SOLID 03/2017 : Leichtfried: "Europa beneidet uns!"
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SOLID: Wie sehen Sie (auch aus Ihren internationalen Erfahrungen) die Infrastruktursituation in Ö im internationalen Vergleich - mit der EU und auch außerhalb?
Jörg Leichtfried: Mein Haus nimmt jährlich rund 4 Mrd. Euro in die Hand, um Schiene, Straße und Breitband auf Weltklasseniveau zu finanzieren. Wir sind hier gut aufgestellt: Laut einem aktuellen Bericht des Weltwirtschaftsforums liegen wir bei der Straßeninfrastruktur auf Platz Drei in Europa, weltweit auf Platz Sechs. Auch was die heimische Bahninfrastruktur anbelangt, sind wir gut unterwegs. Aber da geht noch mehr. Deshalb arbeiten wir an einer umfassenden Schieneninfrastruktur-Offensive. Allein in den kommenden Jahren investieren wir dafür rund 16,4 Mrd. Euro. Im Straßenbereich sind es rund 7,8 Mrd. Euro. Neben Schiene und Straße ist schnelles Internet die dritte wichtige Infrastruktur für unseren Wirtschaftsstandort. Mit der Breitbandmilliarde legen wir den Daten-Highway, den unsere Betriebe im Zeitalter der Digitalisierung brauchen.
Was aus anderen Ländern hätten Sie gern bei uns auch?
Leichtfried: Im Schienenbereich wäre ich mit dem Ausbau der großen Achsen schon gerne so weit wie die Schweiz. Die hat damit 20 Jahre vor uns begonnen. Dementsprechend ist dort der Taktfahrplan landesweit schon vollständig ausgerollt. Mein Ziel ist, die Schweiz einzuholen, und ich bin davon überzeugt, dass uns das gelingen wird. Aber wenn es um die professionelle und integrierte Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur geht, gelten wir international als Vorbild. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es eher die anderen Länder sind, die froh wären, wenn sie etwas Vergleichbares wie die ASFINAG hätten. Und auch mit der ÖBB-Infrastruktur AG haben wir in Österreich ein Unternehmen, das eine europäische Benchmark und ein wichtiger Partner für die österreichische Baubranche ist.
Wie ist der Stand bei den großen transeuropäischen Verkehrsrouten und was hat Österreich da an Baustellen? Wie werden diese angegangen und welches Investitionsvolumen ist da zu erwarten?
Leichtfried: Wir sind ja in der glücklichen Lage, dass insgesamt vier der europäischen Kerrnetzkorridore durch Österreich laufen: Von der Ostsee an die Adria, vom Orient und von Skandinavien ans Mittelmeer oder entlang der Donau. Das nützen wir für unseren Wirtschaftsstandort. Aber es gibt auch einige europäische Flaschenhälse. Das sind Herausforderungen, bei denen wir uns natürlich intensiv mit unseren Partnerländern abstimmen. Auf der Westachse haben wir schon mit Fahrgastrekorden beweisen können, was mit dem richtigen Infrastrukturausbau alles möglich ist. Nun ist der Süden dran: Wir investieren bis 2022 über 6,5 Milliarden Euro in die Schieneninfrastruktur entlang der Südstrecke. Der Semmeringbasistunnel sowie die Koralmbahn sind hier mit rund vier Milliarden Euro natürlich die größten Bauvorhaben – neben dem Brennerbasistunnel, in den wir bis 2022 rund 2,5 Milliarden Euro investieren. Und sie sind für unsere Partner in der österreichischen Bauwirtschaft wohl auch die technisch anspruchsvollsten Projekte.
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang die Vergaberechtsnovelle 2016 und die neuen Pläne zu Eignungskriterien? Wie weit sind Sie in die Erstellung dieser Kriterien involviert und was wünschen Sie sich da?
