Reportage: Joanneum Graz : Glanz und Licht für den Erzherzog

Joanneum Tor
© Michael Hetzmannseder

Das Grazer Joanneumsviertel vibriert Ende Dezember. Rhythmen eines Flaschenrüttlers dringen ans Ohr. Ein Bauarbeiter parkt gerade einen Flügelglätter auf dem schmalen Lagerplatz der Baustelle. Dazu Schüttungsarbeiten in den Bestandsgebäuden. Hier, im Herzen der Grazer Altstadt stiftete 1811 Erzherzog Johann seinem Volk Landesmuseum. Heute findet mit Hochdruck eine Sanierung und Modernisierung statt, die zum Jubiläum – zum Großteil fertig sein soll.

Denn eigentlich sanieren bis September 2012 Baufirmen im Auftrag der Landesimmobiliengesellschaft Steiermark drei Bauwerke unterschiedlicher Epochen. Zum einen die historischen Häuser des Universalmuseums Joanneum, das Besuchern intime Einblicke in die letzten 400 Millionen Jahre der Erdgeschichte eröffnet. Zugleich wird das Zuhause der steiermärkischen Landesbibliothek mit ihren 700.000 Büchern, Zeitschriften und Zeitungen ebenfalls aufpoliert.

Die Bibliothek ist Österreichs älteste Landesbibliothek. Zusammen soll ein Zentrum für Kunst, Kultur und Wissen entstehen – verbunden über ein neues unterirdisches Besucherzentrum. Dieser Neubau wird im Dezember 2011 planmäßig zum Jubiläum fertig.

Veraltet und zu klein

Seit Jahren wissen die Steirer um die schlechten Ausstellungs- und Arbeitsbedingungen vor Ort. Forschungs- und Besucherbetrieb wurden fast schon gewaltsam vermischt. Aus Platzgründen wurden die Besucherströme „durch die Sammlungsräume gelenkt“, weiß Architekt Gerhard Eder. Gemeinsam mit Madrider Kollegen hat er in der Arbeitsgemeinschaft Nieto Sobejano Arcquitectos – eep architekten die architektonische Gestaltungshoheit inne.

Platzmangel war aber nur ein Grund für die baulichen Maßnahmen. Fenster und Klimaanlagen der Museumsgebäude stammten großteils aus dem Jahre Schnee. Konstante Museumstemperaturen um die 20 Grad waren so kaum realisierbar. Um nichts besser der Zustand der Lüftungsanlage. Die bauphysikalische Ertüchtigung der Häuser soll nun vieles besser machen. Architekt Eder: „Die Häuser werden einen modernen Museumsbetrieb bieten“.

100.000 Bescher pro Jahr

Die Grazer rechnen mit bis zu 100.000 Museumsbesuchern pro Jahr. Der Lesliehof in der Raubergasse 10 wird weiterhin Teile der musealen Ausstellung Natur, die Verwaltung der Landesbibliothek und Leseräume beherbergen. Der Hof ist für die Steirer von kultureller Bedeutung. Er dürfte ein barockes Kloster gewesen sein. Die Neutorgasse 45 ist ein historischer Monumentalbau aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In diesem Gebäude wird auf 2.100 Quadratmetern die Neue Galerie Graz untergebracht sein, gemeinsam mit der Verwaltung und der Multimedialen Sammlungen.

Die Grazer Multimedialen Sammlungen sind mit ihren über zwei Millionen Objekten eine der bedeutendsten audiovisuellen heimischen Sammlungen. Die mit historischer neobarocker Fassade und Dachbalustrade errichtete Kalchberggasse 2 bleibt schließlich das Stammhaus der Landesbibliothek. Zwischen den Häusern durfte kein Hochbau stattfinden – angesichts der Bausubstanz verständlich. Deshalb legen die Bauspezialisten das Besucherzentrum unter die Erde. Jedoch nicht so tief wie ursprünglich geplant.

„Zunächst waren drei Untergeschoße vorgesehen“, erzählt Robert Eder von Baukoord; Er ist Bauleiter und verantwortlich für die örtliche Bauaufsicht. Nach politischem Hickhack gab es für das redimensionierte, jetzt zweigeschoßig in die Tiefe gehende Projekt 2007 endlich grünes Licht. Baustart war Anfang 2010. „Aus logistischen Gründen begannen die Ausräumarbeiten in den Bestandsgebäuden ein paar Wochen früher“, erinnert sich Bauleiter Eder.

