Solid Plus : Muchitsch: "Kein Österreich-Paket für EU-Firmen!"
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SOLID: Die Bauwirtschaft ist traditionell bei den Meldungen der Arbeitslosenzahlen relativ weit vorn. Zuletzt ist Wirtschaftskammerpräsident Leitl mit der Aussage an die Öffentlichkeit getreten, dass jeder einen Job findet, der wirklich einen sucht. Wie weit stimmt das für den Bau?Josef Muchitsch: Ich halte das für eine sehr zynische Aussage. Ich habe sie auch nicht ganz ernst genommen, deswegen habe ich gar nicht reagiert. Fakt ist: wir haben in der Bauwirtschaft mehr Arbeitskräfte auf dem Markt, als es Arbeitsplätze gibt. Der Markt ist offen, und das spüren wir natürlich in der Bauwirtschaft ganz massiv.SOLID: Wie sieht die Anatomie dieser Arbeitslosigkeit aus? Wie teilen sie sich aufMuchitsch: Wir haben zur Jahresmitte eine Entwicklung, nach der der Anteil der ausländischen Arbeitskräfte am österreichischen Markt sinkt. Wenn man es sich genauer ansieht, steigt der Anteil an EU-Bürgern zwar, aber der Anteil der Nicht-EU-Bürger sinkt wesentlich stärker. Das finde ich überraschend.Konkret haben wir in der Bauwirtschaft 28.000 Menschen arbeitssuchend gemeldet. Der Anteil der älteren und nicht oder niedrig Qualifizierten daran ist wie in allen anderen Branchen sehr hoch. Das heißt: junger, gut ausgebildeter, kräftiger EU-Staatsbürger verdrängt bereits integrierten Staatsbürger aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei und wird zunehmend auch ein Problem für den typischen österreichischen Bauarbeiter im höheren.SOLID: Was kann man in dieser Situation von den Unternehmen ehrlicher Weise verlangen? Für die ist es ja logisch, die Jüngeren und Kräftigeren und besser Qualifizierten vorzuziehen.Muchitsch: Fakt ist, dass wir eine Entwicklung haben, bei der sich Unternehmen verstärkt vom Eigenpersonal in Subvergaben verabschieden. Ich halte daher die jetzt mit dem Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz getroffenen Maßnahmen und dem Kampf gegen die Scheinselbständigkeit für ganz wichtig. Auch die Novelle zum Bundesvergabegesetz ist da ein Schritt auf dem richtigen Weg.Vor allem anderen brauchen wir Firmen auf dem österreichischen Markt, die Aufträge mit Eigenpersonal abwickeln. SOLID: Reden wir jetzt über die Baufirmen und Generalunternehmer oder über die Subunternehmen? Muchitsch: Bei den Subunternehmen haben wir derzeit eine leichte Steigerung bei den Beschäftigten, aber noch eine stärkere Steigerung bei den Betrieben. Das sind aber nicht die Betriebe, die die Leute anstellen, sondern das sind großteils Ein-Person-Unternehmen aus dem EU-Raum, die hier ihr Gewerbe anmelden. Wir wissen, dass von zehn EPUs in der Bauwirtschaft sechs Scheinselbständige sind.In der EU gibt es dazu übrigens eine besorgniserregende Entwicklung: die Kommission hat gegen die Stimmen von Deutschland und Österreich beschlossen, dass sie die sogenannten Ich-AGs umsetzen will. SOLID: War das Thema nicht schon vor einigen Jahren vom Tisch? Muchitsch: Das war es. Das Thema ist aber wieder voll aufgeflammt. Das heißt, man kann in insgesamt 28 Ländern mit 1 Euro Stammkapital vom Sofa aus Selbständigkeit anmelden und in allen Ländern arbeiten. Das ist sehr, sehr bedenklich. Das Thema kommt jetzt ins EU-Parlament und da hoffen wir, dass das europäische Parlament wie damals diesem Vorschlag nicht die Mehrheit geben wird. Das ist aber heute viele schwieriger. - Also wenn DAS kommt, ist das ein ganz klarer Weg zur Forcierung genau der Scheinselbständigkeit, gegen die wir kämpfen. SOLID: Bleiben wir trotzdem auf dem Punkt: was sagen Sie dem österreichischen Unternehmen, das sagt, dass es sich die Anstellungen nicht leisten kann? Muchitsch: Dass wir mit dem Bundesvergabegesetz nur mehr jene Firmen zu