Leichtfried: Ich glaube, hier ist wichtig, sich die Ziele vor Augen zu führen. Mit Steuergeldern muss sehr sorgfältig und im Interesse der Bürgerinnen und Bürger umgegangen werden. Also nachhaltig im sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Sinn. Der soziale und ökologische Aspekt kommt im reinen Preiswettbewerb zu kurz. Der Schritt weg vom Billigst- hin zum Bestbieterprinzip war aus meiner Sicht enorm wichtig, um die Angebotsqualität zu heben. Und damit schützen wir auch die heimischen Unternehmen, die sauber arbeiten und gute Leistung bringen. Dass es funktioniert, zeigen die ersten Erfahrungen beispielsweise bei der ASFINAG. Rund hundert Aufträge im Wert von über 700 Mio. Euro wurden seit September 2015 bereits nach Qualitätskriterien erfolgreich vergeben. Etwa 80 Prozent davon an heimische Betriebe. Bisher lag der Fokus vor allem auf der Bauqualität. Seit diesem Jahr werden auch Unternehmen einen Vorteil haben, die ältere Personen oder Lehrlinge beschäftigen oder auf besonders umweltfreundliche Bauweise setzen. Natürlich muss das Bestbieterprinzip noch stärker verankert und in allen Branchen gelebt werden. Die Rückmeldungen der Unternehmen zeigen: Qualität rechnet sich.
In Bezug auf Eignungskriterien denke ich, dass es sinnvoll ist, wenn Auftraggeber klar deklarieren, welche Anforderungen an Unternehmen gelten und welche eben zu einem Ausschluss im Vergabeverfahren führen. Bei Steuergeldern ist das umso wichtiger, da wir auch in der Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger stehen.
Wie sehen Ihre Prognosen zum Verkehrsaufkommen aus (auch Verteilung Schiene/Straße) und welche Auswirkungen hat das?
Leichtfried: Wir gehen davon aus, dass es künftig mehr Verkehr geben wird, sowohl im Güter- als auch im Personentransport. Das ist auf ein positives Wirtschaftswachstum zurückzuführen und auf einen Bevölkerungsanstieg. Das wirkt sich in unterschiedliche Richtungen aus. Wir müssen die negativen Auswirkungen auf Klima, Umwelt und im Endeffekt auf die Menschen so gering wie möglich halten. Dabei gilt es, sowohl das Mobilitätsverhalten der Menschen als auch die Güter- und Warenströme im Blick zu haben. Mit einem starken Öffentlichen Verkehr und einem hohen Modal Split im Schienengüterverkehr sind wir bereits in einer guten Ausgangsposition. Hier arbeiten wir konsequent weiter – auch auf europäischer Ebene. Aber es ist eine Illusion zu glauben, dass es künftig keinen Individualverkehr geben wird. Deshalb fördern wir saubere Antriebsformen wie Elektromobilität. Der Schlüssel ist, E-Autos alltagstauglich, zuverlässig und leistbar zu machen. Wir fördern darum den Kauf von Elektroautos und den landesweiten Ausbau der Ladestationen. Unser Ziel ist, Österreich bis 2020 elektrofit zu machen.
Wie stark ist da die Rolle des Online-Handels?
Leichtfried: Was die Wirkung auf den Verkehr betrifft, spielt der Online-Handel sicherlich eine wichtige, aber nicht ganz eindeutige Rolle: Einerseits führt der wachsende Online-Handel zu mehr Transportfahrten für Paketlieferungen, Rücksendungen und mehrmalige Zustellversuche. Andererseits kann das veränderte Einkaufsverhalten auch dazu beitragen, bestimmte Wege einzusparen, die früher vielleicht noch mit dem privaten PKW zurückgelegt wurden. Laut einer aktuellen Studie können dabei die Einkäufe von bis zu 200 Kunden gebündelt und eingespart werden.
Was halten Sie von unterirdischen Mega-Transporthighways wie CargoCap?
Leichtfried: Innovative Logistik-Konzepte beobachten wir natürlich sehr genau. Solche Entwicklungen sind in jedem Fall auf europäischer Ebene abzustimmen. Uns ist vor allem auch wichtig, bereits vorhandene Infrastrukturen bestmöglich zu nutzen und deren Potenzial voll auszuschöpfen.
