SOLID 03/2019 : Polen im Umbau
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Ist man in Polen unterwegs, findet man auf sehr sehr vielen neuen oder offensichtlich erst vor kurzem renovierten Gebäuden eine Tafel, auf der eine Kofinanzierung durch die Europäische Union ausgewiesen ist. In Summe, so erfahren wir auf Nachfrage, sind von Seiten der EU in den zwei Förderperioden 2007-2013 und der laufenden von 2014-2020 160 Milliarden Euro (auf zwei Mal je 80 aufgeteilt) geflossen.
Polen und die EU - da war doch aber was? Genau, die nationalkonservative PIS-Regierung Polens liegt mit der EU wegen verschiedener politischer, vor allem aber rechtspolitischer Dinge im Clinch.
Doch das macht den in Polen engagierten Österreichern weniger Sorgen als andere Themen. Man ist schon – egal ob es um die Branchenriesen Strabag (wo Polen hinter Deutschland und Österreich mit ca. 900 Millionen Umsatz auf Platz Drei liegt) und Porr (macht sogar über zehn Prozent ihres Gesamtumsatzes von knapp 4,5 Milliarden in Polen) oder Spezialisten wie Zeman Industries oder Alu König Stahl geht (bis vor wenigen Monaten zählte auch die im Herbst 2018 spektakulär in Konkurs gegangene Waagner Biro dazu) – so lange im Land tätig, dass zumindest bislang keine echte Nervosität sichtbar ist.
„Dieser Konflikt ist - möglicherweise: noch - nicht in der Wirtschaft angekommen“, sagt uns Neo-Strabag-Vorstandsmitglied Alfred Watzl, der das Geschäft in Polen maßgeblich mit geprägt hat und weiter für das Land verantwortlich ist. „Die Wirtschaft geht weiter ihren Weg, denn die Rahmenbedingungen haben sich ja aktuell nicht verschlechtert. Es ist teilweise mehr Administration, aber das hat nichts mit Parteiideologie zu tun. Es tut uns leid, dass Polen politisch in Europa und in der Welt jetzt so wahrgenommen wird, das spiegelt aber nicht unser tägliches Leben wieder.“ Tatsache ist, dass es in Polen starke Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt. Während in den Städten eher Kandidaten der Opposition (zB der bürgerlichen PO, aus der auch der derzeitige ständige Ratspräsident der EU Donald Tusk stammt) Wahlerfolge feiern, hat sich die PIS auf dem Land formiert und holt sich auch dort ihre Stimmen.
Strabag-Watzl: „Baubranche wird sich neu aufstellen müssen“
Watzl sieht der Zukunft prinzipiell optimistisch entgegen: „Dass Polen von der EU noch einmal 80 Milliarden bekommt, ist eher unwahrscheinlich und das wissen auch die Polen. Aber wenn die polnische Wirtschaft so weiter wächst, steht sie wirklich nicht schlecht da. Polen ist immer noch eines der niedrigst verschuldeten Länder in Europa mit einer in der Verfassung verankerten Schuldengrenze. Es wird mehr mit Eigenmitteln finanziert werden müssen. Aber es ist der Branche klar, dass sie sich dann neu aufstellen wird müssen. Wir gehen davon aus, dass sich diejenigen europäischen Baufirmen, die in Polen jetzt nur Projektgeschäft betreiben, wieder zurückziehen werden. Wir als Strabag sehen uns gut aufgestellt und sehen dieser Entwicklung gelassen entgegen. Wir haben auch keinen Druck beim Umsatz. Wir setzen Ergebnis vor Umsatz. Und wir haben uns auch besser vorbereitet auf die Zeit ab jetzt als so manche Mitbewerber.“
Richtig abgehoben hat das Geschäft der Strabag, aber auch anderer österreichischer Firmen in Polen mit dem EU-Eintritt 2004. Gleichzeitig sei Polen ein Land, das sowohl im Markt selber als auch bei den Margen sehr volatil sei. Und natürlich sind Facharbeitermangel und steigende Baukosten ein Riesenthema.
Die benötigten Rohstoffe seien zwar prinzipiell da, aber bei der Logistik sieht es schon anders aus. „Es wird so viel gebaut, dass es oft vorkommt, dass gleichzeitig parallel laufende Bahn- und Straßenlinien saniert werden. Wie transportiert man dann das Material? Bei Bahntransporten sind wir derzeit auf einer errechneten Durchschnittsgeschwindigkeit von sieben Kilometern pro Stunde.“
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Ressourcenmangel treibt Baukosten
Der wahre Ressourcenmangel zeigt sich aber beim Personal. „Polen ist aktuell wahrscheinlich die größte Baustelle Europas – eben bedingt durch diese EU-Perspektive,“ sagt Watzl. Die derzeitigen Schwerpunkte in Polen sind das Schließen des Netzes der Hauptverkehrsadern und die Modernisierung des Bahnbaus, um auf vernünftige Geschwindigkeiten zu kommen. Sowohl von der Strabag als auch von der Porr kommen da in regelmäßigen Abständen Meldungen über neu akquirierte (Teil-)Aufträge für große Infrastrukturprojekte in Polen.
