Coronakrise : Parlamentsumbau – Ende unbestimmt!
Das Parlament, eines der bedeutendsten Ringstraßengebäude (errichtet in den Jahren 1874−1883 nach den Plänen des Architekten Theophil von Hansen), zeigte nach mehr als 125 Jahren des Betriebes erheblichen Sanierungsbedarf in technischer und funktioneller Hinsicht. Der Zustand des Parlamentsgebäudes, das nach seiner Errichtung schon im Jahr 1910 umgebaut und nach den Kriegsschäden des Zweiten Weltkriegs wiederaufgebaut wurde, entspricht nach Jahren des Betriebs weder den bautechnischen noch den sicherheitstechnischen Standards. In wichtigen Aspekten (z. B. Brandschutz, Evakuierung, Barrierefreiheit) war keine Gesetzeskonformität mehr gegeben. Um zu verhindern, dass der Gebäudebetreiber im Schadensfall straffällig und/oder schadensersatzpflichtig wird, mussten daher die notwendigen Sanierungsmaßnahmen eingeleitet werden.
Die geplanten Eingriffe, die man neben der umfassenden Instandsetzung des Gebäudes vornimmt, stellen keine architektonischen Überformungen des Bestandes dar, sondern sind eigenständige Eingriffe, welche die bestehende Struktur von Theophil Hansen weiterschreiben. Weiters besteht der Anspruch, Arbeitsplätze zu erweitern und mehr Flächen für die Öffentlichkeit anzubieten. Auch der Publikumseingang soll erweitert werden. Darüber hinaus werden in der Dachtopografie neue Räume angeordnet, wie etwa ein Rundgang, der einen Einblick in den Nationalratssitzungssaal bietet, ohne auch diesen in seinem Betrieb zu stören. Auch eine Gastronomie soll auf der Dachebene platziert werden. Das Raumprogramm soll um Büroflächen und natürlich auch um Räumlichkeiten für Untersuchungsausschüsse erweitert werden. Drittens soll gleichzeitig eine Modernisierung stattfinden, die den Ansprüchen für das Jahr 2020 und die Zukunft, gerecht wird. All diese Eingriffe sind so konzipiert, dass sie auch eine bessere Orientierung für die MitarbeiterInnen und die Personen im Haus ermöglichen. Mit einem Wort: Der Auftrag lautet, das Gebäude in seiner wertvollen Substanz zu erhalten und zugleich für einen zeitgemäßen parlamentarischen Betrieb zukunftsfit zu machen.
Im zweistufigen, europaweit ausgeschriebenen Verhandlungsverfahren wurde die in Wien ansässige Bietergemeinschaft Jabornegg & Pálffy_AXIS Ingenieurleistungen ZT GmbH im Herbst 2014 mit den Generalplanerleistungen beauftragt. Seitdem liefen die Planungsarbeiten auf Hochtouren, im Sommer 2017 wurde mit den Bauarbeiten begonnen. Das Budget für das Projekt ist mit 352,2 Millionen Euro gesetzlich (Parlamentsanierungsgesetz) gedeckelt.
Oft kommt es anders als man denkt – nicht nur wegen Corona
Auf eine dementsprechende Anfrage an Vasko+Partner, die im ebenfalls mehrstufigen EU-weit ausgeschriebenen Auswahlverfahren den Zuschlag für die Projektsteuerung erhalten haben, erfuhren wir von Christian Marintschnig, Geschäftsführer V+P, Projektleiter der Projektsteuerung: „Der Kostenrahmen von 352 Millionen Euro ist gesetzlich vorgeschrieben und wird auch eingehalten. Abwurfpakete gibt es wie bei jedem Großbauvorhaben - für den Fall, dass es unvorhersehbare Ereignisse gibt und Sparmaßnahmen notwendig sind bzw. geplante Sanierungsarbeiten auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.“
Oft kommt es eben anders, als man denkt oder plant und so gab es bereits lang vor der Coronakrise die üblichen Kassandra- und Unkenrufe aus der architektonischen Szene (der Neider). Pensionierte Architekturpersönlichkeiten prognostizierten bereits den Konkurs der Beteiligten, malten Kostenüberschreitungen an die noch nicht existierenden Wände und ergingen sich in den üblichen medialen Negativmeldungen.