Thema Straßenbau: Ziehen neue Straßen Verkehr an, wie die Grünen sagen?
Leichtfried: Ich halte es für falsch, Schiene und Straße gegeneinander auszuspielen. Jeder Verkehrsträger hat seine Vor- und Nachteile und benötigt auf seine Weise eine optimale Infrastruktur. Ich will Verkehr umweltfreundlicher machen. Darum setzen wir auch einen Schwerpunkt auf die Bahn und den gesamten Öffentlichen Verkehr. Damit machen wir unser Verkehrssystem insgesamt effizienter, sicherer, sozialer und sauberer. Das drückt sich auch in den Investitionssummen aus, die im Schienenbereich doppelt so hoch sind wie im Straßenbereich. Gleichzeitig geht es mir auch darum, den Individualverkehr auf der Straße umweltfreundlicher zu machen, etwa mit Elektromobilität.
Wie sehen Sie die derzeitige Umweltgesetzgebung und die Möglichkeit für verzögernde Einsprüche von nicht-lokalen Organisationen (die ja auch Geld kosten)?
Leichtfried: Für diese Fragen ist eigentlich das Umweltministerium zuständig. Aber vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang etwas präzisieren: Parteistellung haben Umweltschutzorganisationen, Bürgerinitiativen, Nachbarn, Umweltanwälte, Standortgemeinden und unmittelbar angrenzende Gemeinden sowie wasserwirtschaftliche Planungsorgane. Es ist ihr gutes Recht, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Gleichzeitig kann das natürlich zu unangenehmen Verzögerungen für Bauprojekte führen. Grundsätzlich wird man sich hier immer in einem gewissen Spannungsfeld zwischen der angemessenen Berücksichtigung von Bürgerinteressen und der Notwendigkeit eines effizienten Infrastrukturausbaus bewegen.
Wird es eine Europäische Maut geben?
Leichtfried: In Österreich haben wir ein gutes Mautsystem, das sich klar bewährt hat. Wenn andere Länder unserem Beispiel folgen und im Sinne der Kostenwahrheit auf das Verursacherprinzip setzen, ist das gut. Eine europaweite Vereinheitlichung muss auch den Nutzerinnen und Nutzern Erleichterungen bringen. Eine Nivellierung nach unten würde ich aber keinesfalls akzeptieren. Und ich sage auch klar: Diskriminierende Regelungen lehne ich aufs Schärfste ab. Mit unserem jetzigen Mautsystem können wir unsere hochwertigen Autobahnen nachhaltig ausbauen und sichern. Daran darf sich nichts ändern.
Wie sehen Sie den Zustand der Brückeninfrastruktur in Österreich und was ist da zu erwarten, notwendig?
Leichtfried: Im Alpenland Österreich braucht es oft Kunstbauten für die Verkehrsinfrastruktur. Allein im Netz der ÖBB sind derzeit etwa 6.300 Brücken vorhanden. Viele stammen aus der Gründerzeit des Bahnbaus und nähern sich allmählich dem Ende ihrer technischen Nutzungsdauer. Wir investieren deshalb rund 600 Millionen Euro jährlich in die Erneuerung von Anlagen, um die hohe Qualität aufrechtzuerhalten. Damit Instandhaltungen und Investitionen sinnvoll und zielgerichtet durchgeführt werden, haben ÖBB und ASFINAG ein umfangreiches Netzzustandsmonitoring auf die Beine gestellt. Damit kann unter anderem der optimale Zeitpunkt für Investitionen im Sinne eines Life-Cycle-Cost-Ansatzes ermittelt werden.
Und wie den der Gebäudeinfrastruktur, so weit es Sie betrifft?
