SOLID Plus : Michael Pech: "Bauwirtschaft hinkt meilenweit nach"
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Solid: Sie kommen von der Architektur, haben sich dann als Städteplaner betätigt, sind in der Vorstandsebene der ÖSW AG und seit Juni diesen Jahres Aufsichtsratsvorsitzender des Verbandes gemeinnütziger Wohnbauvereinigungen. Welches Bau-Thema brennt Ihnen denn persönlich am meisten unter den Nägeln?
Michael Pech: Wir führen derzeit einen offenen Diskurs, sowohl im Verband als auch innerhalb der ÖSW-Firmengruppe, wie wir den Spagat zwischen kostengünstigem Bauen und leistbarem Wohnen einerseits und andererseits den ins Grenzenlose gestiegenen Anforderungen an den sozialen Wohnbau, schaffen.
Was meinen Sie mit den uferlosen Anforderungen?
Michael Pech: Wir feiern heuer im Herbst das 70-Jahr-Jubiläum des Verbandes der gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen in Österreich. Der Verband wurde gegründet, um den notleidenden Menschen nach dem Krieg ein Dach über dem Kopf zu geben. Dies war viele Jahre lang mit vernünftigen Qualitätsansprüchen möglich. Heute sind wir so weit, dass wir im sozialen geförderten Wohnbau einen Qualitätslevel erreicht haben, den wir im durchschnittlichen freifinanzierten Wohnbau bei weitem nicht finden. Dazu kommt in den letzten Jahren auch noch eine gestiegene Anforderung an die soziale Nachhaltigkeit im Wohnbau.
Soziale Nachhaltigkeit bedeutet hier was?
Michael Pech: Das bedeutet, dass die Bauten nicht nur architektonisch, technisch, ökologisch und wirtschaftlich sein sollten, sondern auch dass soziale Aspekte, die die Gemeinschaft fördern, Beachtung finden, wie zum Beispiel entsprechende Allgemeinräumlichkeiten, Gemeinschaftsterrassen und Kinderspielräume. In diesem Zusammenhang spielt Partizipation ebenfalls eine große Rolle. Der künftige Bewohner wird bereits in der Entwicklungsphase in Entscheidungen miteinbezogen und kann somit aktiv seine Wohnungssituation mitgestalten. Ein weiteres Thema ist, dass die Wohnungen flexibel sein sollten in ihrer Nutzungsfähigkeit, Funktionalität und sogar in der Größe. Wir nützen diese Flexibilität während der Bauzeit bis zur Vergabe. Später im Bestand ist diese Möglichkeit zwar theoretisch da, praktisch aber schwer umsetzbar, weil ja gleichzeitig jemand ein Zimmer weniger und genau der Nachbar ein Zimmer mehr brauchen müssten.
Sind die Standards zu Unrecht so gestiegen?
Michael Pech: Grundsätzlich zu Recht. Wir in Österreich werden ja europaweit um unsere Wohnqualität beneidet. Wir sind jetzt nur an einem Punkt angekommen, an dem wir nachdenken müssen, ob wir nicht übermäßige Qualitätsansprüche, gesetzliche Forderungen aus der Bauordnung, den OIB-Richtlinien und den Normen, die ja oft über Bestimmungen in den Verträgen verrechtlicht werden, und den Förderungsbestimmungen auf ein vernünftiges Maß zurückführen müssen, ohne die wichtigen Errungenschaften über Bord zu werfen. Wir müssen einfach schauen, ob die einzelnen Bedingungen auch im Sinne des Bewohners so wichtig sind. Was nützt die qualitätsvollste und nachhaltigste Wohnung, wenn sie für die Menschen nicht leistbar ist?
Ich bin ausgebildeter Architekt, kenne also Planung und Umsetzung. Mir fällt auch viel ein, wie ich eine Wohnung noch nachhaltiger machen könnte und damit die Betriebs- und Energiekosten in der Zukunft noch weiter absenken könnte. Aber was nützt das, wenn der Einstiegspreis zu hoch für die Zielgruppe ist?
Ich vergleiche das gern mit der E-Mobilität. Ein E-Auto ist sicher ökologisch sinnvoll, nur aber derzeit aufgrund der hohen Kosten für den Mittelstand nicht leistbar.
Welcher Lebenszyklus-Berechnungszeitraum erscheint Ihnen denn sinnvoll, damit man nicht durch zu viel Nachhaltigkeit zu teuer wird?
Michael Pech: In der Regel orientiert sich die Branche ja immer noch großteils an den Herstellungskosten eines Gebäudes. Wir im Österreichischen Siedlungswerk kalkulieren zwar schon über einen längeren Zeitraum, aber auch nicht über den ganzen Lebenszyklus von hundert Jahren. Wir wissen, dass das Verhältnis zwischen Errichtungskosten und Gebäudenutzungskosten über die Gesamtlebensdauer etwa ¼ zu ¾ ist. Da ist die Verschiebung bei jedem Prozentpunkt wichtig. Unser Ziel ist geringe Herstellungskosten, Langlebigkeit und Recyclebarkeit der Materialien mit möglichst geringen Nutzungskosten.