90 Lastwagen pro Tag

Käfer-, Schmetterlings- und Gesteinssammlungen des Naturkundemuseums übersiedelten provisorisch dorthin, wo das Joanneum große Flächenbestände hat: in den Grazer Randbezirk Andritz. Insgesamt überstellten die Steirer mit Lastwagen über 9.300 Kartons mit Exponaten. Mitte Jänner ging es dann Schlag auf Schlag. Die Ausräumarbeiten neigten sich dem Ende zu. In den Bestandsgebäuden begann der Abbruch.

Zugleich liefen die Vorbereitungen für den Bau des unterirdischen Besucherzentrums an. Insgesamt 25.000 Kubikmeter hoben die Bauleute dafür aus. In den stärksten Zeiten verließen 90 Lastwagen pro Tag die Baustelle. Zuvor galt aber dem angrenzenden Mauerwerk der Bestandsgebäude die Aufmerksamkeit. Es musste wohlbehütet bleiben. Also verdichteten die Arbeiter den Boden unterhalb der Gebäude mittels Hochdruckbodenvermörtelung. In bis zu 16 Meter Tiefe wurden insgesamt 3.500 Meter injiziert. Zusätzliche Unterfangungen zu beiden Seiten der Außenwände sorgten für noch mehr Bodenstabilität.

Im Inneren der Gebäude ging es noch enger her. Was die Unterfangungsarbeiten dort nicht leichter machte. „Kleinere Spezialgeräte kamen zum Einsatz“, erinnert sich Eder. Anschließend begannen die Bauleute vom Süden her, den quartären Schotter in drei Aushubhorizonten bis in eine Gesamttiefe von zehn Meter auszuheben. Auf drei Höhen – erstmals in rund vier Meter Tiefe – „sicherten wir die HDBV-Säulen mit Stahlankern“, erzählt Bauleiter Eder.

Acht Liter Wasser pro Sekunde

Dem in der Tiefe vorgefundenen Grundwasser rückten die Bauprofis mit Drainageschläuchen zu Leibe. Über einen Graben erreichte das Wasser einen Sammelschacht. Von dort wurde es in den Schluckbrunnen abgepumpt. Der soll später der Kühlung aller Gebäude dienen. Mangel am kühlen Nass gab es im Erdreich nicht. Acht bis zehn Liter wurden pro Sekunde abgepumpt – „über einen Zeitraum von drei Monaten“, berichtet Eder.

Säulchen statt Säule

Mitte Mai war der Aushub finalisiert. 50 Bauarbeiter arbeiteten zu dieser Zeit. „Alles lief reibungslos“, erinnert sich Bauleiter Eder. Bis auf zwei Ausnahmen. Einmal rief der Verdacht auf kontaminiertes Bodenmaterial den Bodenmechaniker und den Chemiker auf den Plan. Im Hof dürften, wie sich herausstellte, früher einmal flüssige Versuchspräparate entsorgt worden sein. Eine lässliche Sünde. Nach der chemischen Untersuchung stand rasch fest, auf welche Deponie das belastete Material „zu verfrachten ist“, erinnert sich Bauleiter Eder.

In größeres Staunen versetzte die Bauarbeiter bei den Aushubarbeiten der Zustand von zwei HDBV-Säulen. Sie sollten tragende Wirkung beim Haus Kalchberggasse haben. Jedoch vereitelen Sandlisenen eine Bindung des Materials. Erst als die Säulen frei lagen, war ihr magerer Umfang zu sehen. Statt anderthalb Meter waren sie nur 40 Zentimeter stark. Auf ihnen ruhte nun in zwölf Meter Höhe historisch wertvolles Baugut. „Wir waren alle etwas angespannt“, erinnert sich Eder.

Braun statt schwarz

Ohne Zeit zu verlieren, starteten die Arbeiter noch im Mai die Betonierarbeiten für die 35 bis 40 Zentimeter starke Bodenplatte des Besucherzentrums auf Stahlbetonbauweise. Sie wurde in drei Abschnitten realisiert. Insgesamt flossen dafür 1.200 Kubikmeter Beton. „Die schwarze Wanne schied in Ermangelung eines Arbeitsraums von vornherein aus“, erklärt Bauleiter Robert Eder.

