Plusenergie-Dachgeschoss-Ausbau : Kleines Pionierprojekt geht an die Spitze

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© Schöberl & Pöll GmbH

Von Peter Martens, SOLID 03 / 2012

Es gibt Bauprojekte, die sind so groß, dass sie in der ganzen Stadt nicht zu übersehen sind. Andere wiederum sind praktisch unsichtbar. Doch manche dieser kleineren Bauprojekte können eine Signalwirkung entfalten, die so manches neue Hochhaus überstrahlt. Ein solches entsteht gerade in der Ybbsstraße im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Seit Frühjahr 2011 wird hier das Dachgeschoss ausgebaut, im Herbst 2012 sollen die Arbeiten fertig sein.

Der Bauphysiker Helmut Schöberl vom Wiener Büro Schöberl & Pöll ist maßgeblich in das Projekt involviert, er lieferte das architektonische und das Energiekonzept sowie alle Aspekte zur Bauphysik. Schöberls Büro war bisher am Bau von rund 2500 Passivhaus-Wohneinheiten beteiligt. Das Projekt in der Ybbsstraße ist trotzdem auch für ihn etwas Besonderes.

„Erstens ist es der erste Plusenergie-Dachgeschossausbau weltweit. Zweitens, und das ist erstaunlich, ist es auch das erste Plusenergie-Gebäude in Wien. Weil geplant ist, drei der fünf Wohnungen als Kurzzeitappartements zu vermieten, wird es auch weltweit das erste Plusenergiehaus sein, in dem man zur Probe wohnen kann.“ Dass das Projekt Leuchtturm- Charakter hat, beweist die Auszeichnung als „klima:aktiv Gebäude“: Der Ausbau bekam bei einer Prüfung 970 von 1000 möglichen Punkten und damit die Kategorie „klima:aktiv haus gold“. Auch wurde es in die Programmlinie „Haus der Zukunft“ des Verkehrsministeriums aufgenommen. Bauvorhaben als MultiplikatorDoch eigentlich geht es nicht um Auszeichnungen, sondern um etwas anderes. Eine begleitende Studie von „Haus der Zukunft“ zählt die wichtigsten Ziele auf: Zu zeigen, dass das Konzept des Passivhauses und eines Plusenergiegebäudes auch auf Dachgeschosse von Gründerzeithäusern anwendbar ist. Zum anderen soll die Vermietung auf kurze Zeit die Bekanntheit für jedermann steigern, weil unter Laien nach wie vor sehr viele Fragen zu dieser Technologie offen sind. Zwar gibt es inzwischen in Großschönau die Möglichkeit, in einem Passivhaus zur Probe zu wohnen, aber eben nicht in einem Plusenergie-Haus. Schließlich, und das ist das Entscheidende für die Baubranche, wurde die Konstruktion bewußt einfach gehalten, die einzelnen Schritte und Messungen umfassend dokumentiert und die Kosten ausgewiesen – mit dem Ziel, andere Baubetriebe und Bauherren zu ähnlichen Projekten anzuregen.

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Ein typisches Gründerzeithaus also, gebaut um 1900, mit einem Pfettendachstuhl. Der Plan: Anstelle des maroden Dachs, das im Sommer Regen durchlässt und im Winter Wärme verpulvert, einen Straßentrakt und einen Hoftrakt mit fünf Wohnungen und einer Gesamtnutzfläche von 326 m2 zu errichten. Sie werden sich über zwei Energieerzeuger und dank einer hoch effizienten Bauweise selbst versorgen – und zusätzlich Energie produzieren, die ins öffentliche Netz eingespeist wird.

