SOLID 09/2016 : Lobau: der raffinierte Tunnel
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Eines der Großprojekte im österreichischen Straßenbau stellt die geplante Errichtung des Lobautunnels dar. Eine Untertunnelung des in Wien liegenden Nationalparks Donauauen sowie das bautechnisch anspruchsvolle Terrain lassen die mit der Planung und später dann mögliche Errichtergesellschaft ASFINAG alle Register des Tunnelbaus ziehen. Denn die Untergründe sind sowohl im Südteil des Bauabschnittes bei Schwechat als auch im Hauptteil und im Norden bei Süßenbrunn herausfordernd. Start bei Schwechat geplant Als Baustart ist der Südeingang in der Abzweigung der A4 aus Schwechat kommend sowie als Anschluss für die S1 vorgesehen. Dort soll auch der Startschacht und somit während des gesamten Projekts das Bauzentrum für den Lobautunnel liegen. Der Untergrund in der betreffenden Stelle bei Schwechat weist allerdings zum Teil erhebliche Schottervorkommen auf und diese Kiessolen sind natürlich stark wasserdurchlässig. Für einen Tunnelbau stellt Wassereindringen eine große Gefährdung dar, die vermieden werden muss.
Die offene Bauweise im ersten geplanten Bauabschnitt von rund 500 Metern bei Schwechat führt geradewegs durch das so genannte „Schwechater Tief“ und verlangt eine absolut dichte Baugrube, erläutert Thomas Schröfelbauer, Projektleiter für den Lobautunnel bei der ASFINAG Bau Management GmbH. Selbst Betonschalen seien bei dem nachgiebigen und wasserdurchlässigen Untergrund nicht ausreichend. Den nächsten Bauabschnitt übernehmen in der Folge zwei getrennte Tunnelbohrmaschinen für die beiden ebenfalls separaten Tunnelröhren. Diese großen Maschinen werden am Tunneleingang eingebracht, zusammengesetzt und verrichten dann mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich rund 11 Metern pro Tag ihre Erdhubarbeiten. Nach Ende ihrer langwierigen Arbeit (immerhin rund 543 Tage) werden sie wieder zerlegt und die Verschleißteile ausgetauscht. Zunächst wird der Bau der Weströhre gestartet, drei Monate danach jener der Oströhre. Dies habe zweierlei Gründe, so Schröfelbauer: „Erstens erfordert das schon einmal die Baulogistik und zweitens kommt durch den Aushub der Untergrund in Bewegung. Dieser soll sich wieder setzen, dann geht es mit der anderen Röhre weiter“. Am Ende liegen zwei Hauptröhren mit je einem Meter dicken Betonwänden unter der Lobau, dazu kommen nach innen gehend noch Dichtfolien und eine Innenschale. Letztere schützt die Hauptmauer vor Schäden, falls es zum Beispiel nach einem Unfall zu Feuer im Tunnel kommt. Vereisung im Boden Die Tunnelbohrmaschinen graben eine 5.980 Meter lange Röhre mit 15 Metern Durchmesser, die beiden Röhren sind rund 17 Meter voneinander entfernt. Verbunden werden sie nach dem Bau der beiden Hauptröhren mittels Querschlägen für mehrere Fluchtwegen. Manche davon sind sogar befahrbar (alle 1.000 Meter), die anderen begehbar. Gegraben werden die Querschläge konventionell und auch hier kommen bautechnische Spezialverfahren zum Einsatz. Es geht bei den kurzen Querverbindungen ebenfalls um Wassereindringen, das vermieden werden muss. Der üblicherweise bei solchen Tunnelbauten eingesetzte Injektionsschirm kann für die Bauarbeiten zum Lobautunnel nicht eingesetzt werden, da der Wiener Tegel sehr dicht und nur schwer durchlässig sei, erklärt Schröfelbauer. Daher werde der umliegende Untergrund mittels Injektionslanzen vereist. Hier stehen laut dem Bauleiter zwei verschiedene Methoden zur Auswahl: Stickstoffvereisung erzeugt mehr Kälte, ist aber teurer. Die Solevereisung gäbe es ebenfalls – konkret werde dann während der Bauarbeiten entschieden. Wieviele Quertriebe errichtet werden, stehe noch nicht endgültig fest, so Schröfelbauer. Die Feuerwehr wünscht sich derzeit kürzere Intervalle als