Spezialtiefbau : Kreativität mit gutem Grund

Die Warnung der Bauarbeiter hatten die beiden schlafenden, jungen Männer nicht gehört. Während das Historische Archiv der Stadt Köln vor dem Einsturz evakuiert werden konnte, fanden die zwei am 3. März 2009 im kollabierenden Nachbargebäude den Tod. Grund für die Warnung und den darauf folgenden Einsturz war ein plötzlicher Wassereinbruch in der 25 Meter tiefen U-Bahn-Baugrube vor dem Stadtarchiv gewesen.

Ob es sich wirklich um ein Leck in der Schlitzwand der Baugruben-Umschließung handelte, wird derzeit ebenso geprüft wie die Vermutung, dass schon zuvor nachströmendes Grundwasser einen Hohlraum unter dem Stadtarchiv ausgeschwemmt hätte. Wie kann so etwas passieren?

„Das Projekt war sicher nicht schlecht geplant“ meint Andreas Pomianek, Spezialtiefbau-Experte der Firma Hinteregger & Söhne. „Die Planung trifft immer gewisse Annahmen über den Boden, die auf Stichproben beruhen. Wenn die Annahmen falsch sind, weil beispielsweise zwischen den Bohrungen Verhältnisse herrschen, die man nicht ertastet hat, stellt man das erst beim Bau fest.“

Verhindern ließen sich Unglücksfälle wie dieser daher nicht nur bei der Planung, sondern „indem man die Augen aufmacht und seine Ausbildung auf der Baustelle anwendet“. Dazu ist es notwendig, seinen Prüf- und Berichtspflichten tatsächlich vor Ort nachzukommen und nicht nur endlose Dokumentationen auszufüllen.

Hoch und tief

In der größten Grube Wiens geht es wie bei fast allen anderen Baustellen nicht tödlich zu. Rund 47.000 m² Fläche umfasst die Baugruben-Sohle der neuen Wirtschaftsuniversität. Hinteregger hat sie soeben mit einer Schmalwand umschlossen und dort, wo mit Seitendruck zu rechnen ist, auch mit Spundwänden. Donausedimente schaffen am ehemaligen Messegelände im zweiten Bezirk lockere Verhältnisse fürs Grundwasser.

In bis zu 20 Metern Tiefe musste die Schmalwand erreichen. Ebenso hoch ragte der Mäkler des Baggers, der die dafür verwendete Stahlbohle führte, in den Himmel. „In dieser Größe gibt es gar nicht viele Geräte auf dem Markt“, weiß Pomianek. Die Herausforderung liegt vor allem am städtischen Raum: „Wenn ich ein Bauverfahren anwende, das vom Rütteln lebt, ist das in der Nähe zum Prater und zu Wohngegenden, wo man Bedacht auf Lärm und Erschütterung nehmen muss, nicht ganz einfach.“

Der weithin sichtbare Bagger ist samt Bohle weiter gezogen. Viele Anrainer werden ihm wohl nicht nachweinen.

Prähistorische Baumstämme

Im Spezialtiefbau muss mit Schätzungen vorsichtig umgegangen werden. Das zeigte sich auch im Unterinntal. Die neue Zulaufstrecke Nord zum Brenner Basistunnel kreuzt viele andere Verkehrswege. Unten durch statt oben drüber lautet hier das Motto der ÖBB-Infrastruktur AG: unter dem Inn, unter der Westbahn und unter der A 12, der Hauptschlagader des Tiroler Autoverkehrs sollen künftig die Züge rollen.

Die Unterquerung der A 12 war eine der Aufgaben für die Arbeitsgemeinschaft von Strabag, Züblin und Hochtief im Baulos Jenbach. Hier sicherte eine mittels Düsenstrahlverfahren (DSV) ausgeführte Haubeninjektion den Vortrieb der Hauptröhre. Die Betonkappe hielt. Die Tunnelbohrmaschine konnte sich nur etwa fünf Meter unter der stark befahrenen Straße durchwühlen, ohne dass der Riesenmaulwurf Veränderungen an der Oberfläche erzeugte.

