SOLID 09 / 2014 : Hochtief Österreich - Angriff auf den Mittelstand
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Frage: Was tun, wenn der Name einer Firma dermaßen zu Wortspielen aller Art einlädt? Sogar beim Fußball hat es sich ja hierzulande eingebürgert, von „hoch“ und „tief“ stehen zu sprechen anstatt von „aufgerückt“ und „hinten drinnen“. Die vernünftige Antwort lautet: den billigen Ball möglichst nicht aufnehmen. Und dann kommt Stephan Otto ums Eck gebogen und ist einfach sehr hoch: 2,05 Meter nämlich. Der Mann – seit Ende des vergangenen Jahres Geschäftsführer von Hochtief in Österreich – grüßt bayrisch-deutsch, flößt per Händedruck Vertrauen ein und ist gut gelaunt. Ob er das immer ist, wissen wir nicht.
An diesem Tag Mitte August ist er es aber offensichtlich und das wohl zu Recht. Denn Stephan Otto beantwortet die Frage nach dem Befinden von Hochtief in Österreich mit einem schmunzelnden Blick auf sein Smartphone: „Ist schon schön, so ein Ergebnis heute zu bekommen“, sagt er. Mit dem schönen Ergebnis meint Otto die Nachricht, dass Hochtief bei der Ausschreibung der ÖBB-Tunnelkette Granitztal als Submissionserster feststeht. Das heißt zwar noch nicht, dass der Auftrag fix ist, aber lässt es doch sehr wahrscheinlich erscheinen. Die Tunnelkette Granitztal ist Teil der Koralmbahn und wird zwischen St. Paul im Lavanttal und Aich verlaufen – eine geologisch und damit bautechnisch durchaus anspruchsvolle Verbindung mit zwei 2.500 bzw. 2.900 m langen Tunnels und einem offenen Zwischenstück. Der Bau soll im Jänner 2015 beginnen, Fertigstellungsdatum ist Ende 2019. „Das ist auch ein gutes Zeichen für unsere Mitarbeiter“, sagt Stephan Otto, und damit befinden wir uns im Zentrum der Geschichte.Rückzug aus Österreich stand zur DebatteVor knapp einem Jahr stand die Österreich- Niederlassung der Nummer eins auf dem deutschen Baumarkt vor dem Ende. Genau gesagt, die Frage war: Werden noch neue Aufträge akquiriert? Oder nur mehr bestehende abgewickelt und Hochtief zieht sich aus Österreich zurück?Im Endeffekt entschieden zwei Faktoren für den Weiterverbleib der Firma, die in Österreich zwar bei weitem nicht so groß und bedeutend ist wie in Deutschland (hierzulande liegt sie auf Rang 60 des aktuellen SOLID-Rankings der Top- 150-Baufirmen Österreichs, die für 2014 angestrebte Umsatzsteigerung auf über 60 Millionen Euro würde einen Sprung um ca. 20 Plätze nach vorn bedeuten), doch genau das macht sie so interessant.Denn wer aus der österreichischen Baubranche misst sich schon ernsthaft mit Strabag, Porr, Swietelsky & Co.? Wer kann aus deren Strategien und Sorgen lernen? Vor allem: wer ist mit ihnen wirklich in Konkurrenz? Hochtief Österreich ist da was anderes. Faktor 1 ist relativ banal, aber so ist die Wirklichkeit manchmal: In dem Moment, in dem bekannt wird, dass eine Firma nur mehr abwickelt, machen sich die Mitarbeiter vom Acker und suchen neue Jobs – vor allem in Zeiten, wo diese nicht im Überangebot sind. Sprich: selbst die Abwicklung wäre nicht so einfach gewesen. Faktor 2 ist die Signalwirkung und der mögliche Sog. Also gab es heftige Rechenarbeiten und am Ende die Erkenntnis, dass die Investition „einer Summe X“ besser ist als ein möglicherweise finanzieller, mit Sicherheit aber reputationsmäßiger und strategisch höherer Verlust. Nun bearbeitet Stephan Otto mit seinem kaufmännischen Kollegen Andreas Zimmer von Wien und München aus die Alpenregion und sieht Hochtief vor dem Auge seiner Wünsche unspektakulär, aber stetig guten Zeiten entgegengehen.Hochtief darf nicht Alpine werdenWas Griechenland in der EU ausgelöst hat, sollte Österreich für Hochtief auf keinen Fall sein: ein relativ kleiner Markt, der aber zum Symbol und gefährlichen Dominostein des Anstoßes wird. Schließlich hat auch das Alpine-Desaster mit einem zunächst relativ kleinen Leck