SOLID: Der Hauptbahnhof ist fertig - was machen Sie jetzt weiter? Judith Engel: Der Hauptbahnhof ist noch nicht fertig. Wir haben im Dezember 2015 die Vollinbetriebnahme, ich bin also noch voll und ganz mit dem Hauptbahnhof beschäftigt.Und danach gibt es noch ein bis zwei Jahre Projekte hier in der Umgebung, mit denen ich beschäftigt sein werde. Das Projekt Hauptbahnhof hat ziemlich genau zehn Jahre gedauert und Sie sind mit 37 noch immer nicht sehr alt. Wie wird man mit 27 und als Frau Projektleiterin für so ein Riesending? Ich war relativ jung, als ich mit dem Studium fertig geworden bin. (damals noch wenige Fraun, jetzt zwischen 20 und 25 % Frauenanteil beim Bauingenieurwesen) Nach dem Studium habe ich gleich im Eisenbahnwesen zu arbeiten begonnen und bin gerade zu Projektbeginn des Hauptbahnhofs im richtigen Moment zur ÖBB gekommen. Das war ein irrsinniges Glück, da von der Geburtsstunde an dabei zu sein, das ist schon ein immenser Vorteil. Das war noch vor der Machbarkeitsstudie, im Stadium der Idee - und ich war damals die erste Mitarbeiterin. Wenn Sie diesen Job mit 27 bekommen haben, muss Sie etwas besonders auszeichnen. Was war das schon damals? Ich hatte nach dem Studium ja eine berufliche Laufbahn, die fast ausschließlich im Bereich der Eisenbahnplanung verlaufen ist. Und es hat damals sehr schnell gehen müssen. Das Projekt musste ja von Null auf Hundert gestartet werden. Ich hatte Planungserfahrung, ich war mehr oder weniger zufällig da - und am Anfang ist das alles noch überschaubar. Und offensichtlich hab ich's nicht ganz verkehrt gemacht - und so bin ich dann geblieben. Haben Sie als Kind gern Eisenbahn gespielt? Nein - um Gottes Willen! - Ich bin aber natürlich ein bisschen erblich geprägt, weil mein Vater (Edwin Engel, Anm.) an der TU Wien Professor für Eisenbahnwesen war. Ich wollte nach der Matura etwas naturwissenschaftlich-technisches studieren und bin beim Bauingenieurwesen gelandet. Dort hab ich mich - eher im Ausschlussprinzip, insbesondere Statik war mir ganz ganz fremd - auf Verkehrsplanung spezialisiert. Und eigentlich hab ich gedacht, ich würde in den Straßenbau gehen, bin aber wieder eher zufällig bei der Eisenbahn gelandet. Was sind die besonderen Qualitäten, auf die Sie bauen? Ich glaube, meine Fähigkeiten liegen nicht in der Tiefe der Details, sondern in der Vernetzung verschiedener Dinge und Fachdisziplinen - und da Konsens herzustellen. Den Menschen zuzuhören, sie auf einen Punkt zu bringen und diese Punkte dann zu verbinden. Die vielen Fachgebiete so eines Projekts vom Botaniker bis zum Juristen wären ja auch gar nicht in einer Person zu vereinigen und eigentlich denkunmöglich.Was man da besonders lernt: die eine richtige Wahrheit gibt es nicht. Nicht auf Planerseite, nicht auf Architektenseite - und auf Bauherrnseite auch nicht. Sie haben zwei Töchter mit 7 und 1 1/2 Jahren. Wie geht sich das aus? Na ja - bei einem Mann sagt man in so einer Situation: da gibt es eine Frau im Hintergrund. Also können Sie getrost davon ausgehen, dass es bei mir als Frau einen Mann im Hintergrund gibt. Und es war eine gemeinsame Entscheidung. Mein Mann ("Thomas - aber nicht Engel") ist ja Geiger und hat seine Berufstätigkeit zurück gefahren, dazu kommt noch die Unterstützung von Omas etc. Worauf bauen Sie im Leben generell? Auf Ziele, die ich erreichen möchte - wobei ich kein Mensch der jahrzehntelangen Planung bin. Ich setze mich gern für Dinge ein, die mich faszinieren. Was ist Ihnen wichtig außer Hautbahnhof und Familie? Musik. Ich spiele auch Geige und es ist mir wichtig, das auch noch unterzubringen. Das ist alles eine Frage der Organisation. Welche Welt stellen Sie sich für Ihre Töchter vor? Meine Töchter sollen einfach selbstbewusste Menschen werden, die in der Lage sind, den Blick nicht nur auf sich zu richten. Dann wird das schon gut werden. Wie finden Sie die Zeit dafür? Oder ist das in der Führungsposition sowieso leichter? Ja und nein. Ja, ich kann bei wesentlich mehr Terminen festlegen, wann sie stattfinden, als die Mitarbeiter und Eingeladenen. Andererseits kann ich mich gewissen Notwendigkeiten am wenigsten entziehen. Wenn der Hauptbahnhof fertig ist - was soll es dann werden? Ich plane so etwas nicht mehr. Es passiert eh immer irgend etwas, womit nicht zu rechnen ist. Ich will eine Tätigkeit haben, die mich reizt, bei der ich spontan das Gefühl habe, dass ich das machen will. Was das dann ist, will ich für mich auch gar nicht festlegen.
Interview: Thomas Pöll
*** Zur Person DI Judith Engel (geb. 1977) hat Bauingenieurwesen studiert und leitet von Beginn an Planung und Bau beim Großprojekt Hauptbahnhof Wien. Dazu ist sie FH-Lektorin und hat 2015 den ersten Frauenpreis der TU Wien gewonnen. Engel ist verheiratet und hat zwei Kinder.