Als größte Herausforderung erwiesen sich jedoch die Fluchtwege. In Abständen von etwa 500 Meter wurden bis zu 28 Meter tiefe Schächte mittels überschnittener Bohrpfähle hergestellt. In dieser beachtlichen Tiefe hatten die Spezialtiefbauer je einen DSV-Dichtblock mit etwa zehn Meter Kantenlänge eingebracht. Ausgehend vom Dichtblock an der Schachtsohle fräste eine Hydroschild-Maschine bis zu 110 Meter lange Verbindungsstollen aus dem lockeren Inntalboden - bis zum Dichtblock an der Hauptröhre.

Das Erdreich spielt einen Streich

Wegen möglicher Fehlstellen wurden die letzten Meter des Vortriebs mit Druckluft gesichert. An einem Block leisteten sich die Spezialtiefbauer sogar eine Sole-Vereisung, um einen Verbruch auszuschließen. „Da haben wir hinsichtlich Spezialtiefbau ziemlich alles ausgeschöpft, was die Palette hergibt“, meint Projektleiter Michael Knapp von der ÖBB Infrastruktur AG.

Spezialtiefbau-Ingenieure sind gewohnt, viele ihrer Gewerke nicht sehen und messen zu können. Um die in den Boden gedüsten Dimensionen richtig zu schätzen, stellten sie zunächst auf einem Probefeld DSV-Körper her, die sie ausgraben und abmessen konnten. Die Realität des Erdreichs spielte ihnen dennoch einen Streich. Einerseits erwies sich die Geologie als noch heterogener als vorhergesagt.

Andererseits stieß man immer wieder auf prähistorische Baumstämme, die sogenannte Düsschatten erzeugten, Hohlräume, dort wo feste Masse sein sollte. Kleine Löcher können große Folgen haben. In die Fehlstelle an einem der Dichtblöcke sackte Erde von oben nach.

Das Loch pflanzte sich weiter fort und erzeugte an der Oberfläche eine Geländesetzung von über zwei Meter Durchmesser. Das mag aus bergmännischer Sicht keine große Sache sein, nur trat das Loch an einer äußerst unangenehmen Stelle zu Tage: zwischen den Gleisen der Westbahn.

Glück im Unglück war, dass die Pinge bemerkt wurde, bevor ein Gleis oder gar ein Zug Schaden nahm. Hier war rasches fachmännisches Handeln gefragt. Mittels DSV und Niederdruck-Injektionen mit einer Zement-Suspension in den aufgelockerten Boden wurde die Stabilität wieder hergestellt. Zu Schaden kam niemand – wenn man von den Verlusten an Zeit und Geld absieht.

Mit Eis gegen Wasser

Im nahe liegenden Baulos H3-4 Münster-Wiesing erwies sich die Unterquerung des Inns als das geringste Problem. „Wir sind praktisch im Inn, das spielt keine Rolle, wir arbeiten die ganze Zeit im Grundwasser“, meint Projektleiter Klaus Schretter (ÖBB) trocken. Zudem führt die Hauptröhre satte zwölf Meter unter der Flusssohle durch. Auch in diesem Baulos stellte die Arbeitsgemeinschaft Porr Tunnelbau – Max Bögl Dichtblöcke her, hier mittels Schlitzwand-Lamellen. Trotz penibler Ausführung trat in einen der 30 Meter tief liegenden Blöcke Sand ein und öffnete dem Grundwasser Tür und Tor. Wegen der nahe liegenden Autobahn entschlossen sich die Spezialisten, das Erdreich so rasch wie möglich abzusichern und vereisten den lockeren Boden mit Stickstoff.

„Das Vereisungsverfahren schafft die größtmögliche Sicherheit“, erklärt Christof Haberland von der Porr Tunnelbau GmbH. Es ist zwar eine sehr teure Angelegenheit, aber wenn man in sensiblen Bereichen arbeitet, sollte man sich das leisten.“ Erfolgreich vorexerziert hatte das Haberland als Projektleiter bei der U2 Querung unter dem Donaukanal. Stolze 12.000 Kubikmeter Erdreich waren hier anno 2004 in einer Kombination aus Stickstoff- und Sole-Verfahren eingefroren worden.