begonnen.Mit dem Thema EU hat das Herkunftsland der Eigentümerfirmen sowohl von Hochtief als auch damals der Alpine seine Erfahrungen: Die spanische Actividades de Construcción y Servicios (ACS), eine der ganz großen Nummern im europäischen Baugeschäft, hat ja die Mehrheit an Hochtief in einem von 2006 bis 2011 laufenden Prozess Stück für Stück auf nicht eben freundliche Weise übernommen.Zum Teil mag die Skepsis gegenüber den Südländern hierzulande auch aus der nach wie vor nicht ganz geklärten Rolle der spanischen FCC beim Alpine-Konkurs herrühren. Da hilft es auch nicht viel, dass die FCC selber gewaltig ins Trudeln gekommen ist: 2013 mussten mit Bill Gates und George Soros zwei Promis einsteigen, um das Unternehmen zu retten, und die Erfolgsmeldung von FCC aus 2014 lautete, dass der Nettoverlust im ersten Halbjahr nur noch 52,7 Millionen beträgt. Geht Hochtief nichts an, meinen Sie? Na ja, wie man es nimmt. Denn bei der FCC ist das Baugeschäft mittlerweile fast nur mehr ein Randbereich – zwei Drittel der Umsätze werden mit Wasserversorgung und -aufbereitung bzw. Umweltservices gemacht. Ganz anders Hochtief unter dem Kommando eines anderen Spaniers: Marcelino Fernández Verdes, der von ACS kam.„Zurück zum Bauen – und zwar zum mittelständischen!“Während andere Unternehmen Diversifizierungsstrategien fahren und sich zusätzliche Standbeine und auch örtlich eine breite Risikostreuung suchen (in Österreich allen voran die Strabag, siehe unsere Coverstory in SOLID 6/2014), ist Hochtief genau in die entgegengesetzte Richtung unterwegs: „Es wird wieder gebaut“, sagt Stephan Otto und man sieht und hört ihm die Befriedigung darüber ganz klar an, wenn er die Silbe „bau“ kräftig und fast verliebt an jeder nur möglichen Stelle betont. Hier ist ganz offensichtlich jemand am Werk, der den Stallgeruch der Baustelle kennt und liebt.Und während früher in den einzelnen Ländern für einzelne Baustellen jeweils alle inhaltlich verwickelten Abteilungen konzernweit „mitgenommen“ werden mussten, läuft es nun bei Hochtief Europa umgekehrt: Die einzelnen Regionen sind nur für ihren örtlichen Bereich verantwortlich, dürfen auch nur dort anbieten und holen sich das, was ihnen an Kompetenz und für große Baustellen an Mitarbeitern und Gerät fehlt, aus einem einzigen technischen Kompetenzzentrum bei der Konzernzentrale in Essen.Ansonsten aber wird mit eigenem Personal und eigenem Material, auch eigenen Maschinen gearbeitet – und wir dürfen gespannt sein, wie sich dieser durchaus sympathische Ansatz auf dem Markt durchsetzt.Aufpassen auf Hochtief heißt es aber nun für eine größere Anzahl an Unternehmen als zuvor. Denn dass die technische Kompetenz und die Erfahrung vorhanden sind, ist unzweifelhaft – und nun richtet sich das Augenmerk ganz offensichtlich auf das Mittelständische, also auch auf kleinere Aufträge im einstelligen Millionenbereich, auf lokale Körperschaften und Bauherren und auf den Bereich Sanierung. Aus einem tot geglaubten Player wird wieder ein ernsthafter Mitbewerber. ////_________________HOCHTIEF IN ÖSTERREICHHochtief ist seit mehr als fünf Jahrzehnten in Österreich tätig. Bereits in den 1960er Jahren hat das Unternehmen die transalpine Ölleitung mitgebaut. In den 1970er Jahren war es am Bau des Finstertalstaudammes und dem Bau der Olympiabobbahn in Igls beteiligt. Im Osten Österreichs wurde das Unternehmen mit der Erweiterung der U3 nach Simmering in den 90er Jahren verstärkt aktiv. 2005 wurde am Standort Wien die Niederlassung Austria gegründet und 2007 Hochtief Construction Austria als selbstständige Landesgesellschaft gegründet. Sie ist eine hundertprozentige Tochter der Hochtief Solutions AG. Hochtief Construction Austria gehört dem Geschäftsbereich Hochtief Infrastructure an und konzentriert sich auf die Segmente Energie- und Verkehrsinfrastruktur.
(SOLID 09 / 2014)