Watzl: „Die Riesenanzahl von Großprojekten im Straßen- und im Bahnbau ist einerseits schön, weil die Konjunktur boomt – aber andererseits bringt es sehr große Herausforderungen, was Ressourcen betrifft. Die Ingenieursausbildung in Polen ist zwar sehr hochwertig - ich sehe da kaum einen Unterschied zu Deutschland oder Österreich und die Universitätsausbildung ebenfalls gut – aber es sind zu wenige Kapazitäten vorhanden. Wo Polen nämlich ein Riesenproblem hat, ist die Ausbildung von Facharbeitern, da in den 1990ern die Berufsschulen abgeschafft wurden. Es gibt heute keine systematisierte Berufsausbildung. Die Ausbildung der Maurer, Betonbauer, Eisenflechter etc. ist reine Aufgabe der privaten Firmen. Das fällt uns in der aktuellen Konjunkturphase auf den Kopf.“
In Zahlen: In der polnischen Baubranche sind jetzt 100.000 Facharbeiter weniger beschäftigt als 2011, obwohl das Investitionsvolumen noch höher ist und schon damals klagt man über 100.000 fehlende Facharbeiter. In Summe also ein Manko von 200.000 Fachkräften. Durch den dadurch – und andere Nebengeräusche - bedingten Ressourcenmangel steigen die Baukosten. Von 2016 bis jetzt sind etwa die Preise im Bahnbau um 37 Prozent gestiegen. „Wir haben für mehrjährige Projekte zwar Preisgleitungsklauseln vereinbart, aber selbst die reichen oft nicht aus. Den Druck auf die Marge spüren alle. Das ist aber mittlerweile auch bei der Politik angekommen und sie bemüht sich, die Klauseln bei den öffentlichen Projekten aktueller zu gestalten.“
Der Vorteil wäre die sehr gute Gesprächsbasis der Branchenvertretungen mit den Ministerien. Man versucht generell in Polen, den Arbeitskräftekräftemangel mit Arbeitern aus der Ukraine zu decken. Diese dürfen aber aufgrund der Visabestimmungen nur maximal ein Jahr bleiben, was sich oft gerade mit der Anlernzeit ausgeht. Derzeit gibt es Versuche der Regierung, diesen Visa-Zeitraum zu verlängern, um das von der EU gestützte Programm überhaupt abarbeiten zu können. „Die Politik weiß: bis 2023 müssen die EU-Budget-Mittel investiert worden sein.“ Was danach kommt, weiß sowieso niemand – das EU-Budget für die Zeit nach 2020 hängt sehr stark vom Ausgang der Brexit-Debatte ab.
Während die Strabag seit 1987 in Polen tätig ist, nennt die Porr 1993 als Gründungsjahr ihrer Aktivitäten und vereint als Porr S.A. seit 2017 die Porr Polska Construction S.A. (PPC) mit Fokus auf Hoch- und Bahnbau und die Porr Polska Infrastructure S.A. (PPI) mit den Hauptkompetenzen Infrastruktur, Energie, Hydrotechnik und Engineering. „Wir haben Niederlassungen in Warschau, Danzig, Posen, Krakau und Breslau, die unsere Bauvorhaben in ganz Polen steuern,“ sagt der CEO der Porr S.A., Piotr Kledzik. „Wir können uns über unsere Umsätze und Gewinne nicht beklagen. Ich muss aber betonen, dass die allgemeine Situation im Bausektor nicht einfach ist. Der Fachkräftemangel in der Baubranche ist deutlich spürbar: einerseits angesichts der wirtschaftlichen Emigration in den Westen, andererseits durch den Abgang von Fachkräften in den Ruhestand. Das Image der Baubranche hat sich ebenfalls geändert. Die Arbeit ist anstrengend, häufig sind die Baustellen weit entfernt von daheim und auch bei ungünstigem Wetter muss das Projekt vorangebracht werden. Auch die Margen sind im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen relativ niedrig - bedingt durch starken Wettbewerb und niedrige Markteintrittsbarrieren.“
Ende 2018 berichtete die Porr in Wien explizit über negative Einflüsse der Altaufträge in Polen auf das Konzernergebnis – bedingt eben durch die hohen Differenzen zwischen den angebotenen Preisen und den dann tatsächlich entstandenen höheren Kosten.
