SOLID 04/2019 : Koralmbahn: Tunnel bauen im Wasserschlamm
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Der Ausbau der Südstrecke ist ein echtes Jahrhundertprojekt. Richtig gut sichtbar werden die Dimensionen, wenn man die Tunnelbauprojekte auf der Strecke betrachtet. Auf der Südstrecke befindet sich der bautechnisch sehr komplexe und nicht minder umstrittene Semmering-Basistunnel sowie die 130 Kilometer lange Koralmbahn, die allein zu einem Viertel aus Tunneln bestehen wird – darunter mit dem 33 Kilometer langen Koralmtunnel der sechstlängste Eisenbahntunnel der Welt.
Das besondere Baulos 60.3.
Weit weniger häufig ist von der Tunnelkette Sankt Kanzian die Rede. Diese Tunnelkette liegt auf der Kärntner Seite der Koralmbahn auf der Strecke zwischen Schreckendorf und Peratschitzen. Das betreffende Baulos 60.3. umfasst drei große Bauwerke: Den 620 m langen Tunnel Srejach, den 665 m langen Tunnel Untersammelsdorf sowie den 230 m langen Grüntunnel Peratschitzen, dazu einige Brücken und freie Streckenbereiche. Franz Bauer, Vorstand der ÖBB Infrastruktur: "Diese Tunnelkette und vor allem der Tunnel Untersammelsdorf sind nicht weniger anspruchsvoll als der Koralmtunnel – weil sie in geologisch schwierigstem Terrain errichtet werden mussten."
Andere Projektbeteiligte vor Ort betonen es noch deutlicher: Nicht der riesige Koralmtunnel, sondern der Tunnel Untersammelsdorf sei die bautechnisch größte Herausforderung der gesamten Koralmbahn. ÖBB-Sprecher Christoph Posch: "Die Koralmbahn wird klassisch bergmännisch im Gestein gebaut. Die beiden Tunnel Srejach und Untersammelsdorf wurden dagegen in Seeton errichtet. Das ist ein besonders toniges und stark wasserhaltiges Material, das vom Gletscherschliff der letzten Eiszeit übrig geblieben ist. Das heißt, man musste diese Tunnel fast schwebend in diesem weichen Boden einbauen. Das ist umso herausfordernder, weil es hier um eine Strecke für 250 kmh schnelle Züge geht."
Um die richtige Baumethode für den Seeton zu finden, begannen bereits 2010 die ersten Tests. Auf einem Versuchsfeld ließen die ÖBB unterschiedliche Typen von Bohrpfählen und Düsenstrahlsäulen testen und einen 16 Meter langen Probetunnel errichten, um zu schauen, ob eine Realisierung überhaupt möglich ist. Dann der Plan: Der Tunnel Srejach soll in Deckelbauweise auf Bohrpfahlgründung errichtet werden. Beim Tunnel Untersammelsdorf sollen tausende Bohrpfähle in die Tiefe und Düsenstrahlpfähle seitwärts für Schutz und Stabilität des Bauwerks sorgen, bevor die bergmännische Bauweise mittels Baggervortrieb starten kann. "Zur Anwendung kam hier eine neue Form der Tunnelbauweise", sagt Posch.
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Bauen im Gatsch
Den Auftrag für dieses Baulos Baulos 60.3 gewann eine Arge aus der süddeutschen Baufirma Baresel (mit großen Tunnelmeriten) und der Lavanttaler Baufirma Kostmann, die neben unterschiedlichsten Bauleistungen von Ingenieurtiefbau bis Hochbau auch Sprengarbeiten, Kiesgewinnung, Transport und Maschinenverleih anbietet.
Im Februar 2015 rollten die Bagger an. Die erste und größte Bauetappe: Die riesigen "Bodenverbesserungen", um im weichen Grund überhaupt etwas bauen zu können. Mit den kompletten Spezialtiefbauarbeiten wurde die Firma Keller Grundbau beauftragt, eine Konzerntochter des ursprünglich deutschen und heute in London ansässigen Weltmarktführers für Spezialtiefbau. In Österreich betreibt das Unternehmen sechs Standorte. Der Spezialtiefbau für die Tunnelkette St. Kanzian war für das Unternehmen der bisher größte Auftrag in Österreich. Auch das kam nicht von heute auf morgen, wie es bei Keller Grundbau heißt: "Zwei Jahre, bevor die Arbeiten begonnen haben, kamen wir zum ersten Mal mit dem Projekt in Berührung." Danach sei Keller mit der Ausführung der Probefelder beauftragt worden.
