Stadtentwicklung : Kann Wien überhaupt zwei Millionen unterbringen?

Wien kratzt an der 2-Millionen-Marke. Mittlerweile wird von einer Einwohnerzahl von 1,9 Millionen ausgegangen, da mit Jahresende 2018 nur 120 Personen darauf fehlten und die Stadt derzeit eher für ihr Wachsen denn Schrumpfen bekannt ist. Die Prognosen der Statistik Wien gehen von zwei Millionen im Jahr 2027 aus – das wären dann wieder so viele Einwohner wie vor 100 Jahren. Doch auch, wenn man sich über solch runde Zahlen freuen mag, ist schnell klar, dass die derzeit herrschenden Wohnprobleme mit einem Bevölkerungswachstum wohl nicht leichter werden.

Konkret wird von einem Bedarf an 15.000 neuen Wohnungen pro Jahr in Wien ausgegangen. Tatsächlich gebaut werden aber nur 10.000. Woher kommt dieser hohe Bedarf und wieso wird er derzeit einfach nicht gesättigt?

Nach Wien ziehen? Keine gute Idee.

Die Bundeshauptstadt hat den mit Abstand höchsten Bevölkerungszuwachs Österreichs. In den vergangenen zehn Jahren sind im Schnitt 19.000 Menschen pro Jahr zugezogen. Zwar stimmt es, dass das Wachstum in den Jahren 2015 bis 2017 aufgrund des Flüchtlingszuzugs besonders stark war (2015 zogen fast 43.000 Menschen nach Wien), doch dieses Phänomen nahm sukzessive ab und 2018 lag der Zuzug sogar bei nur 11.000 Menschen – und zwar vorwiegend aus Serbien, Deutschland und Rumänien, nicht Syrien oder Afghanistan. 2018 hatten außerdem 70 Prozent der in Wien lebenden Menschen – also auch jener, die neu zugezogen waren – einen österreichischen Pass. Der Zuzug vom Land, jungen Menschen, die ihre Ausbildung beendet haben und nun in Wien arbeiten wollen, ebenso wie von wichtigen Arbeitskräften aus dem Ausland lässt die Stadt weiter wachsen.

Diesen Menschen oder wachsenden Familien in Wien zu sagen, dass es derzeit keine gute Idee ist, den Wohnrahmen der Stadt noch mehr auszureizen, hat natürlich keinen Sinn. Also muss Wohnraum zur Verfügung gestellt werden. Das wird auch fleißig versucht, aber Defizite von 5.000 Wohnungen pro Jahr läppern sich schnell.

„Erstmals innerhalb des Gürtels“

Daher löste am 1. Jänner 2019 der „Geförderte Wohnbau“ die bisherige Kategorie „Förderbarer Wohnbau“ ab. Was auf den ersten Blick wie Volksfront von Judäa und Judäische Volksfront klingt, ist im Detail möglicherweise sehr wirkungsvoll: Bei jeder Neuwidmung ab einer Wohnnutzfläche von 5.000 Quadratmetern, also 50 Wohnungen oder mehr, müssen zwei Drittel leistbarer Wohnraum geschaffen werden. Der Zusatz-Clou: Das betrifft auch Aufstockungen oder Zubauten. Damit das finanziell überhaupt machbar ist, dürfen neu gewidmete Grundstücke nur mehr 188 Euro pro Quadratmeter kosten, wo sie sonst gerne einmal 800 Euro kosten würden.

Das klingt schon einmal nicht schlecht. Christoph Chorherr, Wohn- und Stadtplanungssprecher der Wiener Grünen, lobt daran kürzlich im Nachrichtenmagazin profil: „Dank dieser Regelung wird es erstmals innerhalb des Gürtels einen geförderten Wohnbau geben.“ Doch es gibt durchaus auch Kritik – denn gefördert heißt noch lange nicht für alle leistbar oder leicht zu bekommen.

„Das unterste Einkommenssegment hat nur schwer Zugang zum geförderten Wohnbau. Das liegt an den Mietpreisen und den hohen Eigenmietanteilen am Anfang des Wohnbezugs“, sagt Stadtsoziologin Mara Verlic. Sie sieht daher einen dringlichen Bedarf an mehr sogenannten Smart-Wohnungen. Das sind kleine, doch gut durchdachte Wohnungen, die gleichzeitig komfortable und leistbar sein sollen. Das klingt nach einem guten Plan, denn speziell für Einpersonenhaushalte ist der Wiener Markt derzeit nicht der beste.

