Reportage : Grips in Dur und Moll

Linz, in unmittelbarer Volksgartennähe: Zufällige Augenzeugen gibt es hier nicht. Zu groß ist die Präsenz der größten Hochbau-Baustelle Oberösterreichs, als dass ein Passant ohne aufzusehen daran vorbeispazieren könnte. Vier Obergeschoße, zwei Untergeschoße, ein bis in 32 Meter Höhe aufragender Bühnenturm und ein Auditorium mit bis zu 1200 Plätzen entstehen hier.

Das neue Musiktheater für Oper, Operette, Ballett und Musical wird vor allem eins sein: Ein Haus der Begegnung - mit höchsten künstlerischen Maßstäben. Dafür sollen die Aufführungen sorgen und die Studiobühne. „Aber auch das Bruckner Orchester, das hier bald schon seine Heimstätte findet wird hier auftreten“, sagt Musiktheater-Projektleiter Martin Schmidt.

Ende Dezember, also schon in wenigen Tagen, soll nach rund 15-monatiger Bauzeit der Rohbau des 162 Meter langen und bis zu 82 Meter breiten Gebäudes fertig gestellt sein. Das bisherige Haus an der Promenade bleibt mit seinen zwei Bühnen als Schauspielhaus weiter bestehen. Die Baufirma – bei den Baumeisterarbeiten, der Fassade und dem Innenausbau angelte sich die Strabag den Zuschlag – liegt bestens im Plan.

Das sehen auch die Schaulustigen, die mit neugierigen Blicken das Gebäude auskundschaften. Ganz oben am Dach wird gerade betoniert. In den unteren Geschoßen zerlegen Arbeiter bereits Unterstellungen in handlichere Einzelteile und transportieren sie ab. Fast friedlich sehen die Arbeiten aus – doch der Eindruck täuscht. Der Zeitdruck für die Firmen wird nicht kleiner. Schmidt: „Spätestens im Spätherbst 2012 soll das Haus spielbereit sein“.

Vertikale Umspundung

Einmal fertig gestellt, wird der Riesenbau ein Ende der innerstädtischen Hauptachse zwischen Donau und Volksgarten markieren. Und mit im Nord- und Südosttrakt untergebrachten Proberäumen, Garderoben, Büros sowie Werkstätten, Kulissen-, Kostüm- und Prospektmagazinen auch seine schiere Größe rechtfertigen. „Das Musiktheater ist nicht auf Expansion gebaut“, betont Schmidt, „sondern folgt lediglich den zeitgemäßen Anforderungen an eine moderne Theaterspielstätte“.

Auf dem Weg zur größten Kulturbaustelle des Landes gab es einige pulsbeschleunigende Momente für die Linzer. So spaltete der ursprüngliche Fassadenentwurf des Baus die Gemüter. Dem als Generalplaner beauftragten britischen Architekten Terry Pawson schwebte eine Rostfassade vor. Die Politik sagte Nein. Pawson schied als ausführender Architekt aus. Nach der Neuausschreibung der Architekturleistungen – die Uhr tickte gnadenlos weiter – kam das Grazer Büro ArchitekturConsult ans Ruder. Um keine Zeit zu verlieren, „wurden die Tiefbau- und die Baumeisterarbeiten deshalb gesondert ausgeschrieben“, erinnert sich Martin Schmidt.

Schon 2008 wurde die Blumauerstraße umgelegt und ein Kreisverkehr eliminiert. Im Frühjahr 2009 starteten dann die Aushubarbeiten durch eine Mannschaft des Baukonzerns Porr. Vom Osten her näherten sich die Bagger über eine Einfahrtsrampe der immer imposanter werdenden Grube. Das Landeskrankenhaus, das hier früher stand, riss man schon 2006 ab.

Insgesamt wurden nun 67.000 Kubikmeter ausgehoben. Vorwiegend fand man bei Tiefen von bis zu neun Metern Schotter und Kies vor. Dafür schindete die Baustellenlogistik Eindruck. Jeden Tag verließen 150 vollbeladene Lastwagen die Baustelle.