Leichtfried: Bei den Bahnhöfen haben wir schon erfolgreich eine Modernisierungsoffensive gestartet. Gute Beispiele dafür sind die Hauptbahnhöfe in Salzburg, Graz und zuletzt Wien. Österreichische Bauunternehmen haben hier mit großer Zeit- und Kostendisziplin trotz komplexer Anforderungen Großartiges geleistet. Und das Wichtigste ist: Das tolle Ergebnis wird von Fahrgästen hervorragend angenommen. Damit sind wir aber noch nicht am Ende des Weges. Bei der Barrierefreiheit werden wir den jetzt schon hohen Standard weiter verbessern. Ziel ist es, dass im Jahr 2025 neun von zehn Fahrgästen ohne Barrieren in den Zug einsteigen können. Derzeit sind wir bei rund 75 Prozent. Für barrierefreie Haltestellen sind im aktuellen Rahmenplan knapp 200 Mio. Euro vorgesehen. Mein Ministerium engagiert sich zudem im Gebäudebereich. Wir unterstützen Forschung und Entwicklung, um Häuser energieeffizienter zu machen, etwa mit Mauern, die Wärme für längere Zeit speichern können. Mit den Förderungsprogrammen „Haus der Zukunft“ und „Stadt der Zukunft“ arbeiten wir an der Energiezukunft. Wir zeigen jetzt schon, was durch neue Technologien zusätzlich möglich ist.
Welche Rolle spielt Digitalisierung in der Infrastruktur? Was sind die nächsten Schritte aus Ihrem Ministerium und was wünschen Sie sich von den Ländern und anderen Stakeholdern?
Leichtfried: Von der Digitalisierung ist die Infrastruktur natürlich nicht ausgenommen. Im Verkehr sind beispielsweise automatisiertes Fahren oder neue Mobilitätsformen wie etwa Carsharing wichtige Themen, die uns beschäftigen. Fahrzeuge und Infrastruktur spielen hier stark ineinander. Selbstfahrende Autos werden sich etwa nicht nur mit Sensoren vorantasten, sondern sie sind vernetzt - mit anderen Autos und mit der Straße. So wissen sie frühzeitig, wenn der Vordermann bremst oder ausschert, sie können Staus ausweichen und bei eisigen Stellen entsprechend vorsichtig fahren. Das gibt den entscheidenden Informationssprung, der Leben retten kann. Im Gebäudebereich setzen wir verstärkt auf Forschung und Entwicklung. Die Forschungsquote der Bauwirtschaft haben wir in den letzten Jahren mit Förderprogrammen schon deutlich angehoben. Mit einer zweiten „Brancheninitiative Bauforschung 2020“, an der auch mein Ressort beteiligt ist, wollen wir einen weiteren Schub auslösen und dabei helfen, die Forschungsquote der Bauwirtschaft weiter in Richtung Schnitt der Gesamtwirtschaft anzuheben. Und dann ist da auch noch die digitale Infrastruktur selbst. Mit der Breitbandmilliarde, die von den privaten Anbietern verdoppelt wird, rollen wir im ganzen Land schnelles Internet aus. Das ist für die Bevölkerung wichtig, und die Betriebe profitieren davon. Ein wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort Österreich ist ohne moderne Breitbandinfrastruktur undenkbar. Gleichzeitig steht quasi schon der neue Mobilfunkstandard der Zukunft – 5G – in den Startlöchern. Natürlich sind auch damit Chancen für Wirtschaft und Gesellschaft verknüpft. Deshalb werden wir noch heuer eine 5G-Strategie vorlegen. Es wird etwa viel mehr, aber dafür kleinere, vernetzte Sendeanlagen brauchen. Das bringt neue Herausforderungen mit sich: Einerseits in der wirtschaftlichen Umsetzbarkeit am Land, andererseits in den Bewilligungsverfahren für Sendeanlagen bei den Ländern und Gemeinden. Ich zähle hier auf aktive Partner in den Ländern und Gemeinden. Dass sich die Netzbetreiber auf das Know-how der österreichischen Bauwirtschaft verlassen können, da bin ich mir sicher.
Und das Zukunftsthema BIM?
Leichtfried: BIM kann als nächster logischer Schritt der Digitalisierung im Baubereich begriffen werden. Intelligente Infrastruktur ist auf jeden Fall ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Die ASFINAG und die ÖBB beschäftigen sich bereits mit BIM und im deutschsprachigen Raum findet ein Erfahrungsaustausch statt.