Ein spezielles Düsenstrahlverfahren
Die gründliche Vorbereitung hat sich angesichts der komplexen Spezialtiefbauarbeiten gelohnt – besonders beim Tunnel Untersammelsdorf. Fast das gesamte Erdreich, das dieses Bauwerk umgibt, besteht aus Seeton. Anders formuliert: Es war Bauen im Gatsch. Also rammte die Mannschaft von Keller Grundbau über tausend Bohrpfähle rund 40 Meter in die Tiefe, jeder davon mit einem Durchmesser von 120 cm. Dazu kamen über tausend Abdichtungssäulen sowie über 6.000 sogenannte Soilcrete-Säulen mit Bohrtiefen von rund 30 m. Bei diesem speziellen Düsenstrahlverfahren wird über einen Schneidstrahl der Boden im Bereich eines Bohrloches aufgeschnitten, umgelagert und mit Zementsuspension vermischt. Im Unterschied zu anderen Verfahren lässt sich mit dieser Technik auch Lockergestein, Mischböden und Wechsellagerungen oder eben auch Ton abdichten.
Auch beim Tunnel Srejach löste Keller Grundbau die Schwierigkeit des weichen und stark wasserhaltigen Bodens mit Hilfe von knapp tausend Bohrpfählen sowie mit ebenso vielen Abdichtungssäulen zwischen den Bohrpfählen. Außerdem baute die Mannschaft als Aussteifungssohle knapp 6.000 Soilcrete-Säulen.
Tausende Bohrpfähle
"Insgesamt wurden ca. 55.000 m Bohrpfähle und 75.000 m Soilcrete-Säulen für die Tunnel Srejach und Untersammelsdorf hergestellt", heißt es bei Keller Grundbau rückblickend. Als drei Jahre nach Beginn der Arbeiten die letzte Soilcrete-Säule fertig war, nutzte das Unternehmen das Ereignis für eine Feier an Ort und Stelle, am Vorplatz der Örtlichen Bauaufsicht – zusammen mit seiner eigenen Mannschaft, den Auftraggebern, dem Bauherrn und weiteren Partnern.
Für Baresel und Kostmann gehen die Arbeiten unterdessen weiter. Im Rohbau sind die Tunnel der Tunnelkette St. Kanzian fertig. Gerade passiert der Innenausbau – und dann folgt der Gleisbau. Im Jahr 2024 soll dieser bautechnisch besonders anspruchsvolle Abschnitt der Koralmbahn ganz fertig sein.
Baulos 60.3 Tunnelkette St. Kanzian
Auftraggeber: ÖBB Infrastruktur AG
Kosten: 140 Millionen Euro
Bauzeit: Febuar 2015 - laufend
Baufirmen: Arge aus Baresel GmbH (Ulm), Kostmann GmbH (St. Andrä im Lavanttal), Spezialtiefbau: Keller Grundbau (Wien u.a.)
Geotechnische Messungen: VSP Stolitzka & Partner ZV GmbH (Wien). Örtliche technische und kaufmännische Bauaufsicht: IGT Geotechnik und Tunnelbau ZT GmbH (Salzburg)
Bautechnische Besonderheiten:
Grüntunnel Peratschitzen: Länge 230 m in offener Bauweise
Tunnel Srejach: Länge 620 m in Deckelbauweise auf Bohrpfahlgründung inklusive DS-Zwickelabdichtung und DS-Sohlaussteifung
Tunnel Untersammelsdorf: Länge 665 m in bergmännischer Bauweise, Vortrieb zwischen Bohrpfählen mit 120 cm Nennweite, DS-Zwickelabdichtung und im Schutz eines DS-Firstgewölbes und von DS-Ortsbrustsäulen
Eisenbahnbrücken: Länge 46 m als Dreifeldträger; Länge 32 m, unten offenes Stahlbetonrahmentragwerk
Stützmauer: Länge 146 m, mit Freispielankern verankerte Bohrpfahlwand mit Nennweite 120 cm inklusive dahinter liegenden Kiespfählen