Die zentralen Bestandteile der Haustechnik: Eine Solaranlage mit 16 m2 Solarthermiekollektoren, gekoppelt an einen Pufferspeicher von 1000 Litern, die zusammen mit einer Luft-Wasser-Pumpe über die Bauteilaktivierung heizen und kühlen. Dazu, wie in PH üblich, eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung. Und eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 13 kWp, um die Plusenergie-Standards zu erreichen. In Zeiten, in denen der Bedarf nicht ganz gedeckt werden kann, beziehen die Wohnungen ganz klassisch Energie aus dem öffentlichen Netz.Diesen scheinbaren Widerspruch erklärt Schöberl so: „Bei den Plusenergie-Standards ist nach international geltender Definition entscheidend, wie die Bilanz bei der Primärenergie über das ganze Jahr gesehen aussieht, und bei diesem Objekt fällt sie positiv aus.“ Außerdem sollte nach diesen Richtlinien der Strom am Standort erzeugt werden, man kann sich also nicht an einer Windkraftanlage im Burgenland beteiligen, sondern muss ihn vor Ort produzieren. Den Großteil der Energie werden die Wohnungen selbst verbrauchen: Der Nachweis über das Passivhaus Projektierungs Paket (PHPP) ergab für den Straßentrakt einen Primärenergiebedarf von 55 Kilowattstunden pro Quadratmeter Energiebezugsfläche und Jahr (kWh/m2 EBF.a). Davon werden 46 kWh/m2 EBF.a verbraucht und 9 kWh/m2 EBF.a ins Netz eingespeist. Im Hoftrakt werden von insgesamt 72 kWh/m2 EBF.a rund 55 kWh/m2 EBF.a verbraucht, 17 kWh/m2 EBF.a bilden das „Plus“.Skeptische StimmenGenau bei diesem Punkt kommt es immer wieder zur Kritik. Die Argumente der Skeptiker: Wenn im Sommer der Energiebedarf niedriger ist, wird Strom aus PV-Anlagen ins öffentliche Netz eingespeist. Wenn im Winter alle mehr Strom brauchen, hängen auch die Betreiber von PV-Anlagen am Netz. Dem halten Befürworter entgegen, dass Passivhäuser und Plusenergiehäuser trotzdem ungleich bessere Werte haben – und Plusenergiehäuser unterm Strich tatsächlich „im Plus“ sind. Schöberl verweist in dem Zusammenhang auf die große Mehrheit aller Gebäude: „Entscheidend ist, dass wir die Gebäude optimieren und den Verbrauch minimieren. Und da liegt noch sounglaublich viel auf der Strecke.“ Wie hoch die Zusatzkosten sind Natürlich sind bei ambitionierten Bauvorhaben auch die Zusatzkosten nicht unwichtig. Die Baukosten bei konventionellen Dachgeschoßausbauten liegen laut der Studie von „Haus der Zukunft“ zwischen 2000 und 2500 Euro/m2 EBF. Im Projekt in der Ybbsstraße fallen demnach für Heizung, Klima, Lüftung und Sanitär Mehrkosten von 212,78 Euro/ m2 EBF an. Das entspricht 9,5 Prozent mehr als die angenommenen üblichen Baukosten. Die Photovoltaikanlage, die für den Plus-Energie-Standard nötig ist, schlägt mit rund 100 Euro/m2 EBF zu Buche (Preisstand 2011). Dies entspricht einem zusätzlichen Investitionsaufwand von 4,5 Prozent der angenommenen Baukosten.

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Bei so vielen Daten zur Energie könnte man meinen, dass der Bau selbst eher unwichtig ist – das Gegenteil ist der Fall, denn die in der Ybbsstraße verbauten Lösungen bieten einige interessante Details. Zunächst wurde der alte Dachstuhl abgetragen und durch eine neue Konstruktion ersetzt, die neue Grundrisse erlaubt. In den Stahlrahmen kam eine Sekundärkonstruktion aus Holz, dazu Feuermauern in Massivbauweise. Hier droht bei konventionellen Ausbauten Überhitzung.Einige Schwierigkeiten gibt es immer wieder