Es gibt nach dem letzten Stand etwa 1.429.000 Single-Haushalte in Wien – fast eine Verdoppelung in den vergangenen 30 Jahren. Die Einpersonenhaushalte machen sogar 45 Prozent der Privathaushalte aus. Laut Statistik Austria werden bis 2030 jährlich 3.000 Singlehaushalte dazukommen. Die Stadt muss sich also nicht einfach nur auf eine bestimmte Anzahl an Menschen ausrichten – sondern auch auf eine hohe Anzahl an Menschen mit Wohnbedürfnissen, die nicht mehr dem Familienkonzept von vor 30 Jahren entsprechen. Scheidungen nehmen zu, es gibt immer mehr Alleinerziehende, junge Menschen ziehen früher von daheim aus um ihren eigenen Haushalt zu gründen – wohin mit ihnen allen?

„Für die Einkommensschwachen gibt es zu wenig Angebot“

In Wien gilt für Wohnungen eine Mindestgröße von 30 Quadratmetern. Wäre all der bestehende Wohnraum der Stadt in 30-Quadratmeter-Einheiten aufgeteilt, wäre auch genug Platz für alle da. Doch die Realität sieht anders aus. Der durchschnittliche Single-Haushalt lebt auf 61,2 Quadratmetern, während aber im Gesamtbild der Wiener auf durchschnittlich 37 Quadratmetern lebt. Beides liegt deutlich über der offiziellen Zumutbarkeitsgrenze, doch mit Blick auf die Alleinwohnenden wird klar: kleine, feine Wohnungen sind schwer zu finden.

Was an Bevölkerungszuwachs und entsprechenden Herausforderungen für die gesamte Stadt gilt, gilt anteilsmäßig auch für den am stärksten wachsenden Bezirk – die Donaustadt. Der 22. Wächst pro Jahr um etwa 5.000 Einwohner – Trend anhaltend. „Das ist sehr viel. Und dafür wird natürlich auch gebaut“, heißt es aus der Bezirksvorstehung, die ganz hinter dem geförderten Wohnbau steht. Bis 2022 entsteht derzeit in der Berresgasse in der Donaustadt ein neues Viertel mit 3.000 Wohnungen. Auch hier werden 1.700 klassisch gefördert sein. Hinzu kommen immerhin 870 Smart-Wohnungen. Dass es eine Kostenfrage ist, ob ein gesamter Neubau aus diesen dringend benötigten Kleinwohnungen gebaut werden kann, ist klar – trotzdem stellt sich die Frage, ob das Vorhaben des Wiener Wohnbauprogramms, in den nächsten Jahren 3.000 Smart-Wohnungen fertigzustellen, nicht einfach nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. „Wien benötigt in erster Linie Wohnraum für die einkommensschwächste Gruppe in der Bevölkerung – hier gibt es eindeutig zu wenig Angebot“, meint Hans Jörg Ulreich, Bauträgersprecher der WKO. „Nachverdichtung in der Stadt, auf Gemeindebau- und Genossenschaftsbestand, könnte billigen Wohnraum schaffen, ohne Geld in neue Flächen investieren zu müssen.“ Derzeit sei die innerstädtische Nachverdichtung noch allzu unbeliebt – aber die einzig sinnvolle Lösung für die Zukunft, findet der Experte.

https://youtu.be/NZ9ldN7L2xo

Einer 2018 von der Arbeiterkammer in Auftrag gegeneben Studie durch das Beratungsunternehmen Wohnbau-Consult zufolge wären 2.000 Wohnungen jährlich möglich – allein durch Erweiterung des Bestandes. Ist diese Methode wirklich günstiger, müssen die Kosten auch nicht beim Mieter wieder hereingeholt werden – zumal Druck vom Wohnmarkt genommen würde und damit allgemein Mieten wieder sinken könnten. Es wäre eine Win-win-Situation, würden sich die Mietpreise wieder der Lohnentwicklung und allgemeinen Teuerung nähern und nicht weit darüber hinausschießen – denn je mehr Menschen sich Privatwohnungen aus dem aktuellen Bestand leisten können, desto niedriger der Druck auf den Neubau.

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