„Die Erfahrung in beiden Baulosen haben gezeigt, dass es in großen Tiefen schwierig wird, die Dichtblöcke richtig einzuschätzen“, fasst Knapp die Erkenntnisse aus dem Unterinntal zusammen: „Wir wissen jetzt, dass die Planung künftig mit großen Reserven an diese Sache herangehen muss.“ Trotz der Verzögerung konnte der Tunnelvortrieb bereits 2009 abgeschlossen werden, bis Ende 2010 soll der gesamte Tunnelrohbau fertig gestellt sein. Für den Brennerbasistunnel, zu dem dies alles führen soll, baut die Strabag seit Ende 2009 einen Erkundungsstollen. Über 400 Meter tief führt er bereits in den Berg.

Hochhaus auf Pfählen

Rund um die Bahn wird auch in Wien Mitte gewerkt. Hier ist der Spezialtiefbau abgeschlossen - und glänzt durch neue Dimensionen. Auf 3200 DSV-Bohrpfählen ruht die Stahlbetonplatte, die den neuen Bahnhof tragen soll. Das ist rekordträchtig, wie Harald Krenn von Züblin erklärt: „Es ist das erste Mal, dass die Säulen, die wir im Düsenstrahlverfahren hergestellt haben, in diesem Ausmaß zur Lastabtragung von Gebäuden verwendet wurden. Da steht ja dann ein 80 Meter hohes Gebäude drauf. Das ist in Europa einzigartig.“

Einzigartig wird auch die Save-Brücke in Belgrad, die mit dem SOLID-Bautech-Preis ausgezeichnet wurde. Ohne österreichisches Spezialtiefbau-Know-how stünde hier nicht viel. Der Pylon, der 200 Meter hohe Mittelpfeiler der Brücke, musste gefinkelt gegründet werden. „Sie können sich das wie einen riesigen Topf vorstellen“, macht Walter Reckerzügl, Vorstand der Porr Technobau und Umwelt AG die Sache plastisch: „Außen herum hat er eine Schlitzwand und drinnen stehen 113 Bohrpfähle.“ Bei dieser statisch effektiven Lösung handle es sich zwar um gängige Methoden. „Die Kombination in dieser Dimension ist jedoch ungewöhnlich.“ Mit österreichischem Equipment und einer erfahrenen Mannschaft konnten die engen Zeitvorgaben eingehalten werden. Reckerzügl sieht das heimische Knowhow als Marktvorteil: „Gerade in solchen technisch anspruchsvollen Projekten gibt es für österreichische Firmen die Chance, in Süd- und Osteuropa zu reüssieren.“

Überdimensionale Dübel

Die Chancen im Süden und Osten das Geschäft aufzubauen nützt auch die Alpine. „Wir haben über Jahrzehnte Know-how gesammelt und Fachpersonal aufgebaut und können auch die schwierigsten Aufgaben meistern“ gibt sich Klaus Breit, Geschäftsführer der Alpine-Tochter Grund-, Pfahl- und Sonderbau selbstbewusst. Beweisen konnten er und sein Team dies beim Bau des neuen Museums der königlichen Sammlungen in Madrid.

Rund um die Baugrube darf es keinesfalls zu Abrutschungen oder Senkungen kommen, sonst könnte die angrenzende Almudena-Kathedrale Schaden nehmen. Diese große Herausforderung im losen Madrider Boden, dem so genannten Tosco, wurde mit verankerten Bohrpfählen gelöst. 18.000 Laufmeter vorgespannter Anker sollen die Last des Gebäudes 33 Meter tief in den Boden abtragen – „wie überdimensionale Dübel“. Die komplexen Spezialtiefbauarbeiten konnten innerhalb von nur vier Monaten erfolgreich abgeschlossen werden. Heute steht bereits der Rohbau.

Nun zu etwas ganz anderem, hieß es für Harald Krenn nach Abschluss der Spezialtiefbau-Arbeiten in Wien Mitte. In der Nähe von Senftenberg in der Lausitz geht er mit gesteuerten Bohrungen flach unter die Gelände-Oberkante. Verdichtungssprengungen im lockeren Gestein sollen Hangrutschungen in dem alten Bergbaugebiet verhindern. Hier ist eine große Freizeitanlage geplant.

Für die Absicherung der ehemaligen DDR-Halden ist der Einfallsreichtum von Spezialtiefbau-Experten dringend gefragt. „Das gesteuerte Bohren ist nicht neu, die Sprengverdichtung ist nicht neu, aber in dieser Kombination gibt es das bisher noch nicht“ erklärt Projektleiter Krenn. Und genau das macht Österreichs Spezialtiefbau zum Exportartikel.

Andreas Kremla