Das sorgt aber doch gerade für die hohen Einstiegspreise?
Michael Pech: In diesem Zusammenhang möchte ich auch eine Lanze für die Beibehaltung der Wohnbauförderung brechen. Ein Mitgliedsunternehmen unseres Verbandes hat vor kurzem in Tirol die millionste Wohnung übergeben. Das entspricht Wohnraum für circa zwei Millionen Menschen. In Deutschland zum Beispiel wurde die Gemeinnützigkeit bereits seit längerem abgeschafft. Die Wohnverbände gibt es zwar noch, aber es wird immer mehr privatisiert und auch an Investoren verkauft. Und da entstehen in den Ballungsräumen schon schwierige Situationen, vor allem für junge Menschen, die über geringere finanzielle Mittel verfügen.
Es gibt meines Erachtens nach keine Alternative zur Wohnbauförderung bzw. den zusätzlichen Finanzierungen über die Wohnbauinvestitionsbank, die hoffentlich bald an den Start gehen, und kostengünstiges Wohnen langfristig sichergestellt wird.
Sind nicht die Grundstückspreise der größte Hebel?
Michael Pech: Die Grundstückskosten sind ein Riesenthema, aber leider wahrscheinlich kein Hebel, den wir betätigen können. Grund und Boden sind insbesondere in den Ballungszentren sehr beschränkt verfügbar und wenn die Menschen mehr werden, entsteht mehr Druck auf die Grundstückspreise. Wenn heute die Stadtentwicklung öffentlich diskutiert wird, ist es etwa für einen Liegenschaftsbesitzer relativ einfach zu wissen wo zukünftig Bauland entstehen wird. Das ist einfach ein Faktum. Zusätzlich gibt es auch Spekulanten, die als Zwischenkäufer und-verkäufer auftreten. Das ist ein großes Problem. Sie können heute in Wien außer vom Wohnfonds bereit gestellte Grundstücke keinen Quadratmeter Boden zu förderungswürdigen Bedingungen kaufen.
Große Kritik gibt es immer wieder von fast allen am Bau direkt beteiligten Seiten an den Normen - auch von Ihnen? Michael Pech: Normen sind als Stand der Technik praktisch verpflichtend, auch wenn sie kein Gesetz sind. Allein 2013 gab es knapp 250 neue baurelevante Normen. Das ist in Wahrheit weder für einen Architekten noch für Bauträger und Baufirmen überschaubar. Da sind zum Teil Kostentreiber dabei, deren Sinnhaftigkeit zu hinterfragen ist und dem Nutzer eigentlich unmittelbar nichts bringt. Da sollte man zumindest eine Trendwende einleiten. Diese Dinge entspringen ja schon sehr stark einem Lobbyismus der Industrie. Das ist grundsätzlich verständlich und in einzelnen Fällen auch sinnvoll. Aber in der Praxis ist der Überblick einfach nicht mehr da. Wenn ich den Normbildungsprozess richtig verstanden habe, kann sich daran doch jeder beteiligen - so argumentiert zumindest Austrian Standards. Warum kann sich die Industrie da so leicht durchsetzen? Michael Pech: Es stimmt schon, dass der Normbildungsprozess an sich sehr offen ist. Aber ich weiß von Architekten, die als Standesvertreter in den Normungsausschüssen sitzen und einfach zu wenig Zeit für diese Tätigkeit haben. Wir haben da schon eine Waffenungleichheit zwischen von einer Branche bezahlten Lobbyisten und ehrenamtlichen Standesvertretern. Aber gibt es einzelne Normenbereiche, die sie speziell problematisch sehen, oder ist es eher die Summe der vielen kleinen? Michael Pech: Eher letzteres. Man sollte das Bauen auch bei den Normen generalisiert sehen und nicht nur aus der Perspektive des Spezialisten. Technische Spitzenleistungen sind gut und wichtig für die Weiterentwicklung des Bauens, aber die Vernormung führt dann zur allgemeinen Verpflichtung und dann kann es problematisch werden. Haben die privaten Bauträger und -herren diese Verpflichtung nicht? Michael Pech: Eine Norm ist eine Empfehlung, die man mit Verträgen in Kraft setzen kann, andererseits sind sie Stand der Technik. Wir haben ja auch manchmal die Situation am Bau, dass unterschiedliche Normen und andere Vorschriften einander widersprechen. Da müssen wir mit technischen Gutachten operieren, aber das kann im Ernstfall auch zu rechtlichen Problemen führen kann. Sitzen sie da mit den Baufirmen in einem Boot? Michael Pech: Letztlich ja. Die Bauwirtschaft ist unser Partner, ohne den wir unsere Projekte nicht realisieren könnten. Ich persönlich habe größten