Ausschreibungen zulassen, die selber sauber und mit sauberen Subunternehmen arbeiten. Wir haben aber auch den KMUs, die immer unter dem Druck der Großen gestöhnt haben, mit 2016 ein Fenster aufgemacht: Wir werden bei der Beschlussfassung des Bundesvergabegesetzes im Oktober im Parlament auch die Kleinlosregelung wieder etablieren, die der Verwaltungsgerichtshof ja 2014 de facto wegen einer schlechten Formulierung gekippt hat. Bei großen Ausschreibungen müssen dann auch kleine Gewerke direkt vergeben werden. SOLID: Müssen? Muchitsch: Ja, müssen. Das heißt, dass sich so wie jetzt ein großer Generaluntenehmer den ganzen Auftrag schnappt und sich darunter der brutale Subunternehmer-Wettbewerb abspielt, ist damit Geschichte. Denn erstens müssen die Subunternehmer sauber sein und zweitens ist der öffentliche Auftraggeber verpflichtet, diese Kleinlosregelung anzuwenden. SOLID: Wer entscheidet, was so ein Kleinlos ist? Muchitsch: Der Auftraggeber. Eine Generalsanierung eines öffentlichen Gebäudes zB durch die BIG hat bis jetzt ein Generalunternehmer erhalten und sich darunter Gerüstfirma, Trockenbau, Fassader etc. ausgesucht. Ab jetzt wird der Gerüstbauer direkt den Auftrag von der BIG erhalten. SOLID: Und das lässt sich gesetzlich fassen? Muchitsch: Ja, wir hatten das ja schon einmal*). Aber das ist natürlich nicht zur Freude der großen Unternehmen.
SOLID: Bis jetzt haben wir über die öffentlichen Aufträge gesprochen. Diese machen ungefähr ein Drittel des Gesamtbauvolumens in Österreich aus. Da bleiben aber noch zwei Drittel übrig, für die das Vergabegesetz ja nicht gilt. Was soll dort geschehen? Wie ist es etwa beim geförderten Wohnbau, der ja ein Zwischendasein zwischen öffentlich und privat führt? Muchitsch: Es ist weiterhin Ziel, auch diese Auftraggeber - wir nennen sie Sektorenauftraggeber - in die Verantwortung zu nehmen. Eine Variante wäre per Gesetz. Ich habe aber derzeit die Botschaft, dass jene gemeinnützigen Wohnbauträger, die auf dem österreichischen Markt operativ tätig sind, auch dieses Bundesvergabegesetz annehmen werden. SOLID: Und wie sieht es im privaten Bereich aus? Da geht es ja nicht nur um den kleinen Häuslbauer, sondern auch um große Hotels, Entwicklung von Büroflächen etc. Muchitsch: Im privaten Bereich müssen wir an anderen Schrauben drehen. Wir müssen dort die Strafen so ansetzen, dass sich Lohn- und Sozialdumping nicht mehr auszahlt. SOLID: Was heißt das genau? Wie hoch sollen die Strafen sein? Muchitsch: Es ist nicht immer nur wirksam, die Geldstrafen zu erhöhen. Fakt ist, wir brauchen wirksame Strafen, bei denen sich Lohn- und Sozialdumping einfach nicht mehr bezahlt machen. Ich denke da neben höheren Geldstrafen und Einhebung der Strafen vor Ort durch die Finanzpolizei auch an Entzug der Gewerbeberechtigung, Einstellen der Baustelle, Verlust des Auftrages und Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen.Und ich sehe auch einen Ansatz darin, mit Förderungen wie dem Handwerkerbonus oder dem Bundessanierungsscheck tätig zu werden. Dass es da noch keine Einigung mit dem Finanzminister gibt, tut mir als Praktiker weh. Aber wir kämpfen darum, dass diese Förderungen im Zuge eines Konjunkturpakets erhöht werden. SOLID: Welches Konjunkturpaket meinen Sie? Derzeit ist ja vor allem das Wohnbaupaket auf dem Tisch, das die Regierung auf der Klausur im März beschlossen hat,**) das aber nach wie vor nicht gekommen ist. Muchitsch: Das Konjunkturpaket geht über dieses Wohnbaupaket hinaus, aber es ist natürlich ein großer Teil davon. Wir benötigen aber weitere Investitionen mit regionaler Wertschöpfung. Wenn wir etwa schon in Breitbandausbau investieren, muss man genau schauen, wer dort die Aufträge bekommt. Es macht keinen Sinn, in Österreich ein Konjunkturpakt zu beschließen, wenn es dann