Klar ist, dass bei solchen Aufgaben im Verlauf immer Probleme auftauchen können, die man vorher nicht wissen konnte. Hätte man beim Wiederaufbau in den 50er Jahren bereits CAFM (Computer-Aided Facility Management) oder BIM nutzen können, hätte man bei den Vorarbeiten zur Restaurierung bereits gewusst, dass – zum Beispiel – asbesthaltige Kleber für die Fliesen in weiten Teilen des Gebäudes verwendet wurden. So bemerkte man diese Störbelastungen erst spät (beim Abbruch) auf und musste sie fachgerecht (mit Mehrkosten) entsorgen.
Die baulichen Eingriffe an dem Gebäude müssen mit besonderer Sorgfalt durchgeführt werden, weil die historischen Strukturen nicht beschädigt werden dürfen. Der ehemalige Bundesratssaal, der eine Zeit lang nur von riesigen Stahlträgern gehalten wurde, war mit Sensoren ausgestattet. Über eine App hatten die Bauleiter immer die Kontrolle und wurden sofort über etwaige Bewegungen informiert. Jede kleine Regung konnte gefährlich sein, denn die wertvollen Wände und Verzierungen hätten sonst Risse bekommen können.
Spezielles Monitoringsystem bei Stütz- und Abrissarbeiten
Neben der Herstellung des neuen Dachausbaus wurden am gesamten Gebäude zwei Drittel der gemauerten Pfeiler unterhalb der historischen Säulenhalle abgebrochen. Die Last der Säulenhalle wurde ähnlich wie beim erfolgreich gesicherten Bundesratsaal durch eine Stahlkonstruktion abgesichert. Um Beschädigungen zu vermeiden, kam ein spezielles Monitoringsystem zum Einsatz, das die heiklen Stütz- und Abrissarbeiten mittels Sensoren am Boden überwachte. Bei der kleinsten Bewegung wurde bei zwölf Technikern über eine Whatsapp-Nachricht Alarm ausgelöst. „Das Besucherzentrum wird unter der Säulenhalle errichtet, dazu gab es ebenfalls eine laufende elektronische Überwachung – und keine Probleme. Auch diese Decke wurde mit tonnenschweren Stahlträgern verstärkt“, so Marintschnig.
Die vier neuen Haupttreppen sind an funktional und strategisch wichtigen Punkten des Gebäudes angeordnet. Sie bieten eine durchgängige Erschließung vom Erdgeschoss bis in das Dachgeschoss und verbinden in all diesen Ebenen die beiden Plenarsäle über den dazwischen angeordneten Mitteltrakt. Die Haupttreppen sind als eigener Baukörper mit einer Distanz zum Bestand angeordnet. Sie übernehmen so nicht nur die notwendige Funktion des Fluchttreppenhauses, sondern bieten den BesucherInnen am Weg durch das Gebäude ein abwechslungsreiches, räumliches und von Tageslicht begleitetes Erlebnis, welches wiederum von einer klaren Differenzierung zwischen Bestand und Ergänzung bestimmt ist. Der obere Abschluss der Treppen endet auf dem „Gästepanorama“ vor den beiden neuen Veranstaltungsräumen und den ihnen unmittelbar vorgelagerten Terrassen. Von hier aus bildet der Blick nicht nur auf die Architektur des Hauses, sondern auch über die Dachlandschaft der Stadt den Abschluss der vertikalen Erschließung.
