SOLID 09/2020 : „Mehr Chancen als Risiken“
SOLID: Das Corona-Jahr 2020 startet in sein letztes Drittel. Für die Baubranche waren die vergangenen Monate in vielerlei Hinsicht eine neue Erfahrung: sowohl was die Arbeit auf den Baustellen selbst betrifft als auch hinsichtlich der Einschätzung der weiteren Entwicklung, die nicht so präzise möglich ist, wie das früher der Fall war. Wie beurteilen Sie die Lage der Bauwirtschaft in der Steiermark?
Alexander Pongratz: Die Lage der steirischen Bauwirtschaft ist durchaus zufriedenstellend. Wir haben den hohen Auftragsstand im Winter abgearbeitet, dennoch ist die Auftragslage sehr gut. Auch wenn man sich die durchschnittlichen Auftragseingangs- und Umsatzrückgänge ansieht, muss man sagen, dass wir relativ gut durch die Krise gekommen sind. Im März 2020 hatten wir beispielsweise gegenüber dem Vorjahresmonat einen Rückgang von lediglich -15 %. Auf den Baustellen selbst sind die Themen Abstandhalten und Maskentragen natürlich nach wie vor hinderlich, aber die Einschränkungen sind bei Weitem nicht so stark wie zu Beginn. Die Verunsicherung ist weg, wobei wir natürlich nicht wissen, was der Herbst und der vor allem Winter bringen werden.
Was hat sich für die Betriebe und in den einzelnen Bereichen durch die Corona-Krise geändert?
Pongratz: Das kommt stark auf den einzelnen Betrieb an. Unternehmen, die vor der Krise bereits Liquiditätsprobleme hatten, sind von der Krise natürlich sehr stark getroffen worden. Die Veränderungen hängen auch davon ab, in welchem Bereich die Unternehmen tätig sind. Wer viele öffentliche Aufträge hat, der ist stärker betroffen. Dasselbe gilt für den Bereich Büroimmobilien. Da wurden einige größere Projekte zunächst auf Eis gelegt, um abzuwarten, wie sich die Lage entwickelt. Das ist ja auch klar: Wieso sollte man zusätzliche neue Büros bauen, wenn man noch nicht genau weiß, wie sich das Homeoffice in Zukunft entwickeln wird? Der Büromarkt ist also sicher etwas schwächer geworden durch die Krise. Das gilt übrigens auch für die Stadthotellerie, wo fertig geplante Projekte von den Banken im letzten Moment abgelehnt wurden. Generell ist es schwieriger geworden, Kredite zu bekommen, weil die Banken durch die Corona-Krise insgesamt viel kritischer geworden sind.
Wie sehen Sie die Auftragslage bei den privaten Auftraggebern?
Pongratz: Bei den Privaten sieht die Sache schon wieder ganz anders aus. Die Privatkundschaft hat in der Corona-Zeit sehr stark investiert! Alles, was zu einer Verschönerung und Verbesserung des Eigenheims führt, wurde mehr oder weniger gemacht, von der Sanierung bis hin zur Neuinvestition im Haus. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Menschen haben durch das mehr oder weniger verpflichtende Zuhausebleiben gemerkt, was daheim fehlt. Die Leistungen im privaten Bereich sind aktuell nach wie vor stark nachgefragt, auch durch die niedrigen Zinsen und durch die Angst vor der Inflation. Dadurch ist der private Bereich insgesamt sehr positiv.
Wie sehen Sie die Steiermark im Vergleich zu den anderen Bundesländern, auch in Hinblick auf die großen Infrastrukturprojekte der öffentlichen Hand, die in der Steiermark gebaut werden? Und wie geht es den Gemeinden?
Pongratz: Die Konjunkturbeobachtung der KMU Forschung Austria sieht das steirische Baugewerbe im 2. Quartal im Österreichvergleich deutlich vorne. Dazu muss man sagen, dass Land und Bund bei den Aufträgen nicht auf der Bremse stehen, auch die Asfinag nicht. Bei den Gemeinden ist die Lage etwas anders. Da wurde ja zu Beginn der Krise mehr oder weniger ein Investitionsstopp ausgerufen, weil die Budgets nicht gesichert waren. Das ist jetzt deutlich besser, aber noch immer nicht ganz zufriedenstellend. Eines ist sicher: Die öffentliche Hand muss jetzt in Infrastrukturprojekte investieren, die langfristig und nachhaltig wirksam sind. Auch deswegen, weil die Zinslage auf Jahre hin sehr niedrig bleiben wird, nicht zuletzt durch die ganzen Covid-19-Förderprogramme. Das ist insgesamt also sehr positiv für den gesamten Bausektor.
