SOLID: Wie geht’s Hochtief in Österreich nach den Unklarheiten der Vergangenheit?Stephan Otto: Gut, vielen Dank. Hochtief konzentriert sich wieder ganz auf den Markenkern Bauen und hat sich von angrenzenden Geschäftsfeldern wie dem Facility Management getrennt. Hochtief Construction Austria bietet vor allem Projekte im Bereich Verkehrs- und Energieinfrastruktur an. Beide Bereiche gehören zum Kerngeschäft. Österreich ist und bleibt deshalb ein wichtiger Markt für uns. Ich sehe in der Neuausrichtung des Konzerns eine klare Stärkung der Landesgesellschaften. Wir arbeiten wie ein mittelständisches Unternehmen mit eigenem Personal und eigenem Gerät, also mit einer erhöhten Fertigungstiefe.Österreich ist ja relativ klein, da sind Sie im SOLID-Ranking der größten Baufirmen auf Platz 60.Otto: Wir orientieren uns nicht an Umsatzklassen, sondern sind an nachhaltigen Ergebnissen interessiert. Nach der Neuausrichtung des Geschäfts in Österreich haben wir jetzt einen guten Personalstand mit ca. 180 Mitarbeitern, Gewerbliche und Angestellte, Tendenz steigend. Wir bauen hier für die Asfinag die A4 aus, bei Neumarkt und Freistadt im Mühlviertel bauen wir die S10 mit. Und wir haben den Auftrag Triebwasserstollen Maria Stein für das Gemeinschaftskraftwerk Inn über 22 km mit zwei Tunnelbohrmaschinen.
Heute wurden wir in einer Arbeitsgemeinschaft Erster bei der Submission Tunnel Granitztal. Auch für unsere Mitarbeiter ist es ein gutes Zeichen, dass Hochtief weiterhin stark auf dem österreichischen Markt vertreten ist.Wer hat den Gedanken „zurück zum Bauen“ ausgerufen?Otto: Der Vorstand hat sich für die Konzentration auf das Baugeschäft entschieden und die Weichen für erfolgreiches Projektgeschäft gestellt. Mit der Neuaufstellung verbinden wir die Vorteile einer mittelständisch geprägten Struktur optimal mit dem Leistungsspektrum eines erfahrenen Baukonzerns. Wir haben uns von unserer alten Struktur, bestehend aus Kompetenzzentren, verabschiedet. Jede Niederlassung bietet das gesamte Spektrum an Infrastrukturbau an. Jeder Ingenieur muss sich in allen Marktsegmenten auskennen. Bei Bedarf stehen uns Fachleute aus der Unternehmenszentrale in Essen zur Verfügung. Die Experten des Technical Competence Center TCC unterstützen uns bei Angeboten und auch in der Ausführung mit dem notwendigen technischen Know-how. Die wirtschaftliche Verantwortung für Projekte bleibt immer in der regionalen Einheit.Wo kommen Sie selber her?Otto: Ich bin seit 5 ½ Jahren bei Hochtief in der Niederlassung München, vorher war ich 24 Jahre beim Mittelstand, dazwischen für fünf Jahre bei großen Bauaktiengesellschaften. Ich habe das Bauen von der Pike auf gelernt: eine Lehre als Bauzeichner gemacht, Bauingenieur in München studiert, als Bauleiter angefangen, zum Oberbauleiter und Projektleiter aufgestiegen. Ich kenne das Geschäft. Meine große Leidenschaft ist der Brückenbau. Ich habe quasi mein Hobby zum Beruf gemacht und konnte in Deutschland nach der Wende sehr viele große Brücken bauen, zuletzt die große Schrägseilbrücke auf der Insel Rügen.Warum werden immer Deutsche nach Österreich geschickt?Otto: Und warum arbeiten so viele Österreicher in Deutschland? Wir besetzen Stellen mit den besten Frauen und Männern für die jeweilige Position. In meinem Fall gab es eine freie Stelle in Wien, die mit einem Manager aus der Niederlassung „ Alpenregion“ mit Sitz in München besetzt wurde. In den jeweiligen Ländern und Regionen setzen wir auf Kontinuität. Wir wollen die Märkte in ihrer Tiefe durchdringen und einen verlässlichen Kontakt zu Behörden und Geschäftspartnern aufbauen.Hat sich diese Strategie von Hochtief aus den spezifisch deutschen Bedingungen ergeben? Oder ist das ein generelles Erfolgsrezept?Otto: Bauen ist seit mehr als 140 Jahren unser Kerngeschäft. Durch den Verkauf der Flughafen- oder Dienstleistungssparte können wir uns wieder ganz auf das Kerngeschäft konzentrieren und die Strukturen verschlanken. Mir persönlich kommt das mittelständisch geprägte Handeln, das wir im Rahmen der Neuausrichtung fördern, absolut entgegen und ich freue mich über diesen Wandel. Es zahlt sich meiner Meinung nach auch aus, wieder mehr mit eigenem Fachpersonal und Gerät zu arbeiten und