Respekt vor jedem Bauarbeiter und ich kenne die Produktivitätssteigerung der Bauwirtschaft in den letzten Jahrzehnten. Aber ich meinte auch wirtschaftlich. Verdient eine Baufirma an einem teuren Bau nicht mehr? Oder muss sie einfach teurere Dinge verwenden und hat selber wenig davon? Michael Pech: Letzteres ist richtig. Wir sind uns mit den Vertretern der Bauindustrie und des Gewerbes einig, dass die Kostensteigerungen den Baufirmen nichts bringen. Baufirmen treiben den Preis nicht, um mehr Umsatz zu haben. Entscheidend sind die Spannen, und die werden durch angehobene Qualität nicht unbedingt größer. Wie sehen sie denn vor diesem Hintergrund die Themen Passivhaus und ökologischer Wohnbau? Michael Pech: Beim Thema Passivhaus war das ÖSW lange ein Vorreiter und wir wollen uns hinsichtlich Ökologie und Nachhaltigkeit auch weiter entwickeln, aber eines scheint mir klar: Passivhäuser in mehrgeschossigen Wohnhäuser sind im geförderten Wohnbau derzeit kein aktuelles Thema - und zwar zu Recht. Das hat auch eine Studie des Verbandes vor drei Jahren ergeben. Wir haben durch den Niedrigenergiestandard schon jetzt sehr wenig Heizbedarf. Aber auf der anderen Seite gibt es eben Fixkosten durch Anschlüsse, Eichung der Zähler etc. die auch im Passivhaus bei noch geringen Heizbedarf anfallen. Zusätzlich kommen noch Kosten für Strom für Lüftungsgeräte und Wartung hinzu.
Bei unserem letzten SOLID-Talk zum Thema leistbares Bauen und Wohnen (siehe SOLID 7+8/2016) und bei etlichen Baustellenrecherchen in der letzten Zeit habe ich immer wieder gehört: die wahren Einsparungen liegen in der Planung und Vorbereitung. Sehen sie das auch so? Michael Pech: Das gilt jedenfalls für große Infrastrukturprojekte, im Wohnbau auch, aber etwas abgeschwächt. Aber eines muss man schon sagen: wir bauen heute immer noch Stein auf Stein und gießen Beton in Schalungen. In der Entwicklung im Vergleich zu anderen Bereichen – zum Beispiel in der Automobilindustrie - hinkt die Bauwirtschaft meilenweit nach. Ein Beispiel: es wird heute immer noch jede Fensteröffnung ausgemessen und dann das Fenster produziert. Also mehr bauteilzusammenhängende Produktion wäre da schon wünschenswert. Ich persönlich erwarte mir mittelfristig von BIM einen Entwicklungsschub. Was passiert da konkret in Ihrem Bereich? Michel Pech: Wir haben in der ÖSW-Gruppe vor dem Sommer für alle Techniker ein in house BIM-Seminar abgehalten. Wir haben derzeit ein Projekt mit BIM laufen und merken, dass das in der Arbeitsvorbereitung, und in der Qualitätskontrolle etwas bringt. Hauptziel beim BIM ist für uns Bauträger jedoch, dass wir für die spätere Bewirtschaftung verlässliche Unterlagen haben. Wir unterstützen das sehr, aber wir haben da noch einen langen Weg vor uns. Last but not least das Thema Vergaberecht. Die Novelle zum Vergaberecht gilt für öffentliche Auftraggeber und es gibt viele Stimmen die meinen: die Gemeinnützigen sollten sich auch mehr oder weniger freiwillig dran halten, weil sie ja auch mit öffentlichen Geldern und im öffentlichen Interesse operieren. Was denken sie? Michael Pech: Das ist derzeit im Verband der gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen in Diskussion und dem Ergebnis kann und möchte ich nicht vorgreifen. Es gibt ja jetzt schon gemeinnützige, die unter das Vergaberecht fallen, weil sie mehrheitlich öffentliche Eigentümer haben. In der ÖSW-Gruppe haben wir bei Projekten, die wir für öffentliche Auftraggeber durchführen, allerdings schon erleben müssen, dass marginale Formalfehler bei einer Ausschreibung zum Ausschluss von Anbietern geführt haben, was letztlich zu Mehrkosten für das Projekt geführt hat. Es ist sicher sinnvoll, Teile eines neuen Vergaberechts freiwillig zu übernehmen. Aber ich möchte auch weiterhin einen Verhandlungsspielraum im Sinne des leistbaren Wohnbaus haben.
Interview: Thomas Pöll Prof. Michael Pech, MRICS ist Mitglied des Vorstandes derÖsterreichisches Siedlungswerk Gemeinnützige Aktiengesellschaft, Vorsitzender des Aufsichtsrates des Verbandes gemeinnütziger Bauvereinigungen, Mitglied des Grundstückbeirates der Stadt Wien und Lehrbeauftragter an der TU - Wien