Nach intensiven Diskussionen mit dem Tragwerksplaner gab es letztlich einen Richtungsentscheid zugunsten der braunen Wanne. Eine Bentonitmatte dehnt sich dabei unter Wassereinwirkung aus und verdichtet sich. Diese Variante sei weniger rissanfällig und sie „verzeihe Ausführungsfehler eher“, weiß Baukoord-Mann Eder.

Lichtspendende Glaskegel

Von Anfang Juni bis in die erste Dezemberwoche hinein liefen die Arbeiten am Rohbau des Besucherzentrums. Plangemäß entstand das zweite Untergeschoß. Im drei Meter hohen Trakt wird künftig das Archiv der Landesbibliothek untergebracht sein. Darüber, im viereinhalb Meter hohen ersten Untergeschoß, werden Foyer, Freihandbereich und die gesamte Infrastruktur ihren Platz finden.

Auf das Besucherzentrum wird später ein mit dreilagiger Bitumenbahn abgedichtetes Umkehrdach aufgesetzt. Statt durchs Grün spazieren die Fußgänger dann über eine mineralische Schicht – und können einen Blick ins Innere des Baus werfen. Denn sechs Kegelkonstrukte aus gekrümmten Glas durchbrechen lichtspendend die Sichtbetondecken. Die Architekten bewiesen Treue zum Detail. In die Kegel soll es bald schon hineinregnen und -schneien können. „Die Stimmung im Freien soll innen erlebbar sein“, führt Architekt Gerhard Eder aus. Große Worte – zu recht: Große Teile des Hauses seien komplett durchsichtig. Der Blick durch den 80 Meter langen Bau „nahezu ungetrübt“, so Eder.

Bei den Glaskegeln betrieben die Schalungsspezialisten enormen Aufwand. Die bis zu vier Zentimeter starken Gläser werden ohne Unterkonstruktion zwischen den Decken gehalten. Daraus resultieren Kegelflächen, die geneigt zu schalen sind. Zum Einsatz kam doppelt beplanktes Schalungsmaterial von Doka. Schalelemente aus Holz für die Rundungen im Trägerbereich fertigte die Baufirma Steiner speziell in ihrer Werkstätte. Aus nicht weniger als 20 bis 30 Glasstücken setzt sich ein Kegel zusammen. Spots im ersten Untergeschoß sollen die Glasflächen später einmal „effektvoll beleuchten“, sagt Architekt Gerhard Eder.

Prächtige Barockdecke

Währenddessen gingen in den Bestandsgebäuden die Sanierungsarbeiten voran. Insgesamt wurden 420 Fenster saniert. Arbeiter ertüchtigten sie bauphysikalisch mit neuer Verglasung, Dichtung und Sonnenschutz. Zur Vermeidung von Kondensatbildung wurden sie an den Leibungen mit einer Heizung versehen. Aus denkmalpflegerischer Sicht gab es nur ein Ziel. Die Gebäude sollten wenig an Substanz verlieren. „Unser sehr konstruktiver Denkmalpfleger wusste um die Bedeutung des Hauses“, sagt Architekt Gerhard Eder.

Mehrere neuere Wände und Decken wurden in den vergangenen Monaten versetzt oder abgerissen. „Die Struktur des Gebäudes blieb dabei großteils unverändert“, berichtet Eder. Schöne Dippelbaumdecken blieben unangetastet. Alle wichtigen Eingriffe erfolgten in Zusammenarbeit mit dem Landeskonservatorium und dem Restaurator. So realisierte das Bauteam im Museumsbau Neutorgasse eine Vertikalerschließung für Treppe und Lift. „Das Denkmalamt gab einen Raum über alle Geschoße frei“, erinnert sich Architekt Eder.

Vor Überraschungen war man nicht ganz gefeit. In den Prunkräumen im zweiten Obergeschoß stieß man unvermittelt auf Stuck. Die Bauprofis wussten sich zu helfen. Er wurde abgenommen, in handliche Stücke zerlegt und in einem Nebenraum mit Wandschaden neu vergipst. Auch beim Abbruch einer Decke gab es einen Moment. Der Restaurator nahm gerade das erste Trägerschalungsbrett ab. Dabei entdeckte er „unter der Stuckdecke eine barocke Holzdecke“, erzählt Eder. Ein räumlich versetzter zweiter Lift führt deshalb nun ins Dachgeschoß. „Die Barockdecke bleibt in voller Pracht erhalten“, so Eder.

