ja bekannt eher zögerlich – die Situation haben wir ja auch beim Thema BIM.
Fabich: Gerade bei BIM sehen wir schon Schritte. Digitales Planzeichnen etwa kann jetzt auch der Kleinste und das ist einfach ein Entwicklungsprozess und eine rein technische Frage, die sich lösen wird. Was das andere Thema, ECI betrifft: wir haben bei unserem Praxis-Forum in den kleinen Gesprächsrunden nach dem Vortrag von David Mosey vom King‘s College London deutlich gesehen, dass die Auftraggeber große Fragezeichen vor sich hertragen, wie das funktionieren soll.
Eine große Frage ist: wie kann so eine Vergabe transparent abgewickelt werden? Die Antwort von David Mosey war: es braucht dann Vergabegremien, die diese nicht preislichen Kriterien transparent beurteilen. Es gibt also Auswahl- und Zuschlagskriterien, die von einer Kommission beurteilt werden.
Buchner: So wird es auch gelebt - in Wahrheit kommt vor diesem ganzen Early Contractor Involvement mit all seinen Stufen eine Art „Beauty Contest“, in dem mögliche Partner hauptsächlich quantitativ nach Soft Skills beurteilt werden, weil man ja noch nichts anderes greifbar hat. Das findet am besten zwar nach dem Entwurf, aber noch vor der Einreich- oder spätestens Ausführungsplanung statt.
Die strategischen Partner, die man sich auswählt, müssen nicht nur Generalunternehmer sein, ich kann mir auch Nachunternehmer gleich ins Boot holen.
Reismann: Da sind wir jetzt beim Kern. Wenn ich Bauherr bin, muss ich mir meine Partner aussuchen – und das geschieht meiner Meinung nach ganz provokant gesagt am besten subjektiv. Wenn ich heirate, mache ich das ja auch nicht nach irgendwelchen objektiven Kriterien. Hie und da haut man daneben und das ist im Bauwesen nicht anders.
Wenn wir nicht Bauherren haben, die sich trauen, das so zu machen und zu dieser Entscheidung dann auch zu stehen, wird es nie gehen. Und das geht natürlich auch im BVergG mit Hearing, Fallbeispiel, Wettbewerb, etc.
Fabich: Bei den Dienstleistern gibt es zum Beispiel im öffentlichen Bereich schon sehr viele Verfahren, bei denen andere als Preiskriterien zum Tragen kommen. Dienstleister müssen sich präsentieren und werden von Kommissionen beurteilt. Genau so könnte man ja auch Bauunternehmer befragen, wie sie mit diversen Risiken umgehen, wo sie Ideen haben und so weiter.
Buchner: Und genau so läuft das auch in der privaten Hand. Da gibt es auch ein Schema mit Punktevergaben.
Reismann: Wir sollten aber auch nicht vergessen, dass es unter den hoch gelobten Privaten auch große Konzerne gibt, bei denen das noch mühsamer läuft als bei öffentlichen Auftraggebern.
Fabich: Die großen privaten Auftraggeberkonzerne, wie zum Beispiel Auto- oder Pharmakonzerne müssen ja auch intern darstellen, warum die eine Firma zum Zug kommt und die andere nicht. Und speziell öffentlich notierte Aktiengesellschaften sind ja ihren Aktionären gegenüber in Verantwortung.
Die Sorge der öffentlichen Auftraggeber ist ja vor allem, dass ihre Vergabe bekämpfbar ist und sich damit ihre Projekte verzögern. Da hat David Mosey aus England berichtet, dass er über 80 Verfahren begleitet hat und keinen einzigen Einspruch hatte. Und englische Anwälte bekämpfen alles, was bekämpfbar ist – also muss das Verfahren schon relativ stabil und in der Kritik belastbar sein.
Was unterscheidet das Vergaberecht in England von unserem?
Fabich: Die haben genau so das europäische Vergaberecht. Die Engländer haben im Unterschied zu Österreich das EU-Vergaberecht 1:1 kopiert.
Reismann: Nach meiner Information sind die Mehrzahl der international bekannten strittigen Fälle im Vergaberecht österreichische Fälle. Das heißt, wir betreiben da massives Gold Plating und müssen uns selber wirklich vornehmen, das zu ändern. Diese Vergabe-Unkultur, bei der jeder alles bekämpft, gibt es in anderen Ländern viel weniger.
Wird in anderen Ländern nicht bekämpft, weil sie es einfach prinzipiell nicht tun oder weil es nichts zu bekämpfen gibt?
Reismann: Nach meinem Gefühl schützen die die eigene Wirtschaft mehr – und das geht auch alles im europäischen Vergaberecht.
Kommt nicht ein börsennotiertes Unternehmen, das eine knappe Vergabe nicht beeinsprucht, in die Gefahr, von den Aktionären vorgeworfen zu bekommen, eine Sorgfaltspflicht unterlassen zu haben?
Reismann: Jede Lösung ist besser als eine Klage oder ein Streit und das kann einem niemand vorwerfen. Das muss ein Vorstand auch gegenüber seinem Aufsichtsrat argumentieren – natürlich mit Gründen.
Wenn wir weiterhin diese Absicherungsgesellschaft spielen, die wir über 20 Jahre geworden sind, wird das komplett schief gehen – und es geht ja schon komplett schief! Der bestabgesicherte Schwächling ist oft der Erfolgsmensch von heute. Und mittlerweile sind ja viele Gegner dieser überzogenen Political Correctness am Ruder und die sind bei Gott inkorrekt! Da gehen wir dann in eine komplett inkorrekte Zeit und das wird alles von oben abgesegnet, wie wir täglich in den Nachrichten sehen.
Was ist der Grund, warum man in Österreich sagt, wir können dieses ECI mit unserem Vergaberecht nicht vereinbaren?
Fabich: Zu wenig Übung.
Buchner: Angst vor der Bekämpfung.
Fabich: Da könnte die öffentliche Hand agiler werden im Sinn von ausprobieren, was möglich ist.
Reismann: Wir als Plattform 4.0 haben da Gott sei Dank nach dem Praxis-Forum durchaus positive Rückmeldungen von ein paar öffentlichen Auftraggebern gehabt, die auf uns zukommen werden.
Buchner: Das kommt zu uns auch und zwar sehr stark über den Willen, BIM zu machen, weil es da eben gut ist, seine Vertragspartner frühzeitig einzubeziehen.
Fabich: Ich glaube, dass man die Aufgabenstellung für den öffentlichen Auftraggeber zerlegen muss. Die stehen ja jetzt vor einem großen Berg aus Early Contractor Involvement, Two Stage Procurement, Alliancing usw., der vermutlich unüberschaubar ist. Für einen Standardbauvertrag wird ein normales offenes Verfahren weiter super geeignet sein. Bei einem komplexen Infrastrukturprojekt brauche ich aber einen anderen Weg zu einer guten Lösung.
Buchner: … da wird es aber von der Vertragsform schnell kunterbunt und die Auftraggeber steigen verständlicherweise wieder aus …
Also wie tun?
Reismann: Wie führt man neue Dinge ein? Ich glaube, man muss vor dem Hintergrund dieser vielen Sorgen einen State of the Art zusammen tragen und niederschreiben. Es braucht vielleicht das Aufzeigen von zum Beispiel vier Wegen, wie etwas gehen kann: jeweils ein großes und ein kleines Hochbau- bzw. Tiefbauprojekt.
Diese Wege müssen Auftraggeber und Auftragnehmer gemeinsam erarbeiten und gut heißen, Pilotprojekte fahren und plötzlich in zwei Jahren wird es gehen. Das war und ist ja bei der Digitalisierung auch nicht anders.
Die Chance der Digitalisierung führt auch zur Chance dieser neuen Projektabwicklungsmodelle - das ist vielleicht der bessere Name als Early Contractor Involvement. Und zusammen mit einer kooperativen Projektabwicklung ist das das Dreibein, mit dem wir arbeiten müssen.
Wir haben hier jetzt die Vertreter der zwei größten Baufirmen Österreichs sitzen. Was geschieht mit dem Rest und vor allem den KMU?
Reismann: Das muss natürlich auch für die gehen, sonst können wir das ja wirklich nicht machen! Und die großen Firmen müssen sehenden Auges erkennen, dass die Auftraggeber sich auf keinen Fall nur der Strabag und der Porr ausliefern wollen. Man muss den Auftraggebern die Chance geben, dass sie mit den Großen eine neue Form der Partnerschaft entwickeln, aus der sie auch wieder heraus kommen und die auch mit KMU funktioniert.
Ein Beispiel für das Partnering-Modell der Strabag namens teamconcept ist das neue Bürogebäude für Axel Springer in Berlin. Mit seiner freitragenden, dreidimensional gefalteten Atriumsfassade nach dem Entwurf von Rem Koolhaas ist es trotz seiner herausfordernden Konstruktion zwei Jahre nach dem Baustart voll im Termin- und Budgetplan. Die Strabag-Tochter Ed. Züblin AG etabliert dabei gezielt den Schulterschluss aller Projektbeteiligten, eine verbindliche Partnerschaft mit fairen Regeln, die Vertrauen schafft und die Basis bildet für die kontinuierliche Optimierung von Terminen, Kosten und Qualität. Der kooperative Ansatz stützt sich dabei auch auf BIM.5D. Dieses vernetzt alle Baubeteiligten in einem umfassenden, dynamischen Modell und schafft die nötige Transparenz als Grundlage für die gemeinschaftliche Projektplanung und -realisierung.
Das Humber Crossing – Feeder 9 Replacement Projekt ist das erste Projekt der Porr im Vereinigten Königreich und wird ebenfalls nach einem Early-Contractor-Involvement-Modell abgearbeitet. Die erhöhten Anforderungen an die Projektausführung, bedingt durch Arbeiten in direkter Nachbarschaft zu gasführenden Einrichtungen, Arbeiten in hochwassergefährdetem Küstengebiet, ausgewiesenen Naturschutzgebieten und die hohen britischen Arbeitssicherheitsstandards stellen das Team vor besondere und spannende Herausforderungen. Nach erfolgreichem Abschluss aller Arbeiten wird die Porr in Zusammenarbeit mit dem gesamten Joint Venture und National Grid einen neuen Weltrekord erreicht haben. Die neu verlegte Pipeline wird die längste, in einem Stück in einen Tunnel eingeschobene Gas-Pipeline der Welt sein.