eine Förderung für europäische Unternehmen wird. Jean-Claude Juncker soll sein Juncker-Paket machen und die Bundesregierung unseres. SOLID: Wie groß ist der Schlüssel der Bauwirtschaft zu Östereichs Gesamtwirtschaft? Muchitsch: Wir haben ein Bauvolumen von nicht ganz 20 Milliarden Euro laut WIFO - das sind ca. 5 Prozent des BIPs. Wir haben in etwa 260.000 Beschäftigte und da hängen dann noch die Familien dran und auch die nachgelagerten Bereiche wie Einrichtungshäuser etc. Und das ist kein Luxus, wir brauchen diesen Wohnraum ja auch tatsächlich. Ich sehe den Bau daher ganz klar als die Konjunkturlokomotive an. Und diese Lokomotive braucht Kohle. SOLID: Man hört aber auch immer wieder aus der großen Bauwirtschaft: Österreich ist praktisch fertig gebaut, wir müssen ins Ausland? Muchitsch: Wenn die große Bauwirtschaft das so sieht, will ich sie nicht aufhalten. Aber sie ist viel viel vorsichtiger geworden, auf welchen Märkten sie tatsächlich tätig wird. Aber wenn ich mir allein die Hardware in unserem Bildungsbereich anschaue, da gibt es bei Sanierung und Umbau von Bundesgebäuden mehr als genug zu tun. Dazu kommt der Bedarf an zusätzlichem Wohnraum, vor allem in den Ballungszentren. Und wenn ich mir dann noch die Gutachten über den Zustand unserer Landesstraßen und Brücken ansehe - da würden wir eigentlich viel mehr Firmen brauchen, um das zu bewältigen.Hier muss man übrigens eine Lanze für den Föderalismus brechen, was ja nicht immer so ist: Die Gespräche mit den Landesverantwortlichen laufen da sehr gut. SOLID: Lassen Sie uns auf das im Dezember 2014 vorgestellte und im März grundsätzlich beschlossene Wohnbaupaket mit den Stichworten "Niedrigzinsphase nützen, EU-Gelder mithilfe von Wohnbaubanken holen" zurück kommen. Dieses Paket erlebt seit Monaten ein Auf und Ab. Was ist der Stand und wann kommt es endlich? Muchitsch: Das Wohnbaupaket ist fertig diskutiert; die Regierungsparteien sind sich einig, wie es durchgeführt werden soll. Wo wir noch grünes Licht brauchen ist seitens der FMA , EIB und EK ( Finanzmarktaufsicht , Europäische Investitionsbank und Europäische Kommission ) . Dort wird geprüft ob die Gründung einer eigenen neuen Wohnbauinvestitionsbank die technischen und rechtlichen Voraussetzungen laut Vorschlag erfüllt. SOLID: S-Bausparkassen-Generaldirektor Josef Schmidinger hat ja im Winter im Gespräch mit SOLID die Möglichkeit nicht verneint, dass das Wohnbaubankensystem die derzeitige Wohnbauförderung komplett ablösen könnte. Sehen Sie das auch so? Muchitsch: Wenn die Wohnbauförderungsgelder nicht wieder rein für Wohnbauförderung eingesetzt werden, dann muss man sich schon fragen, warum man das aufrecht erhalten soll. - Ich glaube aber schon, dass wir die Wohnbauförderung in Zukunft weiter brauchen werden. Das Wohnbaupaket, über das wir gerade sprechen, ist auf Befristung bis 2020 ausgelegt. Danach würden wir wieder etwas Neues erfinden müssen und ich glaube, das ist nicht notwendig. SOLID: Man weiß ja auch nicht, ob die Zinsen dann weiter so niedrig sind - Muchitsch: Eben. Ich würde also weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer aus ihrer Pflicht heraußen lassen und auch nicht den Bund betreffend des Bundeszuschusses von immerhin 1,86 Milliarden pro Jahr. Aber ich würde die Länder ganz klar verpflichten, die Gelder zweckgebunden einzusetzen. Ansonsten macht es Sinn, diese Wohnbauförderung in ein anderes Modell, sprich: Bundesmodell zu überführen. *) Die Kleinlosregelung wurde 2014 vom Verwaltungsgerichtshof in der bis dahin bestehenden Form aufgrund einer missverständlichen Formulierung gekippt. Nun soll sie - klar formuliert - wieder kommen. **) SOLID berichtete darüber ausführlich in Ausgabe 03/2015 unter dem Titel "Das Geld anderer Leute", zu finden auch auf www.solidbau.at