Bei der Sicherung der Baugrube gab es bald einen Favoriten. Weil an der Außenkante des Gebäudes schon die Grundgrenze verläuft, „entschieden wir uns für eine Lösung mit vertikalen Spundwänden“, erzählt Musiktheater-Projektleiter Martin Schmidt. Etwa 6.000 Quadratmeter Umspundung wurden es insgesamt.

Rekordträchtige Bodenplatte

Im September 2009 starteten dann die Rohbauarbeiten. Es kamen dafür 47.000 Kubikmeter Beton und 5.400 Tonnen Bewehrung zum Einsatz. Schon beim Betonieren des ersten, 80 Zentimeter starken Bodenplattenstücks trug sich die Baufirma ins Buch der Rekorde ein.

Die rekordträchtige Platte entstand ganz im Westen des Baufelds – dort, wo später Foyers und Auditorium des Musiktheaters in die Höhe ragen. „Wir realisierten in einem Schwung eine Fläche mit cirka 3.500 Quadratmetern und mehr als 3.000 Kubikmetern Beton – das gab es in Oberösterreichs Hochbau noch nicht“, erzählt Roland Mühleder, Gruppenleiter der Oberösterreichischen Abteilung Hochbau der Strabag. Freitagnachmittag starteten die Arbeiten. Samstag früh waren sie bereits fertig gestellt.

Den Beton – es flossen 9.800 Kubikmeter für die gesamte Platte – lieferte die Firma Asamer. Die Baufirma nahm nur sieben Bodenplattenabschnitte in Angriff – und optimierte damit gemeinsam mit dem Statiker die ursprüngliche Vorstellung maximaler Abschnittsgrößen. Denn Ziel war eine möglichst geringe Anzahl von Arbeitsfugen. „Mögliche Schwachpunkte, die wir unbedingt hintanstellen wollten“, erklärt Strabag-Mann Mühleder.

Die Bodenplatte wurde – wie auch das zweite Untergeschoß– als weiße Wanne ausgeführt. 1.300 Tonnen Bewehrung kamen zum Einsatz. Beim Betonieren versuchte das Bauteam zeitlich alle Register zu ziehen. Ende September fanden die Strabag-Männer mitsamt dem Beton optimale Bedingungen vor. Die Tag-Nacht-Temperaturen lagen einigermaßen im Einklang, „sodass es keine Handicaps beim Aushärten des Betons gab“, schildert Mühleder.

Versetzt wie ein Schachbrett

Eine Abnormität wäre in dieser Bauphase ein gleichmäßiges In-die-Höhe-Schießen des Baus gewesen. „Wir wuchsen schachbrettartig versetzt in die Höhe“, schildert Mühleder. So nahmen im Westen schon die ersten Schalungselemente für die Ortbetonwände Aufstellung, während Arbeiter im Osten noch der Beton für die Bodenplatte einbrachten. Die Wände und Decken in den Untergeschoßen und dem Erdgeschoß wurden allesamt mit Ortbeton realisiert. Fertigteilträger und vorgespannte Elementdecken verbaute die Baufirma schon auch – allerdings erst weiter oben. „In den Untergeschoßen sind die Lasten zu hoch“, begründet Mühleder diese Entscheidung.

Heute können sich die Arbeiter im wohligen Gefühl wiegen, alle Wandelemente bis ganz nach oben richtig gesetzt zu haben. Das klingt nach Selbstverständlichkeit, jedoch: „Aufgrund vieler Deckensprünge erforderte dies die volle Konzentration des Teams“, so Mühleder. Insbesondere deshalb, weil die der Ausschreibung beigelegten Bauwerkspläne im Maßstab 1:200 die tatsächliche Komplexität dieses Bauvorhabens noch harmlos aussehen ließen. „Deshalb gab es mehrmals die Woche Jour-fixe-Termine des Bauteams.

Rekorde radierte übrigens nicht nur die Musiktheater-Bodenplatte aus. Auch der zurückliegende Winter zeigte, was er kann. „Dennoch gab es keine gröberen Probleme“, betont Musiktheater-Projektleiter Martin Schmidt.

