Österreich : Insolvenzstatistik 1. Halbjahr 2018: Fill Metallbau drittgrößter Fall

Im ersten Halbjahr wurden in Österreich 2.595 Unternehmen insolvent. Das entspricht einem geringfügigen Zuwachs von ca. 0,8 % gegenüber dem ersten Halbjahr 2017. Bei den eröffneten Insolvenzverfahren gab es mit 0,3 % so gut wie keine Änderung, während die mangels Vermögens nicht eröffneten Verfahren um 1,6 % auf 1.060 angestiegen sind. Aber: Von den eröffneten Insolvenzfällen waren nun 10.700 Dienstnehmer betroffen, das entspricht einem Plus von fast 49 %. Auch die Passiva sind um ca. 38 % auf EUR 921 Mio. gestiegen.
Auf den ersten Blick zeichnen die Zahlen ein sonniges Bild, nämlich eine nur minimale Veränderung der Fälle auf niedrigstem Niveau. Die Probleme spielen sich anderswo ab: Es ist die massive Steigerung bei den von Insolvenzen betroffenen Dienstnehmern und die unberichtigten Forderungen, die das Insolvenzgeschehen kennzeichnen. Dieses Plus resultiert aus einigen Großfällen, die im ersten Quartal eröffnet wurden.
Bundesländer im Reigen
Bei den Bundesländern fällt auf, dass Oberösterreich und Tirol, beide industrielastig, rückläufige Insolvenzzahlen aufweisen. Dagegen zeigen zwei andere, ebenfalls industriell bedeutsame Bundesländer (Wien und die Steiermark) Zuwachsraten. Es gibt also keinen klaren Trend. Besonderes Augenmerk verdient Tirol mit einem Rückgang von über 20 % gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017. Dies ist zweifellos der Spiegel eines Bundeslandes, das sowohl industriell, als auch touristisch ganz vorne mitspielt und obendrein aus seiner geografischen Lage als Logistikdrehscheibe von der gegenwärtigen Konjunktur profitiert, wie kein anderes Bundesland in Österreich.
Branchen im Vergleich
Die Branchenanalyse weicht im Jahr 2018 vom gewohnten Bild insofern ab, als „Verkehr und Nachrichten“ diesmal unter den ersten drei Branchen rangiert. Das ist auf die Insolvenz der Fluglinie Niki zurückzuführen. Zur Erinnerung: Unternehmensbezogene Dienstleistungen enthalten neben tatsächlich als Dienstleistung einzustufenden Tätigkeiten, auch die Entwicklung von Liegenschaften (Wienwert) und die Funktion einer Holdinggesellschaft. Insofern darf es auch nicht verwundern, dass diese Branche regelmäßig „vor den Vorhang“ gebeten wird.
Gastgewerbe und Bauwirtschaft spielen schon deshalb eine so „stockerlfähige“ Rolle, weil es beides Branchen mit sehr vielen Unternehmen sind. Die Branche Gastwirtschaft ist in Wahrheit unterdurchschnittlich insolvenzgeneigt. Bei der Baubranche sieht dies allerdings gänzlich anders aus: Hier gibt es nicht nur viele Unternehmen, sondern auch in vielen Jahren eine relative Spitzenreiterposition (Insolvenzen gemessen an allen aktiven Unternehmen) und zuweilen auch hohe Schuldenstände, je nach Größe des insolventen Bauunternehmens.
Rechtsentwicklung
Seit 2012 beschäftigt sich die EU-Kommission mit Plänen der Harmonisierung des Insolvenzrechtes der Mitgliedstaaten. Im November 2016 wurde ein Entwurf einer Richtlinie veröffentlicht. Diese Richtlinie wird nun seit ca. 1,5 Jahren ausgesprochen intensiv diskutiert und dürfte in den weniger „brisanten“ Teilen akkordiert sein. Die Richtlinie enthält folgende fünf Teile:
Allgemeine Bestimmungen
(Ziele der Richtlinie und Begriffsbestimmungen
Präventive Restrukturierungsrahmen
(Restrukturierungsverfahren unter weitgehender Ausblendung der Gerichte: ohne Eröffnung und mit nur optionaler Einbindung aller Gläubiger)
Zweite Chance für Unternehmer
(zwingende Entschuldung „redlicher Unternehmer“ bzw. „honest entrepreneurs“ nach längstens 3 Jahren ohne Mindesterfordernis der Schuldentilgung)
Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierung,
Insolvenz und zweiter Chance
(Ausbildungs- und Überprüfungsmaßnahmen für Insolvenzverwalter und Insolvenzrichter)
Monitoring von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren
(Anlieferung von standardisierten Daten über Insolvenzverfahren und deren Beendigung durch die Mitgliedsländer)
Nach jüngst erhaltener Information hat sich der Ministerrat am 4. Juni 2018 zu den Teilen 3-5 (kursiv) abgesprochen, sodass diese Teile als akkordiert gelten dürfen. Weiterhin problematisch für viele Mitgliedsländer sind die Teile eins und vor allem zwei, da sie die Einführung eines für manche Länder vollkommen unbekannten, dem US Chapter 11 nachgebildeten Verfahrens vorsehen, allerdings ohne zwingende Bestellung eines Insolvenzverwalters. So etwas gibt es in den USA jedoch nicht, dass ein Chapter 11-Kandidat ohne gerichtliche Bestellung eines Administrators weiterarbeiten kann und die Insolvenzantragspflicht des Schuldnerunternehmens über möglicherweise viele Monate ausgesetzt ist.
Diese kontroversiellen Punkte werden voraussichtlich ab Juli 2018 unter österreichischer Präsidentschaft intensiv weiterdiskutiert werden und noch im Jahr 2018 oder zu Beginn des Jahres 2019 in der Verabschiedung der Richtlinie münden. Diese Richtlinie wird dann binnen zwei oder drei Jahren von den Mitgliedsstaaten umzusetzen sein.
Analyse und Ausblick
War das erste Quartal 2018 noch geprägt von einigen Großinsolvenzen, so hat sich diese Entwicklung im zweiten Quartal nicht fortgesetzt. Mit Ausnahme von Zimmer Handelsgesellschaft und Fill Metallbau GmbH stammen alle Großverfahren auf der Liste (Passiva über EUR 10 Mio.) aus dem ersten Quartal 2018. Großinsolvenzen haben die Eigenschaft, dass sie nicht prognostizierbar sind und sich auch nicht an Erwartungen halten. Fallweise werden große Unternehmen auch außergerichtlich restrukturiert und kommen damit gar nicht auf das Insolvenzradar der Justiz.
Aufgrund der aktuellen Entwicklung erwartet der KSV1870 für das Jahr 2018, dass die Zahl der insolventen Unternehmen gegenüber 2017 nicht signifikant steigen wird. Die Passiva und die betroffenen Dienstnehmer hingegen schon – sie werden deutlich über dem Vorjahr liegen, wenn auch etwas gedämpft gegenüber den aktuellen Zuwachsraten.