SOLID 09 / 2014 : Kampfmittelbergung: Gefahr aus der Tiefe
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Erst Mitte August gab es wieder einmal gröberen Alarm: Eine Fliegerbombe legte die Wiener U-Bahn- Linie U1 ein paar Stunden lahm. Kurz vor Mittag wurde das Kriegsrelikt bei Grabungsarbeiten auf einer Baustelle in der Holzmanngasse entdeckt, das Gebiet samt U-Station Aderklaaer Straße und zwei Firmengebäuden großräumig abgesperrt und die Mitarbeiter der dort angesiedelten Unternehmen mussten ihre Arbeitsplätze verlassen. Und nicht nur die U-Bahn, sogar der Schienenersatzverkehr hatte eine Zeit lang Zwangspause. Solche Aufregungen könnte man sich ersparen, wenn man die Baugründe im Vorfeld auf versteckte Bomben und andere Sprengkörper untersucht. Pflicht ist das in Österreich allerdings nicht. Es gibt lediglich Empfehlungen seitens einiger Gemeinden und Städte. Auch die Norm ONR 24406-1 befasst sich mit der Untergrundbeurteilung hinsichtlich Kampfmittel, der Gefährdungsabschätzung sowie geeigneter Maßnahmen zur Erkundung.
Arbeiten wecken unberechenbare Bomben aus dem Tiefschlaf Das Thema ist hierzulande überraschend jung, erst seit 1999 befasst man sich mit den ungewünschten Schätzen im Boden. Die Initiative dazu ging hauptsächlich von den ÖBB aus. Das macht sich auch bezahlt, wie man beim Bau des Hauptbahnhofes in Wien sieht. Das Team der Firma Schollenberger aus Wiener Neustadt fand hier gleich neun Fliegerbomben, fünf Tonnen Munition und einen kompletten Panzer. Dieser steht jetzt im Heeresgeschichtlichen Museum in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofes.Gefährliche Kleinmunition
Schollenberger gibt es in Österreich seit 2008, die Zentrale ist in Deutschland. Ihr Standort ist mit Wiener Neustadt mehr als passend gewählt, denn die Stadt im südlichen Niederösterreich zählt zu den am meisten bombardierten während des Zweiten Weltkrieges. An die 55.000 Bomben wurden aus der Luft abgeworfen. Wer hier baut, tut wirklich gut daran, vorher routinemäßig eine Bodenuntersuchung auf Kampfmittel zu machen.Bomben sind normalerweise relativ sicher, entweder sie detonieren oder nicht. Nur bei Langzeitzündern sieht das anders aus. Diese Zeitzünder sind darauf ausgelegt, erst Stunden nach dem Abwurf zu explodieren. Liegen sie Jahrzehnte im Boden, kennt man ihre Beschaffenheit nicht. Meistens liegen Bomben tief unter der Oberfläche (zwischen sechs und neun Meter). Nur selten kommt es zu Eigendetonationen, wie 2012 in der Donau in Wien oder 2006 in einer Gärtnerei im 23. Wiener Bezirk. Normalerweise sind es Bodenarbeiten, die sie aus ihrem Tiefschlaf wecken. In Deutschland starb Anfang des Jahres ein Baggerfahrer, als er mit dem Greifarm der Baumaschine eine Fliegerbombe auslöste. Auch Rüttelstabverdichtungen können das Erdreich so in Schwingung versetzen, dass die Bombe hochgeht.
Dabei sind es nicht die großen Fliegerbomben, die gefährlich sind, sagen die Experten. Es ist vielmehr Kleinzeug wie Kleinmunition von Gewehren oder Handgranaten. Wenn diese Sachen über 60 Jahre im Boden liegen, weiß man nicht, in welchem Zustand sie sind. Findet man sie, heißt es: Finger weg! Diese Relikte kann jeder, der im ehemals dicht umkämpften Gebiet wohnt, beim Umgraben freilegen. Ganz gefährlich sind Kanonenmunition, Panzerabwehr oder Fliegerabwehrmunition. Die Größe der Kriegsrelikte sagt nichts über ihre Gefährlichkeit aus.Bauherren in der PflichtDoch was bedeutet dieses Wissen nun für den Bauherrn? „Im Zweifelsfall rate ich, eine Untersuchung machen zu lassen. Das Risiko trägt letztendlich der Bauherr“, informiert Harald Pichler, Prokurist der Firma Schollenberger. Es geht ja nicht nur um Arbeitnehmerschutz während der Bauarbeiten, sondern auch um Gefährdungen für die zukünftigen Nutzer. Es empfiehlt sich, gleich das gesamte Areal und nicht nur den zu bebauenden Teil untersuchen zu lassen. So ist man auch im Nachhinein auf der sicheren Seite, wenn man später z. B. einen Spielplatz anlegen möchte.Diese Vorerhebung, die auch in der Norm empfohlen wird, verursacht relativ geringe Kosten und wenig Zeitaufwand für die Auftraggeber. Dabei wird auf historisches Material zurückgegriffen. Das können Luftbilder, Fachbücher, Archivmaterial oder auch Gespräche mit Zeitzeugen sein.Ergibt die Voruntersuchung Verdachtsflächen, werden diese genauer unter die Lupe genommen. Dabei kommen unterschiedliche