Die Bezeichnung Gästepanorama leitet sich aus den zahlreichen möglichen Sichtverbindungen zwischen Innen- und Außenraum ab. Die abwechslungsreichen Tageslichtstimmungen, die unterschiedlichen Maßstäbe, welche die Topografie der Stadt mit dem Relief der Gesimse des Gebäudes verbinden, sollen hier ins Zentrum der Wahrnehmung gerückt werden. In der Mitte des Gästepanoramas befindet sich unmittelbar über der Säulenhalle ein Gastronomiebereich. Die Versorgung erfolgt aus der angeschlossenen Küche, welche in dieser Lage auch die beiden Veranstaltungsbereiche (Demokratiewerkstatt etc.) auf dieser Ebene, sowie das gesamte Haus beliefern kann. Beiden Veranstaltungsräumen und dem Restaurant sind nicht nur Freibereiche zugeordnet, sondern auch ein Panoramablick über die Dach- und Baumlandschaft der Altstadt.
Der Entwurf der Generalplaner J+P_AXIS sieht eine deutlich verbesserte Infrastruktur für den Nationalratssitzungssaal vor. Die räumliche Erscheinung des Saales bleibt mit den neuen baulichen Modifikationen in seinem Wesen erhalten. In der Erdgeschossebene werden die Abgeordnetenränge abgesenkt, um die heute notwendige Barrierefreiheit zu erreichen. Die Lichtzwischendecke wird entfernt, wodurch ein freier Blick durch das neue Glasdach möglich wird.
Technisches Gustostück unter erschwerten Bedingungen
Das neue Glasdach über dem Nationalrats-Sitzungssaal war eine der wichtigsten Bauetappen der Sanierung und es steht für die Öffnung und Transparenz des Hauses, es wird den Parlamentariern echtes Tageslicht bringen. Auf der elektrochromen Verglasung, diese ermöglicht eine stufenlose Verdunkelung ähnlich einer Sonnenbrille, wird der Regen fast schlierenfrei abperlen. Dieser Lotus-Effekt wirkt reinigend auf die Glasflächen, sodass eine Reinigung nur einmal im Jahr nötig sein wird. Für die Montage des gigantischen Stahlringes, welcher die Unterkonstruktion für die Glaskuppel des neuen Sitzungssaals des Nationalrats bildet, kam ein riesiger Raupenkran LR 1750 der Firma Felbermayr mit einer max. Traglast von 750 Tonnen zum Einsatz, er war rund 70 Meter hoch. Um die etwa 46 Tonnen schweren Komponenten bei einer Ausladung von 70 Meter einheben zu können, war der Raupenkran mit einem Gesamtballast von ca. 585 Tonnen ausgestattet. Die besonderen Herausforderungen lagen im geringen Platzangebot und natürlich auch in der Tatsache, dass derartige Arbeiten nur in der Nacht möglich sind. So passierte auch das dreitägige Rüsten des Kranes, für den rund 60 Lkw-Transporte nötig waren, größtenteils in der Nacht. Mit diesem Kran wurden – in zwei aufeinanderfolgenden Nächten – die vier, jeweils 46 Tonnen schwere Stahlringteile, in die Höhe gehievt und dann auf dem Dach des NR-Saals zu einem Stahldruckring zusammengesetzt.
Unter dem Nationalratssitzungsaal und dem in seiner ursprünglichen Form erhaltenen Historischen Sitzungssaal werden neue Ausschusslokale eingebaut. Ebenso werden im Dachgeschoss derzeit brachliegende Flächen für Büro und Sitzungsräume genutzt. Auch das für Besucher zugängliches Restaurant wird hier angesiedelt. Die neuen Zubauten sind so angeordnet, dass sie das historische Erscheinungsbild mit ihrer Ausprägung nicht überlagern und somit im Gesamtensemble nicht störend wirken.
Ob die Vorabprämierung der Planung für das künftige Parlamentsgebäude von klimaaktiv und ÖGNB die Auszeichnung „klimaaktiv GOLD“ und „ÖGNB Gold“ zu Recht erhalten hat, wird man erst nach einigen Jahren evaluieren können.