Schalltechnische Entkoppelung

Ende Juni 2010 war das Erdgeschoß fast bis zur Gänze fertig gestellt und die Arbeiten in den Obergeschoßen liefen voll an. Die Führungsspitze des Musiktheaters legte auf ein schalltechnisch best-entkoppeltes Gebäude Wert. Denn Misstöne oder Erschütterungen – eingeleitet etwa durch die in unmittelbarer Nähe verkehrende U-Bahn und Westbahn – sollen sich nicht ins Ohr des Zuhörers oder Künstlers verirren. Schon im Vorfeld fanden deshalb Schall- und Erschütterungsmessungen statt. Die daraus abgeleiteten Maßnahmen hat Strabag-Bauleiter Roland Mühleder, der schon viele komplexe Bauvorhaben mitmachte, in dieser Intensität „noch nicht erlebt“. Das zweite Untergeschoß wurden von den sensiblen Oberbereichen – wie dem Auditorium oder dem Bruckner-Orchestersaal – schalltechnisch komplett getrennt. Deshalb gibt es bei diesen Säulen auch keine Anschlussbewehrung in die darüber liegenden Bauteile zu sehen. „Mittels Spezialkleber wurden stattdessen fünf Zentimeter dicke Sylodynplatten auf die Pilzköpfe der tragenden Säulen aufgeklebt“, stellt der Musiktheater-Projektleiter Martin Schmidt die nicht ganz günstige, aber unbedingt erforderliche Isolierungsmaßnahme vor. Sensible Räumlichkeiten wie der große Probensaal und die Studiobühne wurden von der Baufirma indes in einem doppelschaligem System ausgeführt. Sylomerlagerungen dazwischen sorgen auch hier für Schall- und Erschütterungsschutz. Den demnächst stattfindenden, finalen Schallmessungen sieht die Musiktheater-Leitung optimistisch entgegen. Schmidt: „Das Bauchgefühl stimmt“.

Die Vorgaben des Bauherrn waren auch in anderer Hinsicht einmalig. Im Vertragswerk ist fixiert, dass für das gesamte Bauwerk halbe Hochbau-Maßtoleranzen einzuhalten sind. „Ein Vermessungsteam war deshalb auf Schritt und Tritt dabei“, erzählt Strabag-Mann Roland Mühleder. Im Auditoriumsbereich, wo später mehr als 1.000 Zuschauer Platz finden sollen, rückten die Profis mit Theodoliten und Nivelliergeräten gleich mehrmals an. „Denn den Zuschauerbereich mit den Rängen mussten wir dreidimensional schalen“, begründet Mühleder den Kampf um jeden Millimeter.

Hutschachtel aus Stahlbeton

Nicht weniger Einfallsreichtum abverlangt haben den Bauprofis die extremen Unterstellungshöhen. Der Bühnenturm, auf dem Arbeiter gerade der Anlieferung der letzten Wandelemente per Kran entgegensehen, erreicht stolze 30 Meter über Bühnenniveau. Über ihn wird bald schon ein schneller Bühnenbildwechsel möglich sein. Aber auch in vielen anderen Bereichen – etwa dem Auditorium – sind die Raumhöhen gewaltig. Selbst in den Anlieferungsbereichen der Dekorationen werden neun Meter erreicht – das Dreifache von Büroräumen. Um Zeit zu sparen, wurden deshalb bei extremen Unterstellhöhen keine gewöhnlichen Gerüste aufgebaut. „Wir zogen Teilstücke von Turmdrehkränen heran“, schildert Roland Mühleder von der Strabag. Die kamen als fertige Elemente – teils mit bis zu 15 Meter Höhe – auf die Baustelle. „Nur kleinere Schweißarbeiten waren noch erforderlich“, erinnert sich Mühleder.

Ein zentrales Element des neuen Musiktheaters ist die Transportdrehscheibe aus Stahl. Sie hat einen Durchmesser von 32 Metern und „reicht bis ins zweite Untergeschoß hinab“, vermittelt Musiktheater-Projektleiter Martin Schmidt ein Gefühl von der Dimension der Scheibe. Zu Recht. Eine größere Scheibe, mit der durch einfaches Drehen personalkostenschonend drei bis vier Produktionen ohne große Umbauten realisierbar sind, findet man in heimischen Gefilden nicht. Sie kommt Anfang des Jahres – dann, wenn das Dach darüber fertig ist. Lieferant ist der Bühnenbaubetrieb Waagner-Biro. Die Stahlscheibe wird auf einem Zentrallager sowie seitlichen Rolllagern in einer Stahlbetonwanne ruhen. Von den bauausführenden Personen liebevoll „Hutschachtel“ genannt, wurde letztere in sechs Abschnitten bereits mittels Rundschalungen hergestellt.