Untersuchungsmethoden wie die konventionelle (mittels Eisensonde) oder die computergestützte Sondierung zum Einsatz. Bei der konventionellen wird die Abweichung der metallischen Körper vom Erdmagnetfeld aufgezeigt. Man weiß sogar, wie tief die Fundstücke liegen. Allerdings weiß man nicht, ob es sich um Kampfmittel handelt. Oft werden auch nur Hufeisen oder bäuerliches Kleinzeug freigelegt. Das Graben fällt noch in die Hände der privaten Bergungsspezialisten. Das Entschärfen oder Sprengen sowie das Abtransportieren und Entsorgen obliegt dem Entminungsdienst.Bei der computergestützten Sondierung wird das Baufeld mit einem Spezialhandwagen vermessen. Die Verdachtsflächen erhalten dann unterschiedliche Farbcodes zugewiesen, bei Rot muss unbedingt gegraben werden.Die teuerste Methode ist die Tiefensondierung, dafür kann man hier in Tiefen bis zu 15 Meter vordringen. Die Baugeräte für diese Untersuchungen werden von Schollenberger bei der Firma Thyssen gemietet.Schräges Graben ist angesagtViele Bauherren schrecken vor den Kosten und der Zeit zurück. Dabei ist es laut Pichler sinnvoll, die Untersuchungen noch vor Baubeginn zu machen: „Eine Zeitverzögerung wird es immer geben, doch hat man selbst Einfluss darauf, sie gering zu halten. Meistens werden wir gerufen, wenn der Bau schon begonnen hat.“ Dadurch wird es für die Kampfmittelberger als auch die Bauarbeiter schwierig.Um sich keiner unnötigen Gefahr auszusetzen, wird immer schräg und nie von oben zum Fundstück geschaufelt. Handelt es sich dabei tatsächlich um ein explosives Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg (manchmal sogar aus dem Ersten!), müssen unverzüglich Polizei und Entminungsdienst gerufen werden. Das Bergen der Bomben und Kleinmunitionen dauert dann nicht allzu lange, außer es handelt sich um Langzeitzünder, bei denen man nicht weiß, wie sie sich verhalten.Auch die finanzielle Seite der Kampfmittelsuche ist für den Auftraggeber überschaubar. Sie beläuft sich auf ein bis zwei Prozent der Baukosten.„Alles richtig gemacht!“Nicht nur die Graz Holding (wo es 2011 einen großen Bombenfund mit kontrollierter Detonation gab), auch andere Firmen haben sich in den vergangenen 15 Jahren mit dem Thema Kampfmittel auf Baugründen auseinandergesetzt. Großen Baufirmen ist die Gefahr durchaus bewusst. Viele von ihnen beginnen mit den Bauarbeiten erst, wenn ihnen ihr Bauherr eine Kampfmittelfreigabe vorlegen kann. Manchmal besteht für Kampfmitteluntersuchungen zwar eher keine Notwendigkeit, wenn sich der Baugrund in vermutlich gefahrenfreiem Gebiet befindet, einige Grundbesitzer wollen aber dennoch auf Nummer sichergehen. „Der Zugang zur Thematik hat sich geändert, worüber ich sehr froh bin. Das Auffinden von Kampfmitteln vor Baubeginn wird auch in Österreich immer mehr zum Standard“, weiß Harald Pichler.In Deutschland sucht man etwa schon seit Kriegsende nach diesen Relikten. In manchen Städten, wie etwa Hamburg, darf man laut Pichler „nicht einmal einen Briefkasten ohne vorherige Kampfmittelsuche aufstellen“.Die Firma Schollenberger hat in Deutschland 400 Mitarbeiter, in Österreich sind es 22. Einige davon kommen ebenfalls aus Deutschland, da es hierzulande schwer ist, fachkundiges Personal zu finden. Meistens wird den Österreichern von der Firma die teure Ausbildung in der Sprengschule in Dresden bezahlt.Wenn eine Bombe oder anderes explosives Material gefunden wird, ist das nicht nur ein Erfolg für die Kampfmittelberger, sondern auch für den Bauherrn. „Ja, ich freue mich für meinen Auftraggeber, weil er dadurch weiß, er hat alles richtig gemacht“, so Harald Pichler. ////(SOLID 09 / 2014)________________DIESE SPEZIALFIRMENGIBT ES:Schollenberger Kampfmittelbergung GmbHHarald Pichler2700 Wiener NeustadtTel.: 02622 200 16 11www.schollenberger.atUXBconsult GmbH4663 LaakirchenTel.: 07613 442 10-0www.uxbconsult.atGRV LUTHE KampfmittelbeseitigungGmbH5020 SalzburgTel.: 0664 505 6855www.grv-luthe-austria.comIBMS Munitionsbergung4550 KremsmünsterTel.: 0664 531 9793Kaim9500 VillachTel.: 04242 350 69www.kaim.atMMConsulting e. U.3422 GreifensteinTel.: 0664 437 7775www.mmc.co.atEOD Munitionsbergung GmbHStefan Plainer4663 LaakirchenTel.: 0664 885 11 731www.munitionsbergung.at___________________WEITERE LINKS:Ausbildung in Österreich:www.sprengschule.atEntminungsdienst:www.bmlv.gv.at/organisation/gattung/entminungsdienst.shtml____________________(SOLID 09 / 2014)