derzeit geplant, und zwar Fluchtwege alle 250 Meter. Die jeweils andere Tunnelröhre dient jedenfalls bei Gefahr und Nichtverwendbarkeit einer Tunnelröhre als Fluchtweg beziehungsweise als Zufahrt für die Einsatzkräfte. Am Ende der Bauarbeiten zum Lobautunnel wird noch der rund 1,7 Kilometer lange Nordabschnitt als Anbindung zur S1 bei Süßenbrunn in offener Bauweise fertiggestellt. Hier wartet wieder der sehr dichte und wassergesättigte Wiener Tegel auf die Durchdringung. Zudem stellt sich die Frage, ob nicht Sandlinsen oder Wassereinschlüsse zur Herausforderung werden. Beim Eintritt in die Erde wird der Lobautunnel eine abwärts gerichtete Längsneigung von drei Prozent haben und ziemlich genau unter der Wiener Donauinsel seine tiefste Stelle mit 60 Metern unter der Oberfläche aufweisen. Danach steigt die Röhre mit einer leichten Biegung nach Norden und einer fast unmerklichen Steigung von 0,5 Prozent wieder Richtung Süßenbrunn an. Nach Vollendung des Lobautunnels ist der rund 200 Kilometer lange Autobahnring rund um Wien geschlossen und werde zu spürbaren Verkehrsentlastungen in der Stadt führen, ist die ASFINAG überzeugt. Der Anschluss der S1 von der A4 bei Schwechat bis nach Süßenbrunn ist 19 Kilometer lang, rund acht Kilometer stellen das Projekt Lobautunnel dar. Geplante Bauzeit sind drei bis dreieinhalb Jahre alleine für den Tunnel. Lobautunnel bekommt Pannenstreifen Der Lobautunnel wird durchgängig in beiden Röhren mit einem Pannenstreifen ausgestattet. Auch dafür gebe es zwei unterschiedliche Gründe, so Schröfelbauer. „Natürlich bringt ein durchgängiger Pannenstreifen gegenüber den sonst üblichen Pannennischen große Vorteile bei der Sicherheit. Immerhin werden 50.000 bis 60.000 Fahrten täglich für die Tunnel erwartet. Allerdings sind die Pannenstreifen aber auch deswegen sinnvoll, weil durch den Einsatz der Tunnelbohrmaschinen jede weitere Grabung von zusätzlichen Nischen erheblichen Mehraufwand und nicht zuletzt wieder Probleme bei der Sicherheit während des Baus hervorrufen würden“, so der Bauleiter. Die ASFINAG betont, dass während der gesamten Bauzeit sowohl auf höchste Umweltverträglichkeit als auch auf die Wahrung der Anrainerinteressen geachtet werde. So sei der optimale Schutz für die Anrainer und die Donaulandschaft als Natur- und Erholungsraum gewährleistet. Noch bis Jahresende werden wir vermutlich wissen, was die Umweltverträglichkeitsprüfung ergibt. Dann können die Bauarbeiten zum Großprojekt Lobautunnel starten – oder es wird weiter diskutiert, ob nicht doch eine andere Variante für die Stadtumfahrung Wiens im Süden und Osten umgesetzt wird. Rein bautechnisch darf man auf einen Lobautunnel jedenfalls gespannt sein. Politisch umstritten Der Bau des Tunnels galt auch als einer der wichtigsten Streitpunkte im zweiten rot-grünen Regierungspakt für die Bildung der Wiener Stadtregierung. Im Wiener Koalitionspakt steht zwar ein „Bekenntnis zur sechsten Donauquerung“ geschrieben. Diese in den Koalitionsgesprächen der beiden Parteien Rot und Grün erreichte Formulierung lässt aber maximalen Interpretationsspielraum zu. Nur die versprochene sorgfältige Prüfung aller möglichen Varianten konnte die Grünen damals beschwichtigen. Verkauft wurden die Verhandlungen mit der Stadt-SPÖ von Wiens Bürgermeister Michael Häupl freilich anders: „Der Lobau-Tunnel ist de facto abgesagt“, jubelte Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou im November 2015 vor der grünen Basis. Heute ist davon keine Rede mehr. Mehrere Alternativen stehen im Raum Nach Meinung der ASFINAG gebe es zu dem Tunnelprojekt keine ernst zu nehmende Alternative. Daran neuerlich zu rütteln, sei nicht sinnvoll, betont man in der ASFINAG. Die Prüfung weiterer Varianten würde nur einen Zeitverlust und zusätzliche Kosten bedeuten – immerhin