Beton in Kübeln

Schlendert man nun durch die unteren Geschoße, fragt man sich unvermittelt, wo die 100 Mann stecken könnten, die hier im verlängertem Einschichtbetrieb immer noch für beachtliche Baufortschritte sorgen. Denn mehr als einzelne Männer, die Baumaterialien oder Werkzeuge zu den Sammelstellen transportieren, sind hier unten nicht auszumachen.

„Das Meiste spielt sich derzeit auf dem Dach ab“, beantwortet Bauleiter Roland Mühleder die ungestellte Frage „Wo sind denn nun die Bauarbeiter?“ durch die suchenden Blicke. Während unten schon der Startschuss für die Verlegung von ersten Lüftungskanälen und Kabeltrassen fiel, ist oben auf dem Dach mehr los. Dort werden Schalungen zerlegt, erste Dachaufbauten geschlossen und stellenweise schon die schwarze Notabdichtung für das kommende Winterwetter auf der Außenfläche aufgetragen.

Am Dach des Auditoriums wird derweilen eine Wand betoniert – „mit Kübel, weil hier die Pumpe nicht herankommt“, erklärt Mühleder. Wieder fallen die enormen Höhen auf. Sicherheit wird auf diesem Arbeitsplatz groß geschrieben. So gibt es für die Arbeiter zahllose Einhängekonsolen in den Schalungen.

Derzeit sind noch fünf Kräne im Einsatz – bald werden es zwei weniger sein. Der 76 Meter hohe Hauptkran bleibt – er hat einen 65-Meter-Ausleger und eine Tragfähigkeit von zehn Tonnen. Von der Sorte gibt es in Österreich „nur drei Stück“, verrät Mühleder. Zwei weitere Kräne bleiben der Baustelle vorerst fürs Versetzen der Fassadenplatten und der Liftschächte erhalten. „Die Innenschächte werden in Kürze geliefert“, weiß Mühleder.

Insgesamt liegen die Bauarbeiten im Plan. Eine Verzögerung gibt es derzeit bei der Fensterlieferung. „Es gab Einsprüche gegen die Zuschlagserteilung“, erörtert Martin Schmidt, Projektleiter des Musiktheaters. Der offiziellen Eröffnung des Musiktheaters im April 2013 steht aus heutiger Sicht dennoch nichts im Wege. Für die Bauarbeiter sind die größten baulichen Herausforderungen schon geschafft. Die Linzer sind von der Bauleistung beeindruckt. Die mehr als 10.000 Quadratmeter große Fassadenfläche aus Stahl, Glas und Stein wird bald noch mehr Aufmerksamkeit erregen. Eröffnet wird das Musiktheater mit einer Philip-Glass-Oper. Zufällige Augenzeugen wird es auch bei dieser Uraufführung nicht geben.

Kosten: rund 150 Millionen Euro

Baubeginn: März 2009

Bauende: Mitte 2012

Bauherr: Musiktheater Linz GmbH, Linz

Architektur (Entwurf, Einreichung): Terry Pawson Architects Ltd, London

Architektur (Ausführung): Architektur Consult GmbH, Graz

Baufeldvorbereitung: Alpine Bau GmbH, Linz

Verkehrsumlegung: Arge Teerag-Asdag AG – Held & Francke Baugesellschaft m.b.H., Linz

Tiefbau – Baugrube: Porr AG, Linz

Baumeisterarbeiten (Rohbau und konstruktiver Stahlbau): Strabag AG

Heiztechnik Kühlung Sanitär: Arge Lengauer GmbH & CoKG – Pischulti GmbH, Linz

Lüftungstechnik: Arge Herbsthofer GmbH – Siemens Bacon GmbH & Co KG, Linz

Bühnentechnik: Waagner-Biro AG, Wien

Betonfertigteile, Wärmedämmung, Naturstein: Strabag AG, Linz

Schwarzdecker, Spenglerarbeiten: Alpine Bau GmbH, Linz

Holz-, Alu-, Blechfassade, Sonnenschutz: Metallbau Wastler GmbH & Co KG, Linz