Das Dachgeschoss in der Ybbsstraße verfügt deswegen erstens über eine doppelschalige Holzkonstruktion, um die erforderliche Dämmstärke zu erreichen. Das Flach- und das Schrägdach wurden mit über 40 cm Mineralwolle zwischen der Holzkonstruktion gedämmt. Die Außenwände sind mit 45 cm Mineralwolle und weiteren 8 cm EPS-F gedämmt. Das Ergebnis ist ein U-Wert zwischen 0,07 und 0,09 W/m2K – und eine spürbare Isolierung gegen Hitze auch in der heißen Zeit. Minimierte Fensterrahmen und viel Speichermasse Zusätzlich wurden in die Fenster besonders wärmeundurchlässige Fenstergläser eingebaut. Gleichzeitig wurde hier ein weiteres typisches Problem vermieden: der Wärmeverlust über die Fensterrahmen bei Passivhäusern. In den Wohnungen in der Ybbsstraße wurden in den Fenstern und Terrassentüren extrem minimierte Fensterrahmen eingebaut, die in geschlossenem Zustand komplett von der Dämmung überdeckt sind. Eine weitere wesentliche Maßnahme für das Raumklima ist die große Speichermasse. „Üblicherweise werden Massivbauteile mit einer Vorsatzschale aus Gips verkleidet, der aber nicht viel Speichermasse hat“, erklärt Schöberl. Deswegen wurden die Vorsatzschalen weggelassen, damit die Mauern in den Sommernächten die Kühle aufnehmen und speichern können. Das ständige Thema Luftdichtheit Das zweite typische Problem bei Dachgeschossausbauten sind Bauschäden wegen Mängeln bei der Luftdichtheit. Das ist ein Thema in den OIB-Richtlinien und in den erst Ende 2011 veränderten Richtlinien des Österreichischen Verbands für Elektrotechnik (ÖVE). Doch wie Bausachverständige berichten, geht es in der Praxis trotzdem oft genug schief. Die Lösung in der Ybbsstraße sieht so aus: Auf die gedämmte Holzwand wird eine luftdichte Folie getackert, wobei jede Eisenklammer und jeder Schlauch durch die Folie luftdicht abgeschlossen werden. Ein eher seltenes Produkt: Bytylkautschuk Dort, wo es Schrauben gebraucht hat, kam ein eher wenig verbreitetes Produkt zum Einsatz: Ein klebriges Bytylkautschukband, das unter jede Schraube geklebt wird und das Loch beim Einschrauben ebenfalls luftdicht abschließt. Die Schrauben fixieren auf der Folie eine Unterkonstruktion aus Aluprofilen. In dieser zweiten Ebene vor der Folie können die meisten Elektroleitungen verlegt werden, ohne dass man damit die Folie durchbohren muss. Zu den Kabeln zwischen den Aluprofilen kommt die restliche Dämmung und darauf schließlich eine Vorsatzschale aus Gips.

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Zum Abschluss könnte man den Blick von den vielen technischen Details abwenden und über den Horizont schweifen lassen, der von Dächern aus ja besser zu sehen ist als anderswo. Dann würde einem vielleicht einfallen, wie riesig der permanente Flächenverbrauch in Österreich ist. Jedes Jahr werden laut Daten des Landwirtschaftsministeriums weitere 50 km2 freie Flächen für Gebäude und Straßen verbraucht. Das sind Jahr für Jahr sechs weitere Quadratmeter pro Einwohner – einer der höchsten Werte Europas. Gleichzeitig nimmt auch der Bestand an brachliegenden Gewerbe- und Industrieflächen jedes Jahr zu. Diese neu hinzukommenden Brachflächen entsprechen bereits einem Drittel des jährlichen Flächenbedarfs. Sechs neue Quadratmeter pro Einwohner, Jahr für Jahr Und genau hier kommen wieder die Dachgeschosse ins Spiel: Allein in Wien, hört man in Gesprächen mit Wiener Bauträgern und Architekten immer wieder, hätte in den ungenutzten Dachgeschossen der Gründerzeithäuser eine ganze Stadt wie Graz genug Platz zum Wohnen.

Das Projekt in der Ybbsstraße ist besonders aufwändig umgesetzt, und es möchte beim Bau und in Energiefragen andere zum Nachahmen anregen. Doch ganz nebenbei weist es auch bei einem weiteren Thema in die Zukunft: Dem des Städtebaus insgesamt, der verdichten muss, statt zu zersiedeln. ///

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Daten & Fakten zum Projekt Bauherren: privatArchitekten, Bauphysik: Schöberl & Pöll GmbH, WienFläche: Fünf Wohnungen, Gesamtnutzfläche 326 m2Bauzeit: Frühjahr 2011 bis Herbst 2012Baukosten: 600.000 bis 900.000 EuroMehrkosten für Plusenergie-Standard: 14 Prozent im Vergleich zuherkömmlichem DachausbauBaufirmenFassade: fertiggestellt von Hofer GmbH (Seeboden, Ktn)Dachbau und Spenglerei: Zeiler (Bad Aussee, Stmk)Fenster und Einbau: Stefan GmbH & Co KG (Stronsdorf, NÖ)Innenausbau / Trockenbau: Tesi Innenraum GmbH (Wien)Haustechnik: Ing. Fritz Manschein GmbH (Gaweinstal, NÖ)Lüftungstechnik: leit-wolf Luftkomfort e.U. (Muckendorf, NÖ)Elektrik: Andreas Kleedorfer GmbH (Wien)ProdukteDachziegel: BramacDachfenster: VeluxFensterglas: Petschenig glastec GmbH (Leopoldsdorf, NÖ)Dämmung: IsoverBytylband: ampacoll, Ampac

(Zuerst erschienen in Solid 03 / 2012)