in zweistelliger Millionenhöhe, lautet die Schätzung seitens ASFINAG. „Seitens der ASFINAG wurden sämtliche denkbaren Trassenvarianten für eine weitere Donauquerung untersucht, insgesamt über 20 Varianten und Untervarianten“, präzisiert Alexander Walcher, Geschäftsführer der ASFINAG Bau Management GmbH. „Für die Stadt Wien galten dabei immer zwei Voraussetzungen, zu denen sich auch die ASFINAG als ökologisch verantwortungsvoller Straßenerrichter klar bekennt: Die Donaulandschaft als Natur- und Erholungsraum erfordert maximalen Schutz, dem nur eine Tunnelvariante gerecht wird. Und auch der Nationalpark darf keinesfalls beeinträchtigt werden – er muss wie jetzt geplant unterquert werden“. A 22 Verlängerung ist keine Lösung „Alternative Trassenvarianten, die auf die neue S 1 zugunsten einer verlängerten A 22 Donauufer Autobahn mit Donaubrücke verzichten, haben gegenüber dem S 1 Projekt gravierende Nachteile“, erläutert Walcher. „Bei Entfall der S 1 und stattdessen einer Querung von der A 22 zur A 4 wird das hochrangigen Straßennetz, A 23 Südost Tangente wie S 2 Wiener Nordrand Schnellstraße künftig nicht entlastet. Speziell die Tangenten-Tunnel Stadlau und Hirschstetten, die bereits neuralgische Engstellen sind, würden damit noch mehr verstopft. Zudem wäre die dringend erforderliche Entlastung des Straßennetzes der Stadt Wien in der Donaustadt, insbesondere in Aspern, Eßling und Breitenlee damit unmöglich“, ergänzt Walcher. Ein weiteres wichtiges Ziel der S 1 sei die Verbesserung der Erreichbarkeit der Donaustadt als ein wichtiger Stadtentwicklungsbezirk. Auch diesem Ziel werde eine A 22 Verlängerung nicht gerecht. Daher sei der Lobautunnel sowohl wirtschaftlich als auch verkehrspolitisch die optimale Variante, so Walcher. Süden Wiens muss entlastet werden Die prinzipielle Notwendigkeit einer weiteren Donauquerung sei auch vor allem aus dem steigenden Verkehrsaufkommen in Wien abzuleiten. „Wien braucht dringend eine zusätzliche donauquerende Straßenverbindung. Die mit der S 1 – mit Untertunnelung von Donau und Nationalpark Donau-Auen – vorrangig verbundenen Ziele sind die Entlastung der hoch belasteten Straßenverbindungen in der Donaustadt, der Wiener Südosttangente sowie die Anbindung der Stadtentwicklungsgebiete in der Donaustadt“, sagt Walcher. Kursierenden Alternativvarianten wie die Verlängerung der A 22 Donauufer Autobahn nach Süden mit einer Donaubrücke zur A 4 Ost Autobahn „lassen diese für die zukünftige Wiener Straßeninfrastruktur so wesentlichen Zielsetzungen außer Acht“, meint Walcher. Warten auf Ergebnis der UVP Bis zum Spätherbst müsste der Entscheid zur UVP erfolgen. „Wir können seriöserweise keine Auskunft geben, wann das Gericht über die Umweltverträglichkeitsprüfung entscheiden wird. Aber das Projekt, das wir jetzt haben, die Weiterführung der S1, ist in den Startlöchern zum Bau. Wir wollen und werden es auch bauen“, betont Walcher. Die ASFINAG hat geforderte Unterlagen nachgereicht. Nun ist es am Gericht, über die UVP zu entscheiden. Bereits 2017 soll Baubeginn des Projekts Lobautunnel für eine zuführende Teilstrecke der S1 sein, und zwar die Verbindung Groß Enzersdorf – Süßenbrunn. 2018 solle mit den Tunnelbauarbeiten selbst bei Schwechat begonnen werden. Die Fertigstellung des Gesamtprojekts sei unverändert für 2025 geplant. Auch die Investitionskosten belaufen sich wie schon nach ersten Schätzung auf 1,9 Milliarden Euro, unterstreicht Walcher. Bis zum Baubeginn muss also noch die Genehmigung in zweiter Instanz der UVP vorliegen, es müssen einige Grundstücke gekauft und die sogenannten Materienrechtsverfahren abgeschlossen werden. Das sei aber schon alles vorbereitet, heißt es auf Anfrage von SOLID in der ASFINAG. Wien wartet also nun auf seinen längsten Straßentunnel. Von Peter R. Nestler