Lebenswirklichkeiten : Nachhaltiges Planen und Bauen – ohne Frauen?
Antifeministisches Denken, unterschiedliche Lebenswirklichkeiten, „biologische Rückführung“, Sozialisierung oder gesetzliche Rahmenbedingungen: Nachhaltiges Planen und Bauen von, für und mit Frauen hat vielfältige Dimensionen. Die Teilnehmer der 14. Veranstaltung der Podiumsdiskussionsreihe der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten bezogen Position.
Ursula Schneider, Architektin und Vorsitzende des Ausschusses Nachhaltigkeit der bAIK, bemerkte den ausgewogenen Geschlechteranteil der Architekturstudierenden in fachspezifischen Studienrichtungen, während der Frauenanteil an der Gesamtberufsgruppe deutlich abnehme. Schneider brachte die Frage nach dem besonderen Beitrag von Frauen im nachhaltigen Planen und Bauen ein. Es werde in Zukunft vermehrt um integrale Planung gehen. „Dabei ist es wichtig, eine vorgefasste Meinung ändern und die Position anderer einnehmen zu können. Das können Frauen gut, denn sie fürchten sich weder vor Gesichts- oder Machtverlust noch davor, dumme Fragen zu stellen.“ Die Frauenfrage sei kein prinzipielles Thema der Gesellschaft, sondern ein Wirtschaftsfaktor. Außerdem sei es wichtig, dass mehr Frauen in die Prozesse eingebunden werden und Führungspositionen einnehmen. Die Stellung unterrepräsentierter Gruppen zu stärken, sei immer mit einer Steigerung der Qualität und mit einer Bereicherung verbunden.
Stellung zum Stichwort Ausbildungsbereich nahm Karin Stieldorf, Professorin an der TU Wien. Für sie sei bei Studierendenprojekten kein Unterschied hinsichtlich weiblichem oder männlichem Projektteam feststellbar – weder beim verwendeten Material noch bei Texturen oder Technik. Nachhaltige Themen würden von Studentinnen wie von Studenten gleichermaßen aufgegriffen. Während Studierende noch keinen geschlechtsspezifischen Unterschied im nachhaltigen Planen und Bauen wahrnehmen, sorgen in der Praxis starke Unterschiede für Ärger und Enttäuschung. Es solle eine Selbstverständlichkeit sein, Architekten und Architektinnen zu Wort kommen zu lassen. „Es ist eine gängige Meinung, dass Frauen mit mehr Gefühl und ganzheitlich in der Planung vorgehen“, sagte Stieldorf. Jedoch liege es nicht an einem anderen Zugang zum Thema Nachhaltigkeit, sondern käme aus der persönlichen Prägung.
„Laut Statistik sind Frauen in unserer Branche eine numerische Minderheit. Auf 2.529 Architekten kommen in Österreich 242 Architektinnen“, stellte Bente Knoll fest, Landschaftsplanerin und Gender-Expertin im Büro für nachhaltige Kompetenz. Für sie gab es drei Antworten auf nachhaltiges Planen und Bauen: von, mit und für Frauen. Frauen sollen durch Partizipationsprojekte in Bauvorhaben eingebunden werden. Planen und Bauen für Frauen bedeute, ihren vielfältigen Lebensalltag bei der Planung zu berücksichtigen. Mobilität spiele hier eine große Rolle – immerhin gehe man nach wie vor davon aus, dass mehr Frauen Pflegepflichten wahrnehmen. Knoll begrüsste eine flächendeckende Erhebung über Begleitwege 2013. Sie wies darauf hin, dass Geschlecht von der Gesellschaft gemacht wird.
Sybille Pirklbauer, Referentin Abteilung Frauen und Familie der Arbeiterkammer Wien, vertrat drei Thesen zur gestellten Frage: 1. Es gäbe viele Studentinnen, viele Abschlüsse, aber kaum selbständige Architektinnen und Funktionärinnen. Dies würde auf starke strukturelle Barrieren hinweisen. Pirklbauer verwehrte sich dagegen, dass dieser Umstand in der Diskussion zumeist durch Individualisierung abgeschwächt oder beiseite geschoben würde; 2. Frauen fehlen beim Planen und so werden ihre Bedürfnisse nicht ausreichend berücksichtigt – die Lebenswelten von Frauen sind anders als jene der Männer; 3. Strukturelle Änderungen stoßen immer auf hohen Widerstand, weil es auch Verlierer gibt. „Frauen sind quasi Nachhaltigkeitsexpertinnen, da sie ein höheres Gesundheits- und Umweltbewusstsein haben und vorrangig für die Reproduktion zuständig sind“, so Pirklbauer. Frauen nehmen überwiegend Kinderbetreuungsgeld in Anspruch, arbeiten in Teilzeitstellen aus familiären Gründen und verrichten zum größten Anteil die unbezahlte Betreuungs- und Versorgungsarbeit. Von der Architektur forderte sie lebenspraktische Ausrichtung mit Barrierefreiheit und kompakte Flächen für Wohnraum.
Die ungleichmäßige Talenteförderung im Kindesalter kritisierte Ingrid Scheibenecker, Ingenieurkonsulentin für Bauwesen. Vorurteile über technische Berufe zu beseitigen bedeute die Eintrittsschwelle, besonders für Frauen, zu senken. Scheibenecker sehe in einer guten Planung keine Frage des Geschlechts, sondern das Ergebnis von Kompetenz und Erfahrung. „Die heutige Verteilung der Architekten und Ingenieurkonsulenten lässt vermuten, dass noch Potential in der Bevölkerung schlummert. Und bei der Suche nach Talenten können wir es uns nicht leisten, eine Hälfte der Bevölkerung auszuschließen.“
Die Podiumsteilnehmer waren einig, dass es keinen männlichen oder weiblichen Stil in der Planung gäbe. Ob es zum Thema Nachhaltigkeit und Frauen eine spezielle Verbindung gäbe oder dieses Denken antifeministisch sei, weil es Frauen in eine Ecke stelle, war nicht klar festzustellen. Schneider wies jedoch auf die besondere Fähigkeit von Frauen zu kooperativen integralen Prozessen und Pirklbauer auf das definitiv höhere Umweltbewusstsein hin. Der generelle Beitrag zu nachhaltigem Planen und Bauen werde darüber hinaus eher von persönlichen und nicht von geschlechterspezifischen Aspekten geprägt. Kommunikation, integrale Prozesse und das „voneinander Lernen“ werden zukünftig eine immer größere Rolle spielen - Lernen von Frauen wie von Männern. So können Barrieren durch gesellschaftliche Rahmenbedingungen überwunden und unterschiedliche Lebenswirklichkeiten in der Planung berücksichtigt werden.
Es benötige ein Drittel Frauen, um eine Veränderung zu bewirken. „Erst wenn die kritische Masse vorhanden ist, kann ein Prozess verändert werden“, so Pirklbauer. Über die Forderung von Gender-Kriterien in der Forschungsförderung und mehr Frauen in Gremien waren sich die Teilnehmerinnen einig. Neue Gesetzeslagen könnten Abhilfe schaffen und Rahmenbedingungen ändern ─ Frauen könnten weg vom Sicherheitsdenken hinein in die Selbstständigkeit gehen. Aus dem männlichen Teil des Publikums kam die positive Wortmeldung, dass ein höherer Frauenanteil eine Chance sei, die katastrophale Umweltsituation zu verbessern und eine Hoffnung auf eine nachhaltige Architektur ─ so könne das Überleben unseres Planeten vielleicht gesichert werden.