Quecksilberalarm – zwei Monate Baustopp

Bei Stemmarbeiten waren die Bauarbeiter angewiesen, beide Augen offen zu halten. Malereien und Holzvertäfelungen wurden in vielen Räumen festgestellt. Einen anderen großen Eingriff gab es für die Kabelkanäle für Strom, Klima und Lüftung. Sie wurden unterhalb der Böden mit Unterkonstruktionen realisiert. „Wegen der hohen Sichtqualität der Wände blieb nur diese Variante für die Leitungsführung“, erklärt Bauleiter Robert Eder. In der Neutorgasse verwarfen die Bauleute das Konzept jedoch. Unter den Holzböden stießen sie auf in Längsrichtung liegende Giebelbäume und Stahlträger. „Deshalb legten wir Teile der Installation hinter eine Vorsatzschale an die Wand“, so Eder.

Vorhandene Bodenschüttungen in der Neutorgasse waren kontaminiert. Geringe Mengen Quecksilber waren abzusaugen – ein zweimonatiger Baustopp die Folge. Dann brachten Arbeiter die neuen Wärmedämmschüttungen auf Basis von gebrochenen EPS-Platten, Zement und Wasser ein. Im Jänner starteten in der Neutorgasse die Arbeiten mit Gussasphalt. Rund tausend Quadratmeter werden davon mit Kübel verlegt. Gussasphalt ist ein guter Träger für Holzböden. Das Material hat gegenüber Estrich ein geringeres Gewicht – hier in Graz ein Vorteil. „Viele der Decken sind mit ihrer Tragfähigkeit am Ende“, weiß Architekt Gerhard Eder.

Im Februar nehmen die Arbeiter im Altbestand Kurs in Richtung Malerarbeiten. Dann wird es im Besucherzentrum für die Fassadenbauer ernst. Im Jänner nahm ein Vermesser das Naturmaß der Glaskegel ab. Nach diesem erfolgt die Werkstoffplanung und die Produktion des Kegels. Anfang März erfolgt die erste Glaslieferung. Dann stoßen Arbeiter die auf der Decke gründenden Gläser eines Kegels stumpf aneinander. Bis zu 900 Kilo sind die Einzelteile schwer. Deshalb zogen die Bauarbeiter die Hilfe eines der beiden Baukräne mit 25-Meter-Ausleger nicht einmal in Erwägung. „Mit einem Autokran ist feinfühligeres Arbeiten möglich“, weiß Bauleiter Robert Eder.

Auch der Bauleiter hat gehört, dass das Interesse der Steirer an der Baustelle nicht nachlässt. „Führungen sind bis ins Frühjahr ausgebucht“, erzählt er. Besucherzentrum und Haus Neutorgasse werden als erstes – nämlich am 26. November – fertig sein. Gerade rechtzeitig zum 200-jährigen Stiftungsjubiläum – wenn nicht noch weitere Hindernisse auftauchen. Der Flaschenrüttler wird dann längst verstummt sein. Daniel Pohselt

Auftraggeber: LIG Steiermark Landesimmobilien GmbH

Architektur: Arge Museumsviertel Joanneum – eep architekten, Graz / Nieto Sobejano Arquitectos, Madrid

Baubeginn: Jänner 2010

Bauende:

November 2011: Besucherzentrum und Neutorgasse

September 2012: Rauber- und Kalchberggasse

Baukosten: rund 38,1 Millionen Euro

Baumeister: Steiner Bau GmbH, St. Paul

Erdarbeiten: Keller Grundbau GmbH, Söding

Restaurierung: Das Steirerhaus BaugmbH, Großpesendorf

Baustellenkoordination: Bitzan Beratung & Management, Graz

Projektsteuerung: Dr. Thomas Mathoi Bauprojektmanagement, Graz

Örtliche Bauaufsicht Hochbau: Baukoord DI Eigner GmbH, Graz, Söding

Statik/Tragwerksplanung: DI Manfred Petschnigg, Graz

Geotechnik: DI Reinhard Pötscher ZT GmbH, Graz

Bauphysik: Dr. Pfeiler GmbH, Graz

HKLS: ARGE Haustechnik Starchel/Pechmann/Blaschitz

Elektrotechnik: Busz GmbH, Graz

Brandschutz: Norbert Rabl ZT GmbH, Graz

Hydrologie: Kaiser& Mach ZT GmbH, Judendorf-Straßengel