Was können Sie als Innung grundsätzlich tun, um die Situation für die Betriebe zu verbessern?
Pongratz: Wir haben in der Corona-Zeit mehr oder weniger rund um die Uhr Anfragen der Betriebe beantwortet, von der Kurzarbeit über die Investitionsprämie bis hin zur degressiven Abschreibung. Da haben wir für die Betriebe wirklich sehr viel und das sehr schnell machen können. Eines muss man natürlich auch sagen: Hier geht es stark um die Arbeit der Wirtschaftskammer insgesamt. Die Arbeit der Innungen und Fachgruppen ist wichtig, aber bei vielen Themen muss die Wirtschaftskammer insgesamt auftreten, gerade wenn es zu solchen einschneidenden Krisen kommt wie jetzt.
Kommt es bei Ihnen, wie etwa aus Tirol bekannt, zu Verfahrensverzögerungen? Konnten Sie da etwas bewirken?
Pongratz: Wir haben in diesem Bereich einen Riesenstau, weil ja nahezu drei Monate nichts weitergegangen ist, sprich: Es gab keine Bauverhandlungen und keine Bescheide. Wir haben natürlich mit den Behörden gesprochen, um Verfahrensbeschleunigungen zu erreichen. Aber insgesamt hält uns das sehr auf. Gerade jetzt, am Ende der Sommersaison, brauchen wir die Verhandlungen, sonst droht uns ein Vergabeloch. Sicher geht es der Branche im Moment gut, weil der Auftragsstand nach Corona hoch ist. Auch der Herbst wird recht gut werden, aber danach können sehr wohl Probleme auftreten aufgrund von Verfahren, die sich verzögert haben.
Was wünschen Sie sich von der Bundesebene und was von der Landespolitik?
Pongratz: Die im Mai beschlossene Gemeindemilliarde ist ein wichtiger Schritt, aber meines Erachtens zu wenig! Wir haben über 2.000 Gemeinden, da ist eine Milliarde nicht viel. Ich wünsche mir hier eine ordentliche Aufstockung. Auch die Investitionsprämie ist eine tolle Sache, allerdings muss die Eigenleistung der gewerblichen Unternehmen gleich behandelt werden wie eine Fremdleistung und sie darf nicht von der Investitionsprämie ausgeschlossen werden. Denn das ist ja gerade für die KMU sehr schlecht. Und noch ein Punkt ist sehr wichtig, nämlich eine Novelle des Mietrechtsgesetzes und Wohnungseigentumsgesetzes, um Investitionen leichter zu ermöglichen, denn das ist nach wie vor ein Hemmschuh. Da geht es nicht zuletzt auch ums Klima: Zurzeit liegen wir etwa bei der Sanierungsquote bei 1 %, das heißt, man würde 100 Jahre brauchen, um den gesamten Gebäudebestand zu sanieren. Sinnvoll wären aber 3 %. Das geht aber nur gut, wenn auch diese beiden Gesetzte endlich novelliert werden
Gibt es reale Chancen, die sich durch diese Krise ergeben, oder überwiegen die Belastungen?
Pongratz: Jede Krise ist auf den ersten Blick belastend, sonst wäre es ja keine. Das gilt auch für diese Krise und es gibt ja auch genug Befürchtungen, dass die Branche langfristig Schaden nimmt. Umgekehrt muss man sagen, dass es durch die Krise auch viele Hilfspakete gibt, was wiederum zu höheren Investitionen führt. Und die Zinsen sind langfristig niedrig, was auch große Chancen bringt. Vor der Krise hat es geheißen, dass die Zinsen in spätestens 5 Jahren wieder anziehen werden. Davon spricht heute keiner mehr. Aber niedrige Zinsen bieten eben Chancen für Investitionen, gerade in der Bauwirtschaft. Dazu kommt auch noch der niedrige Ölpreis, der wiederum zu niedrigeren Baustoffpreisen führt. Also um es zusammenfassend zu sagen: Die Zukunft lässt sich nicht ganz so schön vorhersehen, wie das vor der Krise der Fall war, weil wir einfach nicht genau wissen, was die nächsten Monate bringen. Aber für die Bauwirtschaft ergeben sich letzten Endes mehr Chancen als Risiken.
Wie sieht es eigentlich bei den Lehrlingen aus?
Pongratz: Für die Zukunft ist der Nachwuchs natürlich sehr wichtig. Auch da sieht es ganz gut aus. Die Lehre am Bau ist beliebt und das Image hat sich in den letzten Jahren auch stark gewandelt, und zwar ins Positive. Mit der neuen Baulehre geben wir auch das Handwerk an die nächsten Generationen weiter und erhalten damit alte Traditionen, die wir mit moderner Technologie verbinden.