somit zu einer größeren Fertigungstiefe zu gelangen. Da sitzen UNSERE Baggerfahrer auf UNSEREM Gerät. Die Mitarbeiter wissen: Das ist MEIN Gerät, das ist MEINE Firma, ich bin verantwortlich.Das heißt, man dreht in Wirklichkeit an der Qualitätsschraube?Otto: Das ist auch ein großer und wichtiger Punkt – Qualität nimmt bei uns einen großen Stellenwert ein.Aber deshalb werden Sie ja keine Aufträge bekommen.Otto: Nein, den Auftrag bekommt leider zu oft der Billigste. Ob der dann immer der Wirtschaftlichste, der Erfahrenste oder der Zuverlässigste ist, ist die zweite Frage. Wir setzen auf unsere technische Kompetenz und arbeiten nicht nur mit eigenem Personal, sondern auch mit kompetenten Partnerunternehmen und Lohnleistern zusammen. Eine ausgewogene Mischung in der Kalkulation ist wichtig.Aber wie geht sich das aus?Otto: Das Führungspersonal und ein Teil des gewerblichen Personals kommen immer aus dem eigenen Haus, die Spitzenlasten decken wir mit Nachunternehmen ab. Nur mit eigenem Personal zu arbeiten, ist bei kleineren Projekten um die fünf bis acht Millionen wegen des geringeren Lohnanteils noch darstellbar. Bei Maßnahmen ab 20 Millionen muss schon ein ausgewogener Mittellohn angeboten werden. Kommt Ihnen der Verkauf des Bilfinger- Baugeschäfts zugute?Otto: Hat man die Alpine-Insolvenz groß gemerkt in Österreich? Ich glaube es nicht. Dazu ist der Wettbewerbsdruck in unserer Branche zu groß.Dr. Georg Kantner vom KSV sagt: So lange das Bestbieterprinzip nach wie vor als Billigstbieterprinzip gehandhabt wird, wird es immer wieder welche erwischen. Wie sehen Sie das?Otto: Wir setzen darauf, dass die Kunden in Zukunft stärker auf die Qualität und Kompetenz der Anbieter achten. Außerdem möchten wir unsere Ausführungskompetenz einbringen, um Projekte zu optimieren, zum Beispiel durch Sondervorschläge. Erste positive Ansätze sind sichtbar, etwa bei der Deutschen Bahn oder bei der Asfinag. Noch haben viele Auftraggeber Angst vor Einsprüchen unterlegener Bieter oder davor, dass durch Sondervorschläge der Terminplan ins Wanken kommen könnte. Und wie geht das?Otto: Wir müssen die Baubranche von einem teils ruinösen Preiswettbewerb zu einem Qualitätswettbewerb entwickeln. Es ist wirklich erst der Anfang, aber wir kommen wieder da hin, dass wir als Ingenieure wieder gefragt sind, dem Auftraggeber Sondervorschläge zu unterbreiten.Rechtsanwälte sagen ja: Die Lösung wäre, die Ausschreibungen so genau zu machen, dass dann der Preis zu Recht entscheiden kann. Was halten Sie davon? Otto: Ich glaube, das wird sich nicht realisieren lassen, da jedes Projekt ein Unikat ist. Und wenn es so wäre, hätten die Rechtsanwälte keine Arbeit mehr im Bereich Baurecht.Aber wie kann das tatsächlich aufgeweicht werden, so dass es niemand beeinsprucht?Otto: Man muss Wertungskriterien klar definieren. Ein Kriterium wäre der Preis, ein weiteres wäre der Aufbau des Angebots: Werden Angaben zur Technik, Bauzeit, Arbeitsvorbereitung, Gerätekonzeption schlüssig dargelegt? Welche Qualitätsmerkmale wurden eingearbeitet? Daraus könnte man eine Bewertung für die Vergabe ableiten. Derzeit hat der Preis ein Gewicht von 90 Prozent, der Rest liegt bei 10 Prozent.Wo sehen Sie Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich?Otto: Die Bindung der Mitarbeiter an das jeweilige Unternehmen scheint in Österreich nicht so hoch zu sein wie in Deutschland. Wenn in Österreich die Presse schreibt, dass ein Unternehmen einen großen Auftrag bekommen hat, marschieren viele Mitarbeiter auftragsbezogen zu diesem Unternehmen und beim nächsten Mal wieder weiter zum nächsten Unternehmen. Das finde ich ein bisschen schade, aber wir haben jetzt in der Niederlassung Wien eine gute Stammmannschaft, die gut organisiert ist und zusammenhält. Österreich ist und bleibt ein wichtiger Markt für uns. Die Neuorganisation der Niederlassungen ist weitgehend abgeschlossen, wir entwickeln uns gut. Neben Neubauprojekten sehen wir eine wachsende Nachfrage bei der Sanierung bestehender Verkehrswege oder Versorgungseinrichtungen.Was würden Sie gerne in Österreich bauen?Otto: Was ansteht und in unser Profil passt, das wollen wir bauen. Aber eine schöne große Brücke wäre ein Traum. Egal wo.
(SOLID 09 / 2014)