Dennoch blickt auch Piotr Kledzik grundsätzlich optimistisch in die Zukunft und sagt: „Wenn man keine Risiken eingehen möchte, würde ich empfehlen, die Branche zu wechseln. Ein Risiko für uns ist eben der Mangel an Personal, insbesondere an qualifizierten Personen für die Arbeit auf der Baustelle. Die Jugend präferiert Arbeiten im Büro, doch wir versuchen dem entgegenzuwirken. Arbeiterinnen und Arbeiter sind die wichtigste Grundlage unseres Unternehmens, sie sind wichtige Leistungsträger und wir behandeln sie dementsprechend. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Büro sorgen wiederum dafür, dass jede Baustelle über alles verfügt, was für eine gute Arbeit nötig ist. Wir kooperieren nicht nur mit Universitäten, sondern auch mit Schulen, um die Vorteile und Möglichkeiten der Arbeit auf einer Baustelle aufzuzeigen. Wir wollen kompetente Personen finden, die das Potenzial haben, Leidenschaft fürs Bauen zu entwickeln. Ihnen können wir versichern, dass sie mit uns wachsen und Karriere machen werden.“
Doch es gibt auch ein Leben österreichischer Firmen in Polen abseits der Branchenriesen. Im Herbst 2018 konnten wir uns auf einer Studienreise mit dem österreichischen Stahlbauverband persönlich einige Objekte mit österreichischer Beteiligung ansehen – von komplett errichteten Neubauten wie dem Agora Head Office und dem mit einer spektakulären welligen Stahl-Glas-Konstruktion überdachten Einkaufs- und Entertainment-Zentrum Zlote Tarasy in Warschau bis zu Projekten, wo mit Stahl Bestehendes erneuert, verstärkt, neu strukturiert und einer neuen Nutzung zugänglich gemacht wurde und wird wie dem Koneser Filtration House (ebenfalls in Warschau) oder dem Hotel Vienna House Andel’s in Lodz.
Fast bei allen diesen Projekten hat die Firma Zeman International mit ihrer Polen-Tochter Zeman HDF ihre Finger im Spiel, teils mit lokalen, teils mit österreichischen Partnern wie der Porr Polska beim Medienhaus Agora oder Waagner Biro und Alu König Stahl bei Zlote Tarasy.
Die Geschichte von Zeman in Polen reicht noch viel weiter zurück als jene von Strabag und Porr. Der jetzige Chef Peter Zeman stieg 1990 in die Firma seines Vaters ein und betrachtet Polen seither als „ein Kind, das ich sehr schätzen und lieben gelernt habe.“ Aber „das Polen-Engagement der Firma Zeman hat lange vor meiner Zeit begonnen. Es gab da einen Mitarbeiter, der sehr rührig unterwegs war und Kontakte in die alten Monarchieländer hatte – das war etwa Mitte der 1970er-Jahre. Es kam dann zu einer recht großen Investition, bei der es darum ging, dass die Huta Katowice (also das Stahlwerk Katowice) neu verkleidet werden sollte. Wir waren Hersteller von Trapezblechen, haben diesen Auftrag gemacht und da hin geliefert. Nach etlicher Zeit kam die gleiche – für unsere Verhältnisse sehr große – Bestellung dann nochmals. Das hat zu einiger Verwunderung geführt. Ein Mitarbeiter ist dann hinauf gefahren und hat die ganze Umgebung mit blau eingedeckten Privathäusern vorgefunden.“
In der Folge gab es dann in den 1980er Jahren weitere Investitionen im Kühlhausbereich und 1990 ein 50:50-Joint Venture mit einem lokalen Partner, später dann die Gründung der Tochter Zeman HDF (steht für „Halli, Dachi, Fassadi – damit es deutsch und polnisch gleich klingt“). Zeman: „So etwas dauert immer eine Zeit, bis es richtig in Schwung kommt. Wir haben von 1992 bis 1995 gebraucht, um den Motor in Ganz zu bringen. Dann ist es aber richtig durchgestartet. Wenn ich gestern bei einem Projekt gesagt habe: tut mir leid, das Projekt kenne ich gerade aus der Liste, entspricht das auch wirklich der Wahrheit.“
Wahlweises Auftreten als Österreicher und als Polen
Während Strabag, Porr und andere am Anfang zumindest die Schlüsselpositionen mit Leuten aus den Konzernmutterländern besetzt und erst im Lauf der Zeit auch immer mehr polnische Staatsbürger in Führungspositionen in ihren Niederlassungen gebracht hätten, hätte Zeman International (Jahresumsatz 140 Millionen Euro) einen anderen Weg beschritten. „Wir haben nie mit Expatriates gearbeitet. Ich hatte nie einen Österreicher in Polen – auch nicht in der Türkei, Ukraine, Russland, Tschechien, wo auch immer. Wir haben immer versucht, vor Ort möglichst gute Leute zu finden. Das ist zwar da und dort einmal schief gegangen, aber wir hatten nie Reibungspunkte. Aber ich war natürlich persönlich sehr viel unterwegs. Aber Kompetenz und Verantwortung sollen vor Ort sein und wir holen uns durchaus auch später Knowhow von dort zurück, das muss man wirklich betonen. Das ist keine langfristige Einbahn, sondern am Ende ein vernünftiges Geben und Nehmen. - Wir haben auch ganz ehrlich immer ein bisschen das Spiel betrieben, bei welchem Kunden wir als Österreicher bzw. Westler größere Chancen sehen und bei welchem als lokales Unternehmen.“