SOLID 03/2020 : Porr: "Leider ist auch ein Patzer passiert"
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SOLID: Ende November des Vorjahrs kam die Meldung, die Porr rechne für das Geschäftsjahr 2019/20 mit einem massiven Gewinneinbruch, die Gründe dafür lägen hauptsächlich in Polen. Unseres Wissens haben die Probleme dort schon länger bestanden, waren aber nicht mehr einzufangen gewesen. Wie ist der Stand Ihrer Auslandsaktivitäten jetzt generell und speziell in Polen?
Karl-Heinz Strauss: Generell können wir sagen, dass es uns gut geht und dass wir in unserem Auftragsbestand eine Auslastung bis auf fast zwei Jahre hinaus haben. Was da Ende 2019 passiert ist, muss man ein bisschen differenziert sehen. Die Porr ist seit 2011/12 ununterbrochen gewachsen und zwar sehr stark – z.B. 2017 & 2018 um 40 Prozent, das dehnt ein Unternehmen schon aus – und hat auch immer wieder Gewinnrekorde gefeiert. 2019 haben wir das Wachstum zurück genommen, weil wir gesagt haben: Bei einer Produktionsleistung von 5,6 Mrd. und einem Auftragsbestand von 7,4 Milliarden zum Ende des dritten Quartals und rund 20.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern müssen wir einmal ein Konsolidierungsjahr einlegen.
Es gab aber schon über die Konsolidierung hinaus auch unerwartete Schwierigkeiten, oder?
Strauss: Leider ist uns dann auch in Norwegen ein Patzer passiert. Nicht das Land ist schlecht, sondern wir haben selbst Fehler gemacht. Wir haben fünf große Brückenprojekte sehr sauber gemacht, haben aber dann bei der E 18 auf einer Strecke von ca. 16 Kilometern zehn Brücken zu bauen gehabt – nichts Schwieriges, watscheneinfache Brücken, das kann in Österreich jeder größere Tiefbauer oder Betonbauer. Was dort schief gegangen ist, ist heute leicht nachzuvollziehen: Man hat sich mit dem Partner, der den Straßen- und Erdbau gemacht hat, von unserer Seite aus über die logistischen Themen zu wenig ausgetauscht und das aus den Augen verloren und auch zu wenig auf die nackten Zahlen geschaut. Und dann hat man von den Logistikproblemen geplagt auf die Qualität vergessen. Die gleichen Leute haben vorher fünf wirklich schwierige Brücken einwandfrei gemacht.
Was man dann aber gemacht hat und was eigentlich unentschuldbar ist: Als man die Probleme erkannt hat, hat man nicht die Hand gehoben, sondern es zu vertuschen versucht. Das geht aber in unserem System gar nicht, denn unser Risikomanagement zeigt die Schwierigkeiten ja an. Wir in der Zentrale können uns vorwerfen, dass wir zu langsam mit Nachdruck darauf reagiert haben. Auf jeden Fall gibt es die Leute dort eben aufgrund dieser Tarnungs- und Täuschungsversuche nicht mehr. Als wir es erkannt haben, haben wir trotzdem alles daran gesetzt, den letzten Termin auch in unserer Qualität zu halten und haben natürlich dafür unnötig viel Personal und andere Ressourcen hinein schmeißen müssen. Das hat dann zu dem deutlich negativen Ergebnis geführt.
Es hieß dann aber auch, dass der gesamte Markt Norwegen auf dem Prüfstand steht. Dafür kann ja nicht ein einziges selbst verschuldetes Projekt der Grund sein?
Strauss: Wir haben derzeit vier laufende Bauvorhaben oben und das Team komplett ausgetauscht. Wir stellen den Tunnel Liafjellet fertig, zweitens die Kläranlage Bekkelaget und die zwei Brückenbaustellen Minnevika und Eggemoen. Wir sind da sogar bei einem Projekt wieder mit der Firma Betonmast Hære zusammen, die unser Joint Venture-Partner bei der E 18 war – auf einer neuen und gesunden Basis. Diese Bauvorhaben gehen bis ins Jahr 2022/23. Wir haben also jetzt die richtigen Leute oben, aber es gibt eine zweite Frage: Kann man am norwegischen Markt Geld verdienen? Da sind wir uns noch nicht ganz sicher, weil auch alle anderen norwegischen Firmen, eine Veidekke, NCC oder Skanska im Infrastrukturbereich klagen, dass die Marktverhältnisse oder die Verhältnisse zu den Auftraggebern es sehr schwer machen, Geld zu verdienen, und dass es hier zu einer Änderung kommen muss. Die Liste der Projekte wäre groß, die Bonität passt, aber wir müssen klären, ob die Bedingungen passen, um profitabel zu sein. Da reden wir auch mit unseren Mitbewerbern und irgendwann im ersten Halbjahr wird die Entscheidung fallen, ob wir nach der Finalisierung der genannten Bauvorhaben im Markt bleiben oder nicht.
Was ist das Hauptthema, wenn sie von den Marktverhältnissen und den Verhältnissen zu den Auftraggebern sprechen?
Strauss: Das erinnert mich ein bisschen an unser polnisches Problem, wo von der Bauherrenseite versucht wurde, alle möglichen Risiken bis hin zur Grundstückseinlösung – was ja völlig absurd ist - auf die Seite des Auftragnehmers zu schieben.
Gleichzeitig hat es in Polen keine Möglichkeit gegeben, variable Preise bei langfristigen Infrastrukturvorhaben an einen Index zu binden, wie es in einem wirklich entwickelten Baumarkt heute State of the Art ist. Das gibt es jetzt mittlerweile, aber die alten Aufträge, die wir durch den Erwerb der Bilfinger Infrastructure damals im Hause hatten, waren zwar ordentlich kalkuliert, aber zum damaligen Zeitpunkt hatte man weder alle Subunternehmer noch alle Preise fixiert und ist aufgrund exorbitanter Preissteigerungen in eine Kostenschere gelaufen. Beton ist zwischen 35 und 40 Prozent, Stahl um rund 38 Prozent gestiegen – das war nicht vorhersehbar, aber Vorsicht als Kaufmann hätte vielleicht damals schon geholfen.
Diese Aufträge sind aber jetzt fast alle abgearbeitet und in der Bilanz 2019 so weit erledigt. Die neuen Verträge sind alle mit Preisgleitklauseln ausgestattet.
Hatten Sie davor überhaupt keine Gleitklauseln?
Strauss: Das war gesetzlich damals nicht möglich. Mittlerweile hat sich das geändert. Und auch unser Kalkulationsschema hat sich geändert. Wir bieten kein Infrastrukturprojekt mehr an, wenn nicht 70 Prozent der Subunternehmer gesichert sind.
Darüber hinaus haben wir in Polen auch unseren Fokus verändert.
Worauf liegt der Fokus jetzt?
Strauss: Wir sind von reinen Strassen-Infrastrukturbauten sehr stark in den Bahnbau ausgewichen und gehören dort mittlerweile zu den Großen und können das ordentlich abwickeln. Und auch der Hochbau ist neu organisiert. Ein weiterer Vorteil ist, dass wir sehr sehr viel mit eigenen Leuten arbeiten. 2018 waren wir die Nummer Vier in Polen und viele andere Mitbewerber etwa aus Spanien oder aus Portugal verlassen derzeit das Land, weil sie mangels eigener Leute keine Aufträge bekommen und ausscheiden. Der Markt ist durch die Personalsituation und Spielchen der Industrie wahnsinnig angespannt, aber wir sind aufgrund unserer hohen Eigenleistung optimistisch.
Was wir auch tun – denn Polen ist ja im Gegensatz zum Projektmarkt Norwegen für uns ein Heimmarkt: Wir diversifizieren sehr stark in die Breite und gehen von den EU-finanzierten Großprojekten auf die Ebene dessen, was bei uns Bundesländer und in Polen Wojwodinas heißt und bis in Kommunalprojekte hinein. So machen wir das ja in allen Heimmärkten. Wir bereiten uns generell darauf vor, dass in vier bis sechs Jahren die großen EU-Projekte großteils vorbei sind und diversifizieren auch in den Wasser-, Pipeline- und Ingenieurbau.
Polen hat eine sehr hohe eigene Wirtschaftskraft, da sehen wir auch kein Nachlassen.
Aber man darf nie vergessen, dass Bauen ein People-Business ist und dass man sich ordentlich vorbereiten muss – und dass die größten Gefahren dort lauern, wo man sich zu sicher ist.
Wo sehen Sie solche Punkte?
Strauss: Vieles liegt im Vertragswesen. So werden zum Beispiel die Allgemeinen Vorbedingungen teilweise missbraucht. Aber mittlerweile wissen wir auch durch die Gerichte, dass von Auftraggeberseite auch nicht alles geht und mit einfachen Klauseln durch Rechtsanwälte in die Sphäre des Auftragnehmers zu schieben ist. Wenn wir nach Deutschland schauen, sagt dort das neue Bauträgervertragsgesetz: Jede Ausschreibung ist so zu gestalten, dass jeder zu jeder Zeit alles wissen kann und alles, was sich leicht ändern kann, ist Sache des Auftraggebers. Diese Goldene Regel gilt auch bei internationalen Verträgen.
Ein weiteres Land, das ein bisschen in Diskussion steht, ist Katar. Vor einigen Jahren haben Sie davon und von der hohen Zahlungsmoral noch geschwärmt, mittlerweile sind die Umsatzziele herab gesetzt worden – warum?
Strauss: Wir sind nach wie vor von Katar begeistert. Wir bleiben auch dort. Wir haben aber dort einen Zeitraum bis 2022 vorgesehen, bis zu dessen Ende wir entscheiden, ob wir bei allen politischen Unwägbarkeiten in der Region nach menschlichem Ermessen dort Zukunft sehen. 2019 haben wir dort aber wesentliche Themen fertig gemacht – die Metro Green Line in Doha mit dem Slab Track-System, das sich jetzt ganz Asien und Kanada anschauen. Wir haben auch das Fußballstadion übergeben und sind dabei, mit unseren Kunden die letzten Forderungen und Nachträge zu verhandeln. Wir haben uns dort einer schnellen Lösung wiedersetzt und sind zuversichtlich, dass wir das in den ersten drei Quartalen 2020 abschließen können.
Nachdem wir aber auf 2022 schauen, gehen wir jetzt sehr selektiv in den Markt hinein und machen keine Großprojekte mehr.
Daher hat sich auch das Volumen deutlich um die Hälfte verkleinert. Wir machen in der Region nur mehr Katar und Dubai.
Katar ist im Zuge der Fußball-WM 2022 einigermaßen ins Gerede gekommen, sowohl wegen der Vergabe als auch wegen der angeblich sehr schlechten Arbeitsbedingungen. Was ist da Ihre Sicht darauf?
Strauss: Ich verwehre mich gegen diese Pauschalbeschuldigungen, dass die Leute dort gerade auf öffentlichen Baustellen missbraucht werden etc. Gerade bei den Infrastrukturprojekten gibt es sehr hohe Qualitätsvorschriften für Arbeitssicherheits-, Hygiene- und Verhaltensthemen. Auch wenn ein Teil der Familie des Emirs als Sponsor (fixer und obligater lokaler Partner, Anm. d. Red.) mit einer Firma kooperiert hat, die für die WM etwas angeboten hat, ist diese Firma ausgeschieden worden. Die Standards sind dort sehr hoch und ich verwehre mich gegen Verunglimpfung eines Landes aus sportpolitischen Gründen.
Aus Großbritannien haben Sie sich komplett zurück gezogen – wegen des Brexits?
Strauss: Wir waren von Skanska eingeladen, am großen Projekt Humber Crossing mitzuarbeiten. Dort machen wir für National Grid Gas einen Tunnel unter dem Fluss Humber. Wir haben den Tunnel gemacht und die Pipeline wird Anfang April eingeschwommen. Wenn es klappt, könnte das Weltrekord (die längste in einem Stück verlegte Gas-Pipeline in einem Tunnel) sein, das geht aber auf Risiko des Bauherrn, weil dieser während der Planungs- und Ausführungsphase sein Konzept geändert hat.
Im Anschluss an dieses Projekt wären große Projekte unter der Themse oder am West -Flügel Richtung Heathrow angestanden und unser Tunnelbau dort sehr willkommen gewesen. Wir haben aber gesagt: Das sind alles so Milliardenflieger und unsere Auslastung in den Heimmärkten ist etwa mit den polnischen Tunneln S3 und Swinemünde oder einer Tunnelsanierung beim Mont Blanc in der Schweiz so stark, dass es nicht darstellbar ist, in einem fremden Markt zu bleiben, in dem wir Anfänger sind und das an und für sich ein schwieriges Land ist - völlig unabhängig vom Brexit, der da auch noch drauf kommt. Da geht es rein um die Konzentration der Kräfte auf unsere wesentlichen Märkte. Dort erhöhen